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Gefalzt, geknickt, gelocht
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Kunstschmied, Designer, Architekt. Gründungsmitglied der „Ecole de Nancy“ und der konsequenteste unter den Funktionalisten: Jean Prouvé. Eine fällige Wiederentdeckung. Jetzt im Wiener Hofmobiliendepot.

29. März 2009 - Iris Meder
Die Geschichte passt zu Jean Prouvé:Eines Tages kaufte er sich einen gebrauchten „Voisin“, eine jener Luxuskarossen, die Le Corbusier stets bei Fototerminen sorgfältig vor seinen Häusern zu platzieren pflegte. Prouvé lag aber nichts an der effektvollen Präsentation von „KFZ-Design meets Architektur“. Er erwarb das Gefährt vielmehr, um es zu zerlegen und damit dem konstruktiven Kern der Gestaltung ein wenig näher zu kommen.

Er war vielleicht der konsequenteste aller Funktionalisten. Als Sohn des Jugendstilkünstlers Victor Prouvé, Gründungsmitglied und einer der berühmtesten Köpfe der in der Hauptstadt von Lothringen beheimateten „Ecole de Nancy“, war Prouvé mit den Eigenschaften von Metallblechen seit seiner Jugend vertraut. Anders als seine Brüder studierte er aber nicht Architektur, sondern startete seine Karriere auf der Basis einer Ausbildung zum Kunstschmied.

Prouvé hielt sich nie mit der funktionalistischen Lieblingstheorie auf, die Form ergebe sich sozusagen in eindeutiger kausaler Relation aus den Anforderungen an die Funktion. So wenig wie es eine einzige Funktion gibt, das dürfte ihm klar gewesen sein, kann nur eine einzige daraus entwickelte mögliche Form die Konsequenz sein. Wohl aber hatte Material, im Gegensatz zum Abstraktum „Funktion“, klar definierbare chemische und physikalische Eigenschaften. Die Form entwickelte Prouvé folgerichtig aus den Erfordernissen des Materials und dessen möglichst rationeller Verarbeitung zu möglichst stabilen und gleichzeitig leichten Strukturen.

Mit dem Glamour des Art Déco hatte der 1901 Geborene demgemäß nur einen kurzenFlirt, als er im Alter von 26 Jahren vom Architekten Robert Mallet-Stévens für das Metallgitter eines Hauseingangs herangezogen wurde. Prouvés Gitter fiel geometrisch und sehr elegant aus, ist aber zugleich von jener lapidaren Nüchternheit, die sein gesamtes Werk kennzeichnet. – Gegen das Pathos des Stahlrohr-Modernismus immunisierte Prouvé bereits seine Abneigung gegen Rohrkonstruktionen. Lieber pflegte er sein Steckenpferd der trapezoid verjüngten Formen bei konstruktiven Elementen, sei es bei Tragstrukturen großer stützenfreier Gebäude, sei es bei Stuhlbeinen. Bereits in den Dreißigern antizipierte er so die Formensprache der Fünfzigerjahre. An deren filigraner Beschwingtheit lag ihm freilich wenig. Prouvés Design ist „brut“, es ist trocken wie der ungezuckerte Champagner der Witwe Clicquot.Billiges Sperrholz trifft auf Blech, mit sichtbaren Schrauben und groben Schweißnähten, aus Gründen der Stabilität gerne gefalzt, geknickt, durchlöchert oder an den Ecken abgerundet. Schiere Ökonomie und konstruktiver Pragmatismus, so scheint es, sind hier ohne jedes Funktionalismus-Pathoszum Gestaltungsprinzip gemacht.

Dabei bewies Prouvé immer Improvisationstalent, etwa wenn er die blechernen Wandelemente der Maison du Peuple in Clichy kurz entschlossen mit Bettfedern nachbesserte, um das störende Knacken bei Temperaturunterschieden zu dämpfen. Ein weiteres seiner Meisterstücke ist die 1957 entstandene Trinkhalle von Évian, die ihre faszinierende optische Schwerelosigkeit aus dem Ersetzen von Druck- durch Zugkräfte erhält. Ein anderes Chef-d'?uvre ist die 1953 realisierte Fassade eines Appartementhauses am Pariser Square Mozart. Das Gebäude mit den beweglichen Blechpaneelen bekommt durch die Aktivitäten der Bewohner und die daraus resultierenden Verschiebungen der Fassadenelemente immer ein anderes Gesicht.

Bei aller materialtechnisch bedingten Formgebung war Prouvé in seinem Bestreben, die inneren Kräfteverläufe sichtbar zu machen, klug genug, das ästhetische Potenzial der Konstruktion immer mitzudenken. Ersetzte es schlussendlich so virtuos wie kaum ein anderer in Szene. Mit Le Corbusier und dessen Mitarbeiterin Charlotte Perriand arbeitete er immer wieder zusammen. Im Gegensatz zu den Stahlrohr-Ikonen von Le Corbusier, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe vermag man sich aber Möbelstücke wie Prouvés „Antony“-Sessel schwerlich in Anwaltskanzleien und Bankzentralen vorzustellen. Prouvé – wie seine jüngste Tochter Catherine berichtet, ein passionierter Stuhlkippler – gab seinen Sitzmöbeln zur Sicherheit eine Tragfähigkeit von 400 Kilogramm. Was man ihnen durchaus ansieht. Vielleicht ist es gerade der herbe Charme ihrer Nüchternheit, der Prouvé-Objekten eine hohe Credibility bei Design-Fans sichert.

Das rigide durchgehaltene Prinzip des Rationellen wirkt rührend bei Prouvés eigenem Haus, das er aus übrig gebliebenen Teilen aus dem Lager seines eigenen Betriebes zusammenschweißte – kurz zuvor hatten ihn die Mehrheitsaktionäre endgültig aus der Firma gedrängt. Seine demontierbaren Schulen, Obdachlosen-Baracken und Aluminium-Fertighäuser hatten aber, zumindest als Prototypen oder in Kleinserien, durchaus Gelegenheit zu zeigen, was sie konnten.

Anders als viele seiner Kollegen ging Prouvé während des Zweiten Weltkriegs keinerlei Kompromisse mit dem Vichy-Regime ein und war in der Résistance aktiv. Nach Kriegsende brachte ihm diese aufrechte politische Haltung kurzfristig das Amt des Bürgermeisters von Nancy ein. Wie es sich für einen Modernen gehörte, engagierte er sich bei den internationalen Vereinigungen „Union des Artistes Modernes“ (UAM) und „Congrès Internationaux d'Architecture Moderne“ (CIAM). Selbst kein ausgebildeter Architekt, war er bei größeren Realisierungen aber meist zur Zusammenarbeit mit anderen gezwungen. Prouvé begründete keine Schule und gehörte auch nicht zu den PR-Genies wie Le Corbusier und Walter Gropius, die lange vor dem eigentlichen Bauen mit theoretischen Traktaten klarstellten, wo es langgehen sollte. Vielleicht erreichte sein Werk deshalb bisher nicht annähernd deren Popularität. Seine verdiente Wiederentdeckung hat aber, so scheint es, bereits begonnen.

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