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Der Standard

Wenn selbst die Industrie Architektur und Städtebau als Schlüssel zu einer ökologisch sinnvolleren Zukunft erkennt, beginnen sich die Kreise endlich zu schließen. Eine Analyse

31. Oktober 2009 - Ute Woltron
Vergangenen Montag lud der deutsche Elektronikriese Siemens gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Berlin zum „Future Dialogue“. Die Fragestellung: „Wie können Wissenschaft, Wirtschaft und Politik enger kooperieren und gemeinsam die entscheidenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen?“

Bemerkenswert waren nicht nur ein paar hochkarätige Referenten, sondern vor allem der Umstand, dass den Bereichen Städtebau und Architektur ein vorderster Rang eingeräumt wurde. Das ist die viel gedemütigte und von Politik und Kommerz gleichermaßen gegängelte Szene der Planerinnen und Planer wahrlich nicht gewohnt. Doch jetzt ist die Zeit offenbar reif, das spiegelglatte Parkett von Wirtschaft und Politik, von Geld und Macht zu betreten und sich aktiv einzumischen in den lebenswichtigen Diskurs darüber, wie es mit diesem prachtvollen Planeten weitergehen soll.

Die Architektur hat wie kaum eine andere Disziplin das Zeug dazu. Architekten, allerdings nur exzellent ausgebildete, denken nie in Häusern, sondern in Systemen. Sie werden darauf gedrillt, für komplexeste Anforderungen schlüssige Lösungen zu entwerfen, in deren Zentrum immer der Mensch, der Nutzer und seine Bedürfnisse zu stehen haben. Diese nur durch beste Schulung und lange Übung perfektionierte Gabe, systemisch zu denken und die unterschiedlichsten Faktoren zu einem ökonomisch wie ökologisch sinnvollen Ganzen zusammenzuspannen, ist das eigentliche Kapital der Architektur. Denn das kann, in dieser Ausprägung, sonst kaum jemand.

Die Architekturszene selbst hat es jedoch in den vergangenen Jahren größtenteils nicht vermocht, das zu vermitteln. Architekturkongresse sonder Zahl befassten sich zwar exakt mit den relevanten Problemen unserer Zeit, kochten jedoch trübselig im eigenen Saft, während auf den großen Immobilienmessen glanzvoll mit Milliardenprojekten jongliert wurde, die mit Architektur gewöhnlich etwa so viel zu tun haben wie Meinl European Land mit Anlegerinteressen.

Aus diesem Grund ist die Bemühung des Berliner Zukunftsdialogs, endlich Wirtschaft, Forschung, Politik und Architektur auf höchstem Niveau zusammenzuspannen, gar nicht hoch genug zu rühmen.

San Francisco zeigt den Weg

Eine überzeugende Performance lieferte etwa Paul Pelosi als Präsident der Umweltkommission von San Francisco. Die Bekämpfung des Klimawandels beginne in den Städten, meinte er eindringlich. Vor etwa 15 Jahren habe man in seiner Stadt damit begonnen, alles unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, vom kommunalen Einkauf bis hin zu Architektur und Städtebau. Heute ist San Francisco nachweislich eine der „grünsten“ Städte der USA. Die Treibhausgasemissionen liegen knapp 20 Prozent unter den Werten der 90er-Jahre. Die Kioto-Vorschriften wurden nicht nur erreicht, sondern unterschritten. Wie geht das?

Ein Beispiel: Wenn früher große Bauvorhaben ausgeschrieben wurden, so Pelosi, hätte der Billigstbieter gewonnen. Heute würde man gründlicher, weil langfristig, nachrechnen. Sparen Gebäude Energie, macht es nichts, wenn die Herstellungskosten ein wenig höher liegen. Denn, so Pelosi, damit sänken die Betriebskosten, die Investoren würden langfristig mehr sparen, als sie zusätzlich investiert haben: „Und das ist es, womit du deine Anleger glücklich machst.“

So etwas ist lediglich eine Facette in einem großen System und funktioniert nicht über nationale Dekrete. Ansätze wie dieser gehen von den Städten selbst aus. Setty Pendakur, Stadtplaner und Experte für Urbanisierungsthemen in Entwicklungsländern, verlieh dem Nachdruck: „Überall wo Regierungen involviert sind, dauert alles Jahre.“ Außerdem könne keine Stadt mit der anderen direkt verglichen werden. Jede Stadt, jede Region muss ihre eigenen Probleme analysieren und eliminieren.

