Artikel
Die Ordnung der unORTnung.
Wie viel unORTnung braucht die Stadt?
9. Juli 2009 - Erik Meinharter
Ein leerstehender Industriebau aus Backstein in der Randlage eines historischen Arbeiterbezirks. Nebenan hat eine große Baufirma eine Wohnhausanlage über einer Autobahn neu errichtet. Im Gebäude sind in den Räumen noch die vergangenen Produktionsbedingungen ablesbar. Funktionelle, aber veraltete bauliche Strukturen, die von den Arbeitsprozessen nur mehr andeutungsweise erzählen. Die Ankerbrot-Fabrik im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist ein ungeschliffenes Museum der Produktion. Sie war im April 2009 Schauplatz von unORTnung V, einer Serie von Ausstellungen, die von zwei Künstlerinnen aus dem Bedarf nach Möglichkeiten der Präsentation 2007 etabliert wurde. Veronika Barnas und Andrea Maria Krenn (bis Nov. 2008) haben in den letzten zwei Jahren Leerstände in Wien mit von ihnen kuratierten Ausstellungen „bespielt“. Bei unORTnung V war als Gastkurator Georg Schöllhammer (Chefredakteur der Kunstzeitschrift Springerin) geladen. Das Konzept der Initiatorinnen für die auf sechs Orte beschränkte Ausstellungsserie fußt auf der Verschränkung des von ihnen gesuchten und definierten Ortes mit den Beiträgen der teilnehmenden KünstlerInnen. Dies geschieht, wie es Georg Schöllhammer formuliert, mit einer „strengen Nonchalance“. Das Projekt wirkt mit einer gewissen Ambivalenz in den Stadtraum hinein. Das in der Beschreibung des Projekts verwendete Wort des Leerstandes als Auswahlkriterium für die Räume trifft auf die ausgewählten genauer zu als das negativ konnotierte Wort des Unortes. Vielmehr handelt es sich um eine Serie der unORTnung innerhalb der Regeln der städtischen Ordnung, wovon ja jeder Leerstand einen Teil darstellt.
Die Theorie des Ortes, als Bedeutungsträger im Gegensatz zum Nicht-Ort, trifft im Falle der Ausstellungsserie nur bedingt zu. Die Orte, die gesucht und gefunden wurden, entsprachen den Anforderungen der Organisatorinnen. Aus der Summe der Orte von unORTnung I-VI entsteht nun eine Abfolge, eine Serie, die Muster erkennen lässt. Die Ankerbrotfabrik ist nur ein Schritt in einer Abfolge von spezifischen städtischen Räumen. Das Muster der aufgefundenen und verfügbaren Leerstände oder Zwischenräume, die sich in einem Transformationsprozess befinden. So meint Georg Schöllhammer, dass es einer der großen Vorteile des Projektes ist, dass es einer gewissen Logik von Transformation in der Stadt folgt. Die unORTnungen fanden nur an Orten statt, an denen es zugelassen wird, so etwas Ungeordnetes stattfinden zu lassen. Etwas, das nicht kontrollieret werden kann. Die BesitzerInnen können sich zwar einen Image-Transfer erhoffen, aber sie begeben sich gleichzeitig auf ein unsicheres Terrain. Das folgt der Logik von Transformation in der Stadt. Die Ordnung, die dabei entsteht, bezieht sich auf Orte der Unordnung in der Stadt. Orte und Räume, die aus dem planerischen System der geordneten Funktion ausgetreten sind und sich in einer Phase des Übergangs befinden. Dieser Übergang birgt Chancen. Er kann eine Lücke für eine kuratorische, künstlerische Initiative in der Stadt jenseits der bekannten und regulierten Orte der Kunst sein. Er ist ein Raum in der Stadt, der zeitlich begrenzt als Ausstellungsort fungiert, statt ein nach klaren Regeln und Auslesemechanismen bespielter Ort der Kunst zu sein. Es ist auch nicht Kunst in einem geschichtslosen „Containerraum“.
Die Vorgabe der KuratorInnen, sich mit dem gegebenen Ort auch im Werk auseinanderzusetzen, fixiert die künstlerischen Äußerungen auf diesen einen kurzen Moment der freien Ausstellungsmöglichkeit. Der Ort und die Beiträge der KünstlerInnen treten in einen Dialog auf Zeit. Diese Auseinandersetzung findet in unterschiedlicher Intensität statt, unterscheidet sich jedoch bei jeder weiteren Ausstellung von den vorangegangenen. Die Unterschiedlichkeit der Orte generiert die Differenz der Charakteristik der Ausstellungen und zeigt sich auch in den Beiträgen der KünstlerInnen. Die Umgebung wird so mit in die Arbeiten und in den Ort der Ausstellung getragen. Die unORTnung verbindet sich mit dem Stadtteil, in dem sie stattfindet. So beschreibt Veronika Barnas die ursprüngliche Intention der Ausstellungsserie als ein Wechselspiel aus Interesse am Raum und auch mit dem Raum zu arbeiten und ihn gleichzeitig auch als Ausstellungsraum für die KünstlerInnen zu nutzen.
