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Die gepfählte Substanz
Der Standard

Günther Domenigs Skulpturen und Architekturen im kunsthaus muerz

4. April 2000 - Ute Woltron
Das kunsthaus muerz hat sich mit einer Architektur-Ausstellungsreihe das Ziel gesetzt, seinen Besuchern das Individuelle und das Künstlerische am Bauen zu vermitteln und nicht nur verschiedene Architekturen, sondern auch die hinter den diversen Häusern versteckten architekturschaffenden Personen selbst vorzustellen.

Alles Gebaute reiht sich irgendwo in einem Koordinatensystem ein, das von den Extremen des totalen Funktionalismus und der totalen Kunst definiert ist, und die Mischformen, die beiden Ansprüchen gerecht werden, sind das, was man gewöhnlich als „gute Architektur“ bezeichnet.


Haus und Oper

Im Sinne dieser Architekturvermittlung hat das kunsthaus muerz mit einer Ausstellung der Arbeiten des Architekturraubeins Günther Domenig eine gute Wahl getroffen, denn die Bauten des Kärntners stellen fast immer den seltenen Fall einer angewandten, sprich einer tatsächlich auch im Sinne der Architektur funktionierenden Kunst dar.

Vergangenen Freitag eröffnete die Schau mit dem Titel Verwandlungen. Sie zeigt Günther Domenigs wichtigste aktuelle Gebäude in Plan, Computergrafik, Foto und Modell und präsentiert auch die Kostümentwürfe, die für die Opern Elektra sowie Moses und Aron und deren Inszenierungen am Opernhaus Graz erarbeitet wurden.

Zur Ergänzung führen Videofilme den Besucher sozusagen virtuell durch die Räume des domenigschen Allerheiligsten - durch sein privates Steinhaus über dem Ossiachersee, wo der 65-Jährige gelegentlich Konzerte für ausgewähltes Publikum zu veranstalten pflegt.

Das wahrscheinlich aufregendste Haus, das hier zu sehen ist, befindet sich in Natura in Nürnberg und beheimatete den Reichsparteitag des Dritten Reiches. Domenigs Wettbewerbsprojekt zur Umfunktionierung des nie vollendeten imponiergehaberischen Nazi-Machtbaus zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg zerfetzt die über allem herrschende militante Architektursymmetrie.


Neues durchbohrt Altes

Wie ein Pfeil zischt das Neue durch das Alte, reißt Mauern auf, durchdringt Dächer und setzt sich so weithin sichtbar wie ein Wahrzeichen auf die historische Substanz. Wie „einen Pfahl im Fleisch“ des ursprünglichen Baus will der Architekt sein Projekt sehen, es soll zur Stätte der Begegnung und der Dokumentation werden. Auch im Falle der Erweiterung der Kunstakademie Münster wühlt und bohrt Günther Domenig nicht mühselig im vorhandenen schweren Mauerwerk herum, sondern erzeugt ein an den Bestand angedocktes „leichtes, feines, durchsichtiges, durchgängiges, auf den unmittelbaren Umraum bezogenes Gebilde“.

Günther Domenigs Architekturen sind weder nur Kunst noch nur Bau und schon gar nicht Kunst am Bau. Sie sind sorgfältig in ihre Umgebung gesetzte, präzise durchdachte Raum- und Kubaturstrukturen, die nicht nur fesch ausschauen sollen, sondern auch zu funktionieren haben.

[ Günther Domenig Verwandlungen, kunsthaus muerz, Wiener Straße 54, Mürzzuschlag, Mi - Sa 10.00 - 18.00, So 10.00 - 16.00, bis 28.5 ]

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