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„Die Stadt muss völlig neu gedacht werden“
Der Standard

Die Debatte um Energieeffizienz im Gebäudesektor strotzt vor grundlegenden Missverständnissen. Die Reduktion der Heizenergie ist nur ein Faktor, und der wird auch noch krass überbewertet.

19. Februar 2009 - Ute Woltron
Wenn derzeit allerorten über Energieeffizienz debattiert wird, wird irrtümlicherweise stets ausschließlich über den Heizbedarf in Gebäuden geredet. Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn man beachtet, dass rund 40 bis 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs auf den Gebäudesektor entfallen. Die restlichen 50 Prozent teilen sich Verkehr und Industrie.

Doch diese Betrachtungsweise, die sich aktuell im Übrigen auch in jeder Menge Normen bis hin zu EU-weit gültigen Dekreten niederschlägt, ist aus vielen Gründen bei weitem zu kurz gegriffen.

Denn zum einen stellt die Energie, die auf Heizwärme entfällt, nur einen Anteil am tatsächlichen Energieverbrauch von Gebäuden dar. Schließlich muss auch jede Menge Energie für Lüftung, Kühlung etc. aufgewendet werden.

Zum anderen ist der vielstrapazierte Begriff „Energieeffizienz“ eben nicht gleichzusetzen mit Energiesparen, sondern bezeichnet vielmehr das Verhältnis zwischen energetischem Input und Output. Im Gebäudekontext ist damit das Verhältnis zwischen Raumklima und der Quantität der Energiemenge gemeint, die zugeführt werden muss, um dieses aufrechtzuerhalten.

Fehlende Gesamtberechnung

Brian Cody, Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie der Technischen Universität Graz, steht den derzeit politisch so beliebten Dekreten aller Art äußerst skeptisch gegenüber: „All diese Energieausweise und Pässe messen lediglich den Energiebedarf, also wie viele Kilowattstunden ein Gebäude verbraucht.“

Doch diese Rechnung, so Cody, sei sehr simpel gestrickt. Denn eine Vielzahl von mindestens ebenso relevanten Faktoren werde schlichtweg nicht berücksichtigt, eine Gesamtberechnung fehle. Zum Beispiel werde kaum je zwischen Quantitäten und Qualitäten von „Energie“ unterschieden: „Thermische Energie und elektrische Energie haben ganz andere Qualitäten, und während Elektrizität eine hochwertige Energieform darstellt, die aufwändig zu erzeugen ist, ist thermische Energie für Raumwärme eine niederwertige Energieform.“

Doch das alles wird ständig missverständlich miteinander vermischt. Ein Beispiel: Die so vehement propagierten Niedrigenergie- und Passivhäuser haben zwar einen erfreulich geringen Wärmeenergiebedarf, doch wenn man genau hinschaut, sind sie als System sehr kritisch zu hinterfragen.

Denn zuerst einmal müssen sie gebaut werden - und allein bei der Herstellung von dreifach verglasten Fenstern, von supergedämmten Bauteilen, von Haustechnikzentralen und mechanischen Lüftungssystemen wird exorbitant viel Energie verbraten, die sich später wundersamerweise allerdings in keiner „Effizienzberechnung“ wiederfindet. Eine Studie über Doppelfassaden, die Codys Institut durchführte, zeigte beispielsweise, dass es rund 25 Jahre dauert, bis die Energie, die für die Produktion dieser Fassade aufgewendet wurde, über die reduzierten Betriebskosten wieder eingespielt sei.

Cody: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man ein falsches Ergebnis bekommt, wenn man die Herstellungsenergie nicht mitberücksichtigt.“ Doch es gibt noch weitere vernachlässigte Aspekte. Vor allem die derzeit so gut wie ausschließlich objektbezogene Betrachtung energetischer Maßnahmen - also das Einpacken einzelner Häuser - macht in Summe als Pauschallösung wenig Sinn.

Das mit erheblichen Energiemengen produzierte superenergieeffiziente Einfamilienhaus auf der grünen Wiese, das von seinen Bewohnern täglich mit dem Pkw angesteuert wird, ist letztlich eine Farce. Wer vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung anvisiert, landet sehr schnell bei größeren Strukturen, und zwar beim System Stadt. Und das, so Cody, „muss völlig neu gedacht werden“ (siehe auch Interview Seite 18).

Für das international vielbeachtete Energieforschungsprogramm von Verkehrs- und Wirtschaftsministerium - „Energie der Zukunft“ - erforscht beispielsweise derzeit ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Architekten, Ingenieuren, Verkehrsplanern und Soziologen, die energetischen Strukturen von Dienstleistungsunternehmen.

Denn Lebens- und Arbeitswelt haben sich im vergangenen Jahrzehnt dramatisch verändert, und in welcher Form städtebauliche Strukturen diesen Veränderungen entsprechen könnten, wie Bürogebäude neu gedacht werden, Wohnhäuser neu ausgeformt werden könnten, dürfte der Knackpunkt für künftige Entwicklungen nicht zuletzt auf dem Energiesparsektor werden. Nur wer in gesamten Systemen denkt, wird sinnvolle Lösungen finden. Und wer, wenn nicht Architekten und Ingenieure, wären dazu aufgerufen, als hochqualifizierte Fachleute der Politik gemeinsam Lösungen zu präsentieren. Auf dem internationalen Markt passiert das längst.

Architekten und Ingenieure schließen sich zu Unternehmen zusammen und planen in China, Taiwan, den Emiraten energetisch optimierte Stadtteile, während sich die EU in Wärmekoeffizienzdebatten verzettelt.

Das schnelle Verpacken morscher Gemäuer mit tonnenweise Dämmmaterial, das nicht zuletzt der Kategorie Sondermüll zuzuordnen ist, der im Übrigen auch irgendwann einmal entsorgt werden muss, hat jedenfalls mit zukunftsweisenden Strategien in Sachen Energieeffizienz herzlich wenig zu tun. Die thermische Sanierung ist nur ein Faktor in einem wesentlich komplizierteren Spiel. Doch dass dieses funktioniert, wenn man lang und gut und interdisziplinär nachdenkt, beweisen unter anderem die in Systemen und eben nicht nur in Einzelmaßnahmen denkenden Energieregionen, von denen es in Österreich erfreulicherweise eine Menge gibt.

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