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Das Mascherl abgelegt
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Devoter Schüler, dominanter Meister? Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Architektur am Beispiel Clemens Holzmeisters und seiner Studenten Holzbauer, Spalt und Kurrent.

12. März 2010 - Iris Meder
Am Ende trugen sie das „Holzmeister-Mascherl“ um den Hals. Nachzusehen in der hervorragenden Monografie zur „Arbeitsgruppe 4“,die jüngst zur Ausstellung im Architekturzentrum Wien erschienen ist. Das Foto zeigt die Mitglieder der Arbeitsgruppe gemeinsam mit ihrem Lehrer 1952 bei der Diplomverleihung an der Wiener Kunstakademie. Friedrich Achleitner bringt es in dem Band auf den Punkt: „Er kam pro Semester einmal zur Korrektur, ein auratischer Auftritt, wobei er uns zeigte, wo der ,architektonische Gott‘ wohnt.“ Clemens Holzmeister kannte offenbar auch die Wohnadresse der Herrenmode – ebenso übrigens wie Adolf Loos, mit dem ihn ansonsten wenig verband, wohl aber der durchaus bewusst eingeforderte Meisterstatus seinen Schülern gegenüber.

Wahre Nibelungentreue kennzeichnete schon das Verhältnis von Otto Wagners Schülern zu ihrem Lehrer. „Wir wollen die Aufgabe erfüllen, zu der er uns berufen hat, durch Tat und Wort und Schrift seinen Geist verkünden, sein Werk fördern“, kündigte in zeittypischem Pathos Karl Maria Kerndle im Wagnerschule-Portfolio für die Studienjahre 1902–04 an, und Teo Deininger jubelte im selben Ton: „Eine Schar kampfeslustiger, siegesbewusster Männer, mit unserem Meister als Führer und Lenker an der Spitze, kam herangebraust, alles niederwerfend, was sichihnen in den Weg stellte. Heil unserem hochverehrten Meister! Heil Otto Wagner, Heil!“

Nach dem Zweiten Weltkrieg war so eine ungebrochene Begeisterung nicht mehr möglich. Die durch den Weggang von Otto Leitner bald auf drei Mitglieder reduzierten „Dreiviertler“ der Arbeitsgruppe4 legten das Mascherl ab und forderten den einstigen Lehrer durch eigenständige architektonische Auffassungen heraus. 1955 reisten sie als Vertreter des österreichischen Architekturnachwuchses zumCIAM-Kongress nach La Sarraz. Gerade mal Mitte zwanzig, besaßen sie durchaus das nötige Selbstbewusstsein, den Bauherren eines von ihnen eingerichteten Kaffeehauses wie eines Musikaliengeschäfts ihren eigenen Namen, „3/4“, aufs Firmenschild zu bringen. Als Friedrich Kurrent – er trug damals eine Art verwuschelte Punkfrisur –, Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer ihrem Lehrer die Pläne zum Betontor der Kirche in Salzburg-Parsch zeigten, drohte der entsetzte Holzmeister ihnen für den Fall der Realisierung mit dem Aberkennen des Holzmeister-Schüler-Status.

Die von Oskar Kokoschka gestalteten Betontore wurden gebaut. Holzmeister überlebte den Schock. Sein Aufbrausen erklärt sich zumindest teilweise aus der katholischen österreichischen Tradition, in der Loyalität innerhalb der Hierarchie einer Lehrer-Schüler-Beziehung nur als Jüngertum denkbar ist. Dennoch ist es der Holzmeister-Schule zugute zu halten, dass sie keine Regimenter von Miniatur-Clemensen hervorbrachte. Im Gegenteil – nahezu die gesamte relevante österreichische Nachkriegsarchitektur scheint sich aus dem Holzmeister-Pool generiert zu haben, mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie, neben Kurrent, Spalt, Holzbauer, Leitner und Achleitner, Rudolf Baumfeld, Ernst Plischke, Carl Appel, Georg Lippert, Eugen Wörle, Hans Hollein, Gustav Peichl, Josef Lackner, Heinz Tesar, Anton Schweighofer und Johann Georg Gsteu.

Friedrich Kurrent und Johannes Spalt beschäftigten sich zunehmend auch mit der verschütteten Tradition der österreichischen Vorkriegsarchitektur, gerade auch mit der aus dem liberalen jüdischen Bürgertum gespeisten skeptischen Moderne um Adolf Loos und Josef Frank. Holzmeister hatte die Größe, auf ihre Initiative hin 1965 die Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Josef Frank zu ermöglichen. Unter der Bedingung, dass man Frank nichts von Holzmeisters Unterstützung sagen dürfe, da dieser den Preis sonst womöglich abgelehnt hätte. Ebenso wie Ernst Plischke verachtete Josef Frank seinen einstigen Studienkollegen Holzmeister lebenslang. Auslöser war wohl dessen Engagement im „arischen“ „Neuen Werkbund Österreichs“ während der Zeit des Ständestaats.

Holzmeister bot allerdings im türkischen Exil auch politisch oder „rassisch“ verfolgtenArchitekten und Architektinnen wie Margarete Schütte-Lihotzky, Herbert Eichholzer, Stephan Simony und Fritz Reichl Schutz und Unterstützung durch eine Beschäftigung in seinem Büro. Die Verachtung mancher trug er offenbar souverän – einerseits die seiner Person, andererseits die seiner Architektur, die selbst sein Büroleiter Max Fellerer nicht wirklich goutierte. Im Pädagogischen lag seine Stärke, trotz seiner dominanten Persönlichkeit, vor allem im Vermitteln der Fähigkeit zu eigenständigem Arbeiten. Dazu gehörte auch das Akzeptieren divergenter Positionen. Nicht umsonst zählen die besten unter Holzmeisters Schülern zur Tradition einer unorthodoxen Moderne, die Dogmen misstraute und unkorrumpierbar war. Das konsequente Verfolgen der eigenen Überzeugungen ist dabei verbunden mit tiefem Respekt gegenüber der Tradition der österreichischen Moderne.

Auf der anderen Seite ist auch im Muster von devoten Schülern dominanter Meister eine Kontinuität bis in die Gegenwart zu erkennen, vor allem in der Nachfolge von Trademark-Architekten. Deren Arbeit scheintin erster Linie die schematische Anwendungvon wiedererkennbaren, fototauglichen Motiven zu sein, mit dem Ziel einer „Star“-Qualität zur Gewinn- und Imagemaximierung sowohl für Investoren wie für die Planenden.

Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass, gerade auch durch Holzmeister-Schüler wie die Arbeitsgruppe 4, in Österreich eine Architektur bedeutend werden konnte, die an diesem Starkult nicht interessiert ist. Zahlreiche Zeugnisse sind in der derzeit laufenden „a4“-Ausstellung in Plänen, Fotografien und Modellen zu sehen: Mehrzweckhallen, Kirchen, Seelsorgezentren, Schulen. Kaum zu glauben, dass Projekte wie der seinerzeit mit dem zweiten Preis ausgezeichnete „a4“-Entwurf für den Neubau des Historischen Museums der Stadt Wien vor bald 60 Jahren entstanden. Oder die leider ebenfalls nicht realisierten Konzepte der „Wohnraumschulen“. Freiluftklassen und Wintergärten treten dort an die Stelle des herkömmlichen Schulschemas mit an Gängen aufgereihten Klassenräumen. Ähnlich empfand man in der Nachkriegszeit wohl die vergessene Vorkriegsmoderne: Man meint, nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zu sehen.

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