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Der Mann, der alles kann
Spectrum

Typograf, Surrealist, Konstruktivist, Plastiker, Raumplaner, Architekt – und noch so manches mehr: der Bauhäusler Herbert Bayer, dem eine Ausstellung in Linz gewidmet ist.

27. Juni 2009 - Iris Meder
Der Mann war ein Phänomen. Fotografie, Architektur, Grafik, Malerei, Typografie, Plastik, Assemblage, Wandmalerei, Fotomontage, Ausstellungsdesign, Tapisserie, bis hin zur Landschaftsarchitektur: Herbert Bayer konnte alles. Insofern war er vielleicht ein idealtypischer Bauhäusler – befähigt in allen Sparten durch die Ausbildung an einer Schule, an der zunächst Architekten fast ausschließlich von Malern unterrichtet wurden. Klee, Kandinsky, Feininger – Einflüsse, die jedoch eindeutig einer anderen Generation angehörten.

Ähnlich Marcel Breuer, der so nebenher mit Anfang 20 schnell mal das Möbeldesign des 20. Jahrhunderts revolutionierte, stammte Bayer aus der Provinz, aus einem wohl liberalen, aber nicht außergewöhnlichen bürgerlichen Elternhaus. In Haag am Hausruck zu Beginn des Jahrhunderts geboren und in Linz aufgewachsen, besuchte er dort ab 1919 die neu gegründete private Mode- und Kunstgewerbeschule des Architekten Georg Schmidhammer. Zwei Jahre später zog es ihn zum aus Wien stammenden Emanuel Josef Margold auf die postsecessionistische Mathildenhöhe nach Darmstadt. Die Wiener Kunstgewerbeschule, wo zu dieser Zeit Heinrich Tessenow, Josef Hoffmann, Oskar Strnad und Josef Frank unterrichteten, scheint keine Option gewesen zu sein – das wurde sie erst 1937, als das Leben und Arbeiten in Deutschland für Bayer bereits unerträglich geworden war und er eine Auswanderung nach Wien in Betracht zog. Ob Direktor Max Fellerer auf Bayers informelles Bewerbungsschreiben reagierte, ist nicht überliefert.

Bayers endgültiges Erweckungserlebnis dürfte die Lektüre von Wassili Kandinskys Buch „Über das Geistige in der Kunst“ gewesen sein. Sie ließ den erprobten Wandervogel (der sich Zeit seines Lebens nach den österreichischen Bergen sehnte) zu Fuß nach Weimar ziehen. Dort tobte die Moderne. Zu Gropius, Muche, Itten, Schlemmer und Kandinsky kam 1923 László Moholy-Nagy, nur fünf Jahre älter als Bayer selbst. Mit ihm zog eine neue Gebrauchsgrafik ein, Kleinschreibung inklusive.

Bayer wurde, mit Mitte 20, schnell Werkstättenleiter und der prominenteste Bauhaus-Grafiker, immer im Bewusstsein der Bedeutung eines guten Eigenmarketings. Auf der Kleinschreibung seines Namens bestand er noch, als Frakturschrift bereits nationalsozialistisches Dogma war, etwa im 1936 gestalteten Buch „Spuren zum Kampf“ des nach den Februarkämpfen aus politischen Gründen nach Deutschland emigrierten Tiroler Skiläufers Hellmut Lantschner.

Das Potenzial von Bayers konsequent moderner Werbegrafik erkannte offenbar auch Josef Goebbels – an offiziellen Aufträgen mangelte es nicht. 1934 gestaltete Bayer, der mit seiner jüdischen Exfrau, der Fotografin Irene Hecht, lebenslang eng befreundet war, die Ausstellung „Deutsches Volk, deutsche Arbeit“, offenbar ohne unüberwindbare Gewissenskonflikte. Parteipolitisch nicht engagiert, besaß Bayer allerdings doch eine solide humanistische Grundeinstellung, die es ihm, nicht nur infolge der Präsenz eigener surrealistischer Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“, endgültig unmöglich machte, in Deutschland zu leben, als durch den „Anschluss“ auch der ihm wichtige Rückzugsbereich Österreich eliminiert war.

Spät, in den Fünfzigerjahren, kam Bayer doch noch dazu, Architektur zu machen, im als eine Art permanentes Alpbach konzipierten Skiort Aspen/Colorado, wo er mit seiner zweiten Frau auch seinen permanenten Wohnsitz nahm. Skulpturenparks entstanden dort nach seinen Entwürfen, Land-Art-ähnliche Landschaftsgestaltungen, Verwaltungs- und Seminargebäude für das „Aspen Institute for Humanistic Studies“, Wohnungen für Stipendiaten und Dozenten, nicht eigentlich bahnbrechend, aber jener soliden zeitgemäßen Moderne verbunden, wie sie die anderen emigrierten Bauhäusler in dieser Zeit in den USA vertraten: Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius. Später kamen große primärfarbige Plastiken auf Plätzen und Verkehrsinseln hinzu, in der Art der konkreten Kunst Schweizerischer Provenienz. Einflüsse Japans, Mexikos, Marokkos brachten immer neue Nuancen in Bayers Arbeiten.

Was ist nun das Besondere an Bayer, dem kongenialen Typografen, dem Surrealisten, Konstruktivisten, Fotomonteur, Plastiker und Raumplaner? Der Vergleich mit gegenwärtigen Architekten, die medientaugliche Trademark-Signets routiniert über Funktionen und Dimensionen stülpen und nebenher auch Teekannen, Zahnbürsten und Teppiche in analoger „Designer-Optik“ ausstoßen, macht das Besondere an Bayer deutlich: die Angemessenheit an das Medium, an den Zweck – ein eigentlich simpler Grundsatz der Moderne –, aus dem ein Werk entstand. Ein Werk, das beispielhaft Gropius' Diktum „Einen Bauhausstil gibt es nicht“ illustriert.

Ebenso wenig ist ein „Bayerstil“ auszumachen. Das berühmte surrealistische Selbstporträt mit fragmentierter Achsel und ein collagiertes „Denkmal für die Gefühle eines sentimentalen Klempners in Salzburg“ gestaltete Bayer ebenso überzeugend wie Offset-Schrifttypen, ein Inserat für „Adrianol-Emulsion gegen Heuschnupfen“ oder den 1977 realisierten „Orgelbrunnen“ vor dem Linzer Brucknerhaus. Immer mit einer entschiedenen Offenheit für Neues und einer nie versiegenden Bereitschaft zum Experiment.

Wir möchten uns Bayers Widmung auf einem Foto von 1933 anschließen, das ihn selbst, Xanti Schawinski und Walter Gropius (noch) herzhaft lachend zeigt, und damit dem Titel der Linzer Ausstellung, in bauhäuslerisch korrekter Kleinschreibung: „ahoi! herbert“.

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