Ein Ort, der in der Serie zuvor als Störung erscheint, wie das leerstehende Restaurant an der Copa Kagrana, der eigentlich aufgrund seiner Monofunktionalität der Definition eines Nicht-Ortes nach Marc Augé am nächsten kommt, fügt sich, wenn die Ordnung der Leerstände als Zeitfenster in der Transformation gelesen wird, perfekt ein. Das Umfeld ändert sich und lässt an diesem Ort ganz andere Beiträge entstehen als in abgelegenen leerstehenden Räumen ehemaliger Produktionsstätten, die fast schon als Museen der fordistischen Ära fungieren. Damit ist die unORTnung eine Sammlung von künstlerischen Statements zu dem die Orte der Ausstellung umgebenden Stadtteil. Die Ausstellung ist damit selbst als Indikator für die Machbarkeit von Eigeninitiative in der Off-Szene innerhalb einer Stadt zu sehen. Es verwundert nicht, dass die bereits stattgefundenen Ausstellungen in Räumen der Hoffnung – also in den Räumen, deren Funktion überholt ist und die in eine neuen Funktion übergehen sollen – stattfanden. Die Hoffnung der Kuratorinnen, eine Ausstellung jenseits der reglementierten Räume zu ermöglichen, trifft einerseits auf die Hoffnung der einreichenden KünstlerInnen auszustellen, wie auch andererseits auf die Hoffnung der Personen und Institutionen, die einen Raum zu Verfügung stellen, diesem neue Funktionen zuweisen zu können. Das Projekt bewegt sich in jeder Hinsicht in einem Randbereich.
Für eine (verkürzte und vereinfachende) Kritik an einer einen möglichen Aufwertungsprozess unterstützenden, vermuteten Institutionalisierung von KünstlerInnen oder Kunst war das Projekt allerdings ein ungeeigneter Gegenstand. Einerseits führt die bewusste Vorgabe der InitiatorInnen an die teilnehmenden KünstlerInnen, ein Werk einzureichen, das sich auch mit dem Ort selbst beschäftigt, auch zu möglichen kritischen Beiträgen. Andererseits ist durch die kurze Laufzeit der Ausstellung keine große „Verwertungs- und Marketingchance“ gegeben. Zumeist wird der individuelle Faktor bei Aufwertungsprozessen gegenüber dem ökonomischen überschätzt (vgl. hierzu dérive Heft 4!). Eine mit dem mittlerweile schon zum unreflektiert verwendeten Schlagwort gewordenen Begriff der gentrification verkürzte Kritik an einer Initiative von Künstlerinnen, ausstellen zu wollen und dafür Räume in der Stadt zu suchen, greift sicher zu kurz. Einerseits sind an den meisten Orten die Prozesse schon gelaufen, wie bei der Ankerbrot-Fabrik, andererseits reagieren, wie Georg Schöllhammer meint, verschiedene Unternehmensstrukturen ja auch in den Stadtraum hinein, und aufgrund dieser differenzierten urbanen Faktoren sollte man nicht immer versuchen, nur mit generellen Theorien alles zu beschreiben. unORTnung bewegt sich entlang von Hoffnungsräumen, die in jeder Stadt vorhanden sind, kommen und wieder vergehen. Dass eine Ausstellung in der denkmalgeschützten und für die Produktion der Firma Ankerbrot nicht mehr geeigneten Fabrik stattfindet, die bereits vor der Ausstellung längst von einer Entwicklungsgesellschaft für eine Nachnutzung vorbereitet wurde, ist sicher kein herausragender Faktor in der zukünftigen Veränderung des zehnten Wiener Gemeindebezirkes. Es ist ein gravierender Unterschied, ob eine Ausstellung als einmalige Initiative einen Ort öffnet, BesucherInnen aus der Umgebung in das ehemalige Arbeitsumfeld oder den unbekannten, ehemals unzugänglichen Ort einlädt oder einen Stadtteil immer wieder zur Galerie umdeutet.
