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Komplexe entwerferische Strategien
Komplexe entwerferische Strategien © Bauart Architekten
Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten und Projekte der Berner Architektengruppe Bauart

Entwerfen bedeutet die Berücksichtigung sämtlicher das Bauen bestimmenden Parameter. Dieses Credo bestimmt die Projekte der 1987 gegründeten Berner Architektengruppe Bauart. Es findet seinen Niederschlag gleichermassen in ihrem unlängst als Prototyp realisierten «smallhouse.ch» oder im Bundesamt für Statistik in Neuenburg.

9. April 2000 - Hubertus Adam
Serienfertigung und Präfabrikation sind Voraussetzungen für kostengünstiges Bauen. Doch viele der historischen Versuche, vorgefertigte Elemente in der Architektur einzusetzen, müssen als gescheitert angesehen werden: Walter Gropius kapitulierte bei einigen seiner Projekte angesichts unzulänglicher technischer Möglichkeiten, Ernst Mays Frankfurter «Häuserfabrik» wurde durch den Widerstand des Handwerkerstands lahmgelegt, der durch die Industrialisierung des Bauens in der Zeit der Wirtschaftskrise seine Existenz bedroht sah. Von derlei Problemen abgesehen ist indes zu konstatieren, dass es lange Zeit nicht gelang, eine der Vorfertigung adäquate Ästhetik zu entwickeln. Erst Konrad Wachsmann entwickelte schliesslich in den USA mit dem Raumtragwerk ein modulares Konstruktionsprinzip, das sich beliebig dreidimensional erweitern liess.


Bauen mit Modulen

Gleichwohl zeitigten die Versuche eines präfabrizierten Bauens weiterhin nur selten überzeugende Ergebnisse: bald wirken die Gebäude provisorisch, banal und barackenhaft, dann wieder suchen die Entwerfer das seriengefertigte Produkt mit dem erborgten Anschein des Unikats zu nobilitieren. Gerade im privaten Hausbau widerspricht der durch Vorfertigung hervorgerufene Charakter des Ephemeren den Interessen vieler Klienten, die ihr Domizil als Ausdruck von Solidität, Stabilität und Dauerhaftigkeit verstehen - selbst wenn die Qualität gemeinhin verwendeter Baumarktprodukte mit der vielgeforderten Nachhaltigkeit nicht das geringste zu tun hat.

Das von der Berner Architektengruppe Bauart unlängst als Prototyp realisierte «smallhouse.ch» stellt einen beachtenswerten Versuch dar, diesem Dilemma zu entkommen. Trotz seiner extrem reduzierten Wohnfläche bietet der zweigeschossige Holzkubus ein Mass an räumlicher Opulenz und Eleganz, das manches herkömmliche, scheinbar grosszügiger geschnittene Einfamilienhaus in den Schatten stellt. Dadurch, dass die Entwerfer auf Flure verzichteten und Erd- sowie Obergeschoss lediglich durch eine offene Küche und die Nasszelle unterteilten, entstehen geradezu beiläufig vier Räume oder vielmehr Nutzungsbereiche, denn auf weitere Unterteilungen wurde im Inneren verzichtet. Nicht zuletzt dank dem offenen Treppenschacht und den grossen Fensterflächen, welche die gesamte Stirnseite einer Etage einnehmen können und den Innenraum nach aussen hin entgrenzen, wird jeder Eindruck von Beengtheit vermieden - das «smallhouse.ch» präsentiert sich nicht als hermetische Kiste, sondern als fliessendes Kontinuum, sozusagen als freigestellte Maisonettewohnung. In zwei Teilen angeliefert, müssen die beiden vollinstallierten Geschossboxen vor Ort nur noch über der gegossenen Bodenplatte placiert werden. Einzusetzen wäre das für gut 100 000 Franken herstellbare «smallhouse.ch», dessen reduzierte Formensprache auf Grund ihrer Neutralität die Verwendung an unterschiedlichen Standorten erlaubt, als (temporäre) Erweiterung eines schon bestehenden Gebäudes, aber auch als Wohnhaus für eine oder auch für zwei Personen.

Die Erforschung und Anwendung der Leichtbauweise zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre der 1987 gegründeten Architektengruppe Bauart, die heute von Peter C. Jakob, Matthias Rindisbacher, Willi Frei und Marco Ryter geleitet wird. Ein Doppelwohnhaus in Mühlethurnen/BE - von Jakob 1986, also noch vor Gründung der Arbeitsgemeinschaft, realisiert - besteht aus einem modularen Holzskelett und basiert auf einem Würfelraster, das eine flexible Raumaufteilung gewährleistet. Wieder aufgegriffen wurden derartige Gedanken, nachdem Bauart 1990 den Wettbewerb für das Bundesamt für Statistik in Neuenburg gewonnen hatte. Als Provisorium für die Planungsstellen des Bundesamtes und das Zweigbüro der Architekten sollte (nach Abwägung ökologischer, funktionaler und ästhetischer Belange) statt der üblichen stählernen Baucontainer ein hölzerner Bau errichtet werden.