San Francisco beispielsweise hat zwar das öffentliche Verkehrssystem massiv verbessert, leidet jedoch immer noch unter zu hohem Individualverkehr. Die Leute arbeiten im Zentrum, wohnen in den Außenbezirken. „Angesichts des Pendlerproblems haben wir den Unternehmen die Frage gestellt, wie oft die Leute tatsächlich ins Büro kommen müssen oder ob nicht Fahrten gespart werden können dank Internet und Videokonferenzen.“ Das Prinzip lautet: Wer verursacht, muss dafür zahlen. Pelosi: „Wir richten die Gesetzeslage strikt danach aus.“

Das mag zwar die einen schmerzen, freut aber die vielen anderen. Denn abseits aller politischen Querelen und im ewig selben Kreise bleibender Pirouetten der Regierenden formiert sich sehr wohl langsam, aber sicher eine große und starke Zivilgesellschaft, die letztlich die Nase voll hat von nie eingelösten Versprechen, und die aktiv daran mitzuarbeiten beginnt, Städte nach den Bedürfnissen der Bevölkerung umzupolen.

Nackter ziviler Protest

Wenn beispielsweise rund um den Globus zigtausende Menschen jedes Alters aus der Wäsche schlüpfen und den nackten Protest auf die Fahrräder schwingen, dann mag das nur eines von vielen kleinen, aber deutlichen Signalen für die herrschenden Kasten sein, dass es irgendwann reicht, dass Systeme verändert werden sollen - und nicht Individualbefindlichkeiten.

Unternehmen wie Siemens tun ihrerseits gut daran, in genau diesen Drive zu investieren. Sie tun das freilich nicht nur aus Nächstenliebe. „Die Green Technology ist die Zukunftshoffnung für Siemens“, gab sich Vorstandsvorsitzender Peter Löscher überzeugt. Große Chancen lägen in den jetzt gerade aufstrebenden Märkten, aber gerade auch in der Befriedigung der Bedürfnisse des einzelnen Konsumenten.

Beispiel: Wenn jeder Haushalt dank moderner Technologie jederzeit ablesen kann, wie viel Energie er gerade verbrät, werden sich Bewusstseinszustände und damit Gewohnheiten verändern. San Francisco hat derlei Tools bereits im Einsatz. Bei hohem Stromverbrauch leuchtet zu Hause das Warnlicht auf.

Ob die Zukunft tatsächlich im Umpolen erdölgetriebener Individualmobilität hin zum Elektroauto liegt, ob Sonnenstrom aus Afrika wirklich die optimale Lösung für Europas Energieprobleme darstellt, muss dabei allerdings diskutiert werden. Fest steht jedoch, dass nur ein vernetztes, gekoppeltes Know-how diese Welt in der uns bekannten Form wird retten können. Die Architektur, vor allem die Art und Weise, wie Städte gebaut, optimiert, verändert werden können, ist hier eine Schlüsseldisziplin. Mehr als die Hälfte der Menschheit wohnt in der Stadt. Wie gehen wir mit Mobilität um? Wie setzen wir die unglaublichen Möglichkeiten moderner Kommunikationstools ein? Wie gestalten wir, ressourcenschonend und langfristig gedacht, die Lebensräume für alle, ganz Alte wie ganz Junge?

Referenten wie der geschwätzige Daniel Libeskind haben dazu zwar nichts beizutragen, doch die Architekturszene besteht nicht nur aus Stararchitekten. Die besten der Branche abseits medialer Vexierspiegel zu finden und mit ihnen den Dialog zu führen wird Teil der Herausforderung sein.

Dennis Meadows, US-Ökonom und vielzitierter Autor der 1972 veröffentlichten Studie „Die Grenzen des Wachstums“, warnte vor jeglichem nicht gründlich Geplantem: „Alles was kurzfristig gedacht ist, geht erwiesenermaßen langfristig schrecklich schief.“ Auf dem Weg in eine ökologischere Zukunft würden sicher auch Fehler gemacht: „Doch gerade deshalb ist es wichtig, dass wir künftig in einer Gesellschaft leben, die Fehler akzeptiert und daraus lernt. Dafür müssen wir unsere Regierungen fit machen.“ Alle Bemühungen, die Treibhausgasemissionen in den Griff zu bekommen, allein auf Technik zu reduzieren, seien jedenfalls zum Scheitern verurteilt.

Was langfristig verändert werden muss, sind die großen Systeme, die Städte, unsere Lebensweisen und Gewohnheiten. Die Architektur mit ihren besten Denkern ist ein elementarer Teil des Teams. Wenn die Industrie das erkannt hat, wenn die Politik vernünftig mitzieht, sind wir bereits wieder einen Schritt weiter.

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