Die Ausstellungsserie springt also entlang von Orten der Transformation und Hoffnung durch die Stadt und öffnet auf Zeit für die Öffentlichkeit sonst geschlossene Orte. Dass parallel dazu der geregelte Kunstmarkt ebenfalls die Orte der Veränderung für sich entdeckt, scheint nicht weiter verwunderlich. Im Rahmen der viennafair wurde die ehemalige Markthalle in Wien Mitte als Ausstellungsort genutzt. Der Raum dient hier jedoch als Nebenschauplatz. Er ist eine Erweiterung des institutionellen Raums der Galerie.
UnORTnung wird mit seiner sechsten Folge einen Zyklus abschließen, der von Anfang an begrenzt gedacht wurde. Bis es sich einen neuen Ort sucht, um ein Fenster der Transformation zu nutzen. Das Thema aber ist wieder dasselbe: der Ort, in welcher Ausformung auch immer.
Der Artikel beruht auf einem im Mai 2009 geführten Gespräch mit Veronika Barnas und Georg Schöllhammer.
www.unortnung.net
Die Theorie des Ortes, als Bedeutungsträger im Gegensatz zum Nicht-Ort, trifft im Falle der Ausstellungsserie nur bedingt zu. Die Orte, die gesucht und gefunden wurden, entsprachen den Anforderungen der Organisatorinnen. Aus der Summe der Orte von unORTnung I-VI entsteht nun eine Abfolge, eine Serie, die Muster erkennen lässt. Die Ankerbrotfabrik ist nur ein Schritt in einer Abfolge von spezifischen städtischen Räumen. Das Muster der aufgefundenen und verfügbaren Leerstände oder Zwischenräume, die sich in einem Transformationsprozess befinden. So meint Georg Schöllhammer, dass es einer der großen Vorteile des Projektes ist, dass es einer gewissen Logik von Transformation in der Stadt folgt. Die unORTnungen fanden nur an Orten statt, an denen es zugelassen wird, so etwas Ungeordnetes stattfinden zu lassen. Etwas, das nicht kontrollieret werden kann. Die BesitzerInnen können sich zwar einen Image-Transfer erhoffen, aber sie begeben sich gleichzeitig auf ein unsicheres Terrain. Das folgt der Logik von Transformation in der Stadt. Die Ordnung, die dabei entsteht, bezieht sich auf Orte der Unordnung in der Stadt. Orte und Räume, die aus dem planerischen System der geordneten Funktion ausgetreten sind und sich in einer Phase des Übergangs befinden. Dieser Übergang birgt Chancen. Er kann eine Lücke für eine kuratorische, künstlerische Initiative in der Stadt jenseits der bekannten und regulierten Orte der Kunst sein. Er ist ein Raum in der Stadt, der zeitlich begrenzt als Ausstellungsort fungiert, statt ein nach klaren Regeln und Auslesemechanismen bespielter Ort der Kunst zu sein. Es ist auch nicht Kunst in einem geschichtslosen „Containerraum“.
Die Vorgabe der KuratorInnen, sich mit dem gegebenen Ort auch im Werk auseinanderzusetzen, fixiert die künstlerischen Äußerungen auf diesen einen kurzen Moment der freien Ausstellungsmöglichkeit. Der Ort und die Beiträge der KünstlerInnen treten in einen Dialog auf Zeit. Diese Auseinandersetzung findet in unterschiedlicher Intensität statt, unterscheidet sich jedoch bei jeder weiteren Ausstellung von den vorangegangenen. Die Unterschiedlichkeit der Orte generiert die Differenz der Charakteristik der Ausstellungen und zeigt sich auch in den Beiträgen der KünstlerInnen. Die Umgebung wird so mit in die Arbeiten und in den Ort der Ausstellung getragen. Die unORTnung verbindet sich mit dem Stadtteil, in dem sie stattfindet. So beschreibt Veronika Barnas die ursprüngliche Intention der Ausstellungsserie als ein Wechselspiel aus Interesse am Raum und auch mit dem Raum zu arbeiten und ihn gleichzeitig auch als Ausstellungsraum für die KünstlerInnen zu nutzen.
