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Ausbau, Umbau und Charakter
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Gebäude aus vier Jahrhunderten umfasste das Grazer Kaufhaus Kastner & Öhler nach steter Expansion. Zeit für eine umfassende Neuordnung. Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski haben sie bewältigt.

11. April 2009 - Karin Tschavgova
Der Trend zur Konzentration des Einzelhandels in Einkaufszentren ist unübersehbar. Gleich David gegen Goliath kann der kleine, angestammte Einzelhändler dem wenig entgegensetzen. So wäre der Verdrängungswettbewerb wohl auch in Zeiten der Finanzkrise nur aufhaltbar, würde sich die Politik nicht scheuen, über die Flächenwidmung restriktive Maßnahmen zu ergreifen.

Graz hat mit der Shopping City Seiersberg das zweitgrößte Einkaufszentrum Österreichs,wobei dieses nicht innerhalb der Stadtgrenzen steht, sondern in einer Umlandgemeinde,für die das ehemalige Areal einer Schottergrube zur Goldgrube wurde. Die Verlockung des erlebnisreichen Shoppens unter einem Dach mit uneingeschränkter Parkmöglichkeit zieht, wie der für 2008 angepeilte Jahresumsatz von 300 Millionen Euro zeigt, und macht es selbst traditionsreichen Betrieben in der Grazer Innenstadt schwer, konkurrenzfähig zu bleiben.

Die Geschichte der Firma Kastner & Öhler, die seit 125 Jahren in der Sackstraße, mitten im historischen Zentrum ihr Stammhaus betreibt, zeigt, dass dieses Familienunternehmen von Anfang an bestrebt war zu expandieren und dazu Strategien entwickelte, mit denen es der Konkurrenz voraus war. Wichtigster Grundsatz war lange Zeit, ein Kaufhaus mit umfassendem Angebot an Waren und Dienstleistungen zu sein. Schon bald nach der Grazer Filialgründung 1883 wurde daher der Kauf von zwei Häusern in der Sackstraße und fünf weiteren Bürgerhäusern beschlossen, die den ersten großen Neubau eines viergeschoßigen Warenhauses nach den Plänen von Fellner und Helmer ermöglichten, der 1914 fertiggestellt war. Anhaltende Prosperität, die durch den Postversand noch gefestigt wurde, führte zu stetem Ausbau, dem in den 1960ern die glasüberdeckten Halle mit offenen Galerien zum Opfer fiel. Die Expansionspolitik des Unternehmens führte dazu, dass jede Gelegenheit genützt wurde, Bauten am Kai, in der angrenzenden Murgasse und sogar auf der anderen Seite des Flusses anzukaufen, wenn sie am Markt angeboten wurden. Um 1990 war das Familienunternehmen Eigentümer von Gebäuden aus vier Jahrhunderten mit unterschiedlichsten Typologien. Ohne umfassendePlanung war die heterogene Bausubstanz nicht mehr sinnfällig in ein räumliches und funktionelles Kontinuum zu bringen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Grazer Architekten Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski, die damals wohl international bekanntesten Vertreter der „Grazer Schule“, gebeten, ein Konzept zu entwickeln, das zu einem Zusammenschluss der Häuser führen, ohne ihnen ihre Charakteristik zu nehmen, und zugleich einen Wiedererkennungseffekt des Unternehmens in den Gassen rund um das Stammhaus leisten sollte. Keine leichte Aufgabe, die die Architekten in sechs Projekterweiterungsphasen bis 2003 durch Umbau, Renovierung, Neuordnung und die Zuweisung eigenständiger Funktionen für einzelne Häuser gekonnt bewältigten. In der ihnen eigenen Architektursprache entwickelten sie zugleich funktionelle und formale Bindeglieder, die einen den Einzelbauten individuell angepassten und dennoch Identität stiftenden Zusammenhalt erzeugten – Elemente wie Hofüberdachungen, transparente verglaste Brücken in leichter Stahlkonstruktion, die die engen Gassen überspannen, Schaufenster und Vitrinen in rahmenloser Verglasung, die aus der Fassade hervortreten und detailverliebteVordachkonstruktionen in Niro mit kleinteilig differenzierten Glasflächen.

Es war die Zeit, als in Graz bestehende Einkaufszentren ausgebaut, das Shopping Center Seiersberg eröffnet und weitere Einkaufszentren im Südosten und Nordwesten der Stadt konzipiert wurden. Die jungen Vorstände der fünften Generation des Familienbetriebs reagierten und stemmten sich mit aller Kraft dagegen. Sie stießen 1999 den Versandhandel ab und verkauften das Areal des ehemaligen Kaufhauses der Brüder Lechner am Südtirolerplatz an die Stadt Graz, die darauf das Kunsthaus errichten ließ. Der Kaufvertrag garantierte dem Unternehmen die Errichtung und Nutzung der Tiefgarage unter dem Kunsthaus für die Kunden des Großkaufhauses. Zeitgleich mit der Bautätigkeit für das Kunsthaus errichtete Kastner & Öhler eine Tiefgarage, deren Bau höchst spektakulär war, weil mehr als zwei Drittel der fünf Parkebenen unter dem 400 Jahre alten Admonterhof liegen, der dafür temporär auf 33 Ortbetonpfähle mit einer Höhe von bis zu 27 Metern gestellt werden musste. Die Planung der Garage, die außerordentlich positiv angenommen wird, weil sie hell ist, über angenehme Raumhöhen und Lichtführung verfügt und abgeschottete Gänge und Treppen vermeidet, war ebenfalls dem Architektenteam Szyszkowitz-Kowalski übertragen worden.

2005 war das Unternehmen mit Filialen in Tschechien und Slowenien auf 1500 Mitarbeiter angewachsen. In einem vorerst letzten Coup, einem geladenen Wettbewerbsverfahren, wurden in- und ausländische Architekturbüros gefordert, Ideen zu Erweiterung und Umbau des Stammhauses und zur Neugestaltung der nicht erhaltungswürdigen Dächer zu liefern. Das siegreiche Projekt der spanischen Architekten Nieto und Sobejano sieht eine markante Aufstockung der Dachfläche durch zeilenartige Aufbauten vor, die in Form und Farbe eine Assoziation mit der historischen Dachlandschaft am Fuße des Schlossbergs hervorrufen sollen. Bald nach der Wettbewerbsentscheidung, die in Graz auf breite Zustimmung traf, meldete Icomos, der internationale Rat für Denkmalpflege, Vorbehalte wegen des Erhalts der historischen Dachlandschaft an und drohte Graz mit der Aberkennung des Status als Weltkulturerbe, sollte das Projekt unverändert realisiert werden. 2006 konnte über eine Reduktion der Höhen Einigung über das Projekt erzielt werden, das wohl auch deshalb von allen Seiten unterstützt wird, weil Konsens darüber besteht, dass der Standort des traditionsreichen Warenhauses in der Innenstadt erhalten bleiben muss. Niemand, der in Graz aufgewachsen ist, mag sich eine Innenstadt ohne „Kastner“ vorstellen, die Höfe und Durchwegungen über Passagen und enge Gassen werden als öffentlicher Raum im historischen Stadtgefüge empfunden.

Das Unternehmen Kastner & Öhler weiß, dass Investition in architektonische Qualität den Standort sichert und einen Konkurrenzvorteil gegenüber gesichts- und geschichtslosen Kisten am Stadtrand bringt. Die Tradition der Gründungsväter des Unternehmens, auf Renommee durch international gefragte Architekten zu setzen, wird damit weitergeführt.

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