Mit kompakten Zellen von 6 Metern Länge, 3,80 Metern Breite und 3,45 Metern Höhe lassen sich Innenräume beliebiger Grösse erzeugen. Dieses Konzept wurde als «Züri-Modular» weiterentwickelt, um mit Behelfsbauten dem Mangel an Klassenzimmern in Zürcher Schulhäusern zu begegnen; in Thun entstanden verschiedene städtische Einrichtungen - Kindergarten, Jugendtreff, Schulerweiterung nach einem ähnlichen System.


Ästhetik und Ökologie

Das umfangreichste Bauvorhaben konnte Bauart mit dem Bundesamt für Statistik realisieren. Der Neubau befindet sich oberhalb der Altstadt von Neuenburg, unmittelbar östlich des Bahnhofs. Wie auch bei ihrem Projekt für die Neugestaltung des Bahnhofs Aarau operierten die Architekten mit einem langgestreckten, streng horizontalen Gebäude, in dessen Gliederung sich der Rhythmus des benachbarten Geleisefelds zu spiegeln scheint. Die gerade, den Schienen zugewandte, 240 Meter lange Front des Gebäudes ist mit Profilitplatten verkleidet, hinter denen die braunen Holzfaserzementplatten der Fassade hervorschimmern. Demgegenüber wird die der Stadt zugewandte, dem geschwungenen Strassenverlauf folgende elegante Südfassade durch auskragende Geschossplatten bestimmt, hinter denen die gereihten Fenster zurücktreten. Die aus Beton bestehenden Geschossplatten dienen nicht nur als Sonnenschutz, sondern unterstreichen auch die Horizontalität der Gebäudemasse. Indes geht es den Bauart-Architekten nicht vordergründig um ästhetische Belange; Entwerfen und Planen bedeutet für sie, sämtliche das Bauen bestimmenden Parameter miteinander in Einklang zu bringen und somit zu optimieren.

Dies setzt einen intensiven Dialog mit dem Bauherrn voraus - ohne den die Berner Architekten die Idee wohl kaum hätten durchsetzen können, die Erdgeschosszone als öffentlichen Bereich mit Publikumsverkehr zu gestalten. Dies erfordert aber auch die Berücksichtigung ökologischer Aspekte. Das Gebäude des Bundesamtes für Statistik beweist beispielhaft, dass die vielgeforderte Nachhaltigkeit nichts mit einem romantisierenden Verständnis von Ökologie zu tun hat, sondern das Wissen um komplexe Steuerungskreisläufe, Energiebilanzen, Lebenszyklen von Materialien sowie Baustellenlogistik voraussetzt. Derartige Überlegungen begannen schon vor Baubeginn: Das Abbruchmaterial des auf dem Areal befindlichen Güterschuppens wurde vor Ort an Interessenten zur Wiederverwendung abgegeben. Ausserdem legte man fest, den Transport der Baustoffe grösstenteils über die Bahn erfolgen zu lassen und auf Grund der Bahnhofsnähe die Anzahl der Parkplätze zu halbieren.

Ausgestattet ist der Neubau mit allen Finessen, die eine umweltverträgliche Architektur heute aufweisen sollte: einer Sonnenkollektoranlage, die gut 65 Prozent des Energiebedarfs deckt, einem Regenwasserspeicher für die WC-Spülungen und einer weitgehend natürlichen Belüftung. Darüber hinaus achtete man bei der verwendeten, auf ein Minimum reduzierten Produktpalette auf Rezyklierbarkeit: Trennbare Materialien wurden Verbundstoffen vorgezogen. - Entstanden ist nicht nur ein ökologisch überzeugendes und formal ansprechendes, sondern auch ein funktionales Gebäude. Die Divergenz des geraden (nördlichen) und des geschwungenen Bürotraktes lässt in der Mitte Raum für helle Lichthöfe, Erschliessungskerne oder Kopierräume. Im obersten Geschoss, das zum Geleisefeld hinausragt, finden sich Sitzungssäle und das Betriebsrestaurant, dem eine beplankte Dachterrasse über dem aufgeständerten Ostflügel vorgelagert ist. Weiterer Raumbedarf des Bundesamtes für Statistik hat nun dazu geführt, dass in den kommenden Jahren auch der Hochhausturm nach Entwürfen von Bauart realisiert werden wird, der, den Bürokomplex westwärts fortsetzend, am Bahnhofsplatz als vertikale Dominante fungiert und in seinem obersten Geschoss ein öffentliches Bistro beherbergen wird. Ausserdem planen die Berner Architekten eine Wohnsiedlung auf einer dem Bundesamt östlich benachbarten Geländeterrasse.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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