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Die Nacht wird lang und kalt
Der Standard

Die Krise hat Developer, Bauindustrie und Architektur längst erreicht. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren könnte einer der Wege hinaus sein.

4. April 2009 - Ute Woltron
Zuerst ein paar aktuelle Stimmen aus der internationalen Architektur- und Developerwelt:

„Ich zweifle keine Minute daran, dass wir ein neues Zeitalter äußerster Entbehrungen erreicht haben“, sagt Chris Johnson, Chef für Europa und den Mittleren Osten bei Gensler, der größten Architekturfirma mit 31 Niederlassungen weltweit. Dem Vernehmen nach wurden in den vergangenen Monaten zehn Prozent der rund 2600 Gensler-Mitarbeiter gekündigt.

„Die meisten Architekten werden sich verzweifelt darauf konzentrieren müssen, ihre Leute, Miete, Versicherungen und erst recht ihre Kredite zu bezahlen, so sie nicht ohnehin bereits allein arbeiten oder mit einem gutbezahlten Job an einer Universität gesegnet sind“, meint nüchtern Neven Sidor, Partner in der britischen Architekturschmiede Grimshaw.

„Klar, Architekten hatten jetzt eine Zeitlang einen Heidenspaß, aber alles ist schrecklich schiefgelaufen. Jetzt geht es um Arbeitslosigkeitsprogramme, um zu überleben. So schaut's nämlich aus“, unkt Richard Barkham, Direktor bei Grosvenor, einem weltweit agierenden Developer.

Die Zahl arbeitsloser Architekten steigt weltweit alarmierend an. Waren in Großbritannien im Februar 2008 ganze 150 auf Jobsuche, so waren es im heurigen Vergleichsmonat bereits 1290. In Nordirland hat jeder fünfte Architekt mittlerweile seinen Job verloren. Noch gravierender die Situation in Deutschland: Allein in Berlin waren mit Ende März 1702 Architektinnen und Architekten arbeitslos gemeldet.

Die Auswirkungen der Krise sind glasklar ablesbar, und der Trend wird sich, darüber sind alle einig, nicht so bald umkehren. Weltweit werden Projekte zurückgestellt oder ganz gestrichen, im besten Fall werden sie redimensioniert. Betroffen sind alle, insbesondere aber die großen Architekturfirmen, wie eben Gensler, SOM, Foster, Atkins, um nur ein paar der Überflieger zu nennen, die in den vergangenen Jahren in die Goldgruben von Taiwan, Schanghai, Dubai einflogen und dort mächtig schürften. Frank Gehry, der eben seinen 80. Geburtstag begangen hat, dürfte ebenfalls nicht in Feierlaune gewesen sein. Er musste in den vergangenen Wochen die Hälfte seiner Mitarbeiter auf die Straße setzen, weil mehrere Großprojekte auf Eis gelegt wurden.

Auf Klondike folgt Armageddon, sagt man in den Großbüros. Und angesichts dieser Szenarien der internationalen Architekturwelt darf auch hierzulande nachgefragt werden, wie die Aktien der vergleichsweise natürlich viel kleineren und ganz anders aufgestellten heimischen Architekturbüros stehen.

Die Prognose lautet: Warm anziehen. Die Nacht wird lang und kalt. Die baubezogenen Konjunkturpakete, das rechnete unlängst Andreas Gobiet, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich, Burgenland, vor, werden bedauerlicherweise das Kraut nicht fett machen. Bei einem Bauproduktionswert von zuletzt rund 17 Milliarden Euro in Hoch- und Tiefbau nehmen sich die veranschlagten 875 Millionen und somit 1,7 Prozent für die nächsten drei Jahre vergleichsweise schlank aus. Doch: weit besser als nichts. Zumindest die östlichste der vier Länderkammern hat nun für ihre Mitglieder ein Maßnahmenprogramm zur Bewältigung der Krise ausgearbeitet. Zum einen können Architekten und Planungsbüros ihre internen Strukturen in Form einer Betriebsberatung von Profis durchleuchten lassen. Zum anderen läuft über die Austria Wirtschaftsservice, kurz AWS, ein Förderprogramm zur Stärkung der betrieblichen Finanzierung an.

Diese Maßnahmen sind begrüßenswert, sie werden dennoch das, was man gemeinhin Strukturbereinigung nennt, nicht aufhalten. Noch gibt es nach Auskunft der Kammer hierzulande bis auf wenige Ausnahmen keine Büros, die akut ums Überleben kämpfen. Doch auch grundoptimistische Naturen können nicht davon ausgehen, dass dieser Zustand über die kommenden zwei Jahre bestehen bleibt.

Lediglich extrem gut organisierte, schlank aufgestellte und flexibel agierende Architekturbüros werden Überlebenschancen haben. Denn Fett anzusetzen hatten wahrlich bereits in den vergangenen Jahren die wenigsten von ihnen die Gelegenheit.

Obwohl die Situation für die einzelnen Planerinnen und Planer natürlich grimmig ist, darf der sogenannten Krise insgesamt dennoch Positives abgewonnen werden. Der internationale Wahnsinn des Schneller, Höher, Schriller ist vorerst vorbei. Die Architektur hat unter Umständen jetzt Zeit und findet gegebenenfalls auch Gehör bei den Großmächtigen, wieder zu universelleren, durchdachteren und insgesamt intelligenteren Planungen zurückzukehren. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren mag die neue Devise lauten. Den Bestand evaluieren, sichern, verbessern. In neuen Projekten alles, was an ökologisch Sinnvollem einplanbar ist, mit entsprechender Planungszeit und Analyse zur Anwendung bringen. Im Idealfall nehmen sich Politik und Kapital die Architektur als Partner. War alles schon da. Auch in Zeiten anderer Krisen. Erfordert aber Paktfähigkeit von beiden Seiten.

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