Ein Ort, der in der Serie zuvor als Störung erscheint, wie das leerstehende Restaurant an der Copa Kagrana, der eigentlich aufgrund seiner Monofunktionalität der Definition eines Nicht-Ortes nach Marc Augé am nächsten kommt, fügt sich, wenn die Ordnung der Leerstände als Zeitfenster in der Transformation gelesen wird, perfekt ein. Das Umfeld ändert sich und lässt an diesem Ort ganz andere Beiträge entstehen als in abgelegenen leerstehenden Räumen ehemaliger Produktionsstätten, die fast schon als Museen der fordistischen Ära fungieren. Damit ist die unORTnung eine Sammlung von künstlerischen Statements zu dem die Orte der Ausstellung umgebenden Stadtteil. Die Ausstellung ist damit selbst als Indikator für die Machbarkeit von Eigeninitiative in der Off-Szene innerhalb einer Stadt zu sehen. Es verwundert nicht, dass die bereits stattgefundenen Ausstellungen in Räumen der Hoffnung – also in den Räumen, deren Funktion überholt ist und die in eine neuen Funktion übergehen sollen – stattfanden. Die Hoffnung der Kuratorinnen, eine Ausstellung jenseits der reglementierten Räume zu ermöglichen, trifft einerseits auf die Hoffnung der einreichenden KünstlerInnen auszustellen, wie auch andererseits auf die Hoffnung der Personen und Institutionen, die einen Raum zu Verfügung stellen, diesem neue Funktionen zuweisen zu können. Das Projekt bewegt sich in jeder Hinsicht in einem Randbereich.
Für eine (verkürzte und vereinfachende) Kritik an einer einen möglichen Aufwertungsprozess unterstützenden, vermuteten Institutionalisierung von KünstlerInnen oder Kunst war das Projekt allerdings ein ungeeigneter Gegenstand. Einerseits führt die bewusste Vorgabe der InitiatorInnen an die teilnehmenden KünstlerInnen, ein Werk einzureichen, das sich auch mit dem Ort selbst beschäftigt, auch zu möglichen kritischen Beiträgen. Andererseits ist durch die kurze Laufzeit der Ausstellung keine große „Verwertungs- und Marketingchance“ gegeben. Zumeist wird der individuelle Faktor bei Aufwertungsprozessen gegenüber dem ökonomischen überschätzt (vgl. hierzu dérive Heft 4!). Eine mit dem mittlerweile schon zum unreflektiert verwendeten Schlagwort gewordenen Begriff der gentrification verkürzte Kritik an einer Initiative von Künstlerinnen, ausstellen zu wollen und dafür Räume in der Stadt zu suchen, greift sicher zu kurz. Einerseits sind an den meisten Orten die Prozesse schon gelaufen, wie bei der Ankerbrot-Fabrik, andererseits reagieren, wie Georg Schöllhammer meint, verschiedene Unternehmensstrukturen ja auch in den Stadtraum hinein, und aufgrund dieser differenzierten urbanen Faktoren sollte man nicht immer versuchen, nur mit generellen Theorien alles zu beschreiben. unORTnung bewegt sich entlang von Hoffnungsräumen, die in jeder Stadt vorhanden sind, kommen und wieder vergehen. Dass eine Ausstellung in der denkmalgeschützten und für die Produktion der Firma Ankerbrot nicht mehr geeigneten Fabrik stattfindet, die bereits vor der Ausstellung längst von einer Entwicklungsgesellschaft für eine Nachnutzung vorbereitet wurde, ist sicher kein herausragender Faktor in der zukünftigen Veränderung des zehnten Wiener Gemeindebezirkes. Es ist ein gravierender Unterschied, ob eine Ausstellung als einmalige Initiative einen Ort öffnet, BesucherInnen aus der Umgebung in das ehemalige Arbeitsumfeld oder den unbekannten, ehemals unzugänglichen Ort einlädt oder einen Stadtteil immer wieder zur Galerie umdeutet.
Die Ausstellungsserie springt also entlang von Orten der Transformation und Hoffnung durch die Stadt und öffnet auf Zeit für die Öffentlichkeit sonst geschlossene Orte. Dass parallel dazu der geregelte Kunstmarkt ebenfalls die Orte der Veränderung für sich entdeckt, scheint nicht weiter verwunderlich. Im Rahmen der viennafair wurde die ehemalige Markthalle in Wien Mitte als Ausstellungsort genutzt. Der Raum dient hier jedoch als Nebenschauplatz. Er ist eine Erweiterung des institutionellen Raums der Galerie.
UnORTnung wird mit seiner sechsten Folge einen Zyklus abschließen, der von Anfang an begrenzt gedacht wurde. Bis es sich einen neuen Ort sucht, um ein Fenster der Transformation zu nutzen. Das Thema aber ist wieder dasselbe: der Ort, in welcher Ausformung auch immer.
Der Artikel beruht auf einem im Mai 2009 geführten Gespräch mit Veronika Barnas und Georg Schöllhammer.
www.unortnung.net
Für den Beitrag verantwortlich: dérive
Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimer