Artikel

Ein Schiff auf Stelzen
deutsche bauzeitung

Sommerhaus in Klosterneuburg

Die historische Strandbadsiedlung liegt mitten im Überschwemmungsgebiet der Donau. Die Bauaufgabe, dort einfache und erschwingliche Wochenendhäuser auf Stelzen zu bauen, wird von jeder Generation neu interpretiert. Das jüngst dort entstandene Sommerhaus auf einer Grundfläche von gerade einmal 35 m² wirkt trotz dem äußerst ökonomischen Umgang mit Raum und Material nicht billig und holt den Charme des Ortes bis tief hinein in die wohlproportionierten Wohnbereiche.

6. Oktober 2010 - Wojciech Czaja
Die Strandbadsiedlung in Klosterneuburg, wenige Kilometer nördlich von Wien, blickt auf eine stolze Geschichte zurück. Mitten im Überschwemmungsgebiet der Donau siedelten sich in den 20er Jahren ruhebedürftige Wochenendemigranten aus der Großstadt an, die die Nähe des Wassers mit all ihren Nachteilen zu lieben und zu schätzen wussten. Die nassen Eskapaden der Natur ließen einen Bautypus gedeihen, der bis zum heutigen Tag nur hier vorzufinden ist und nirgendwo sonst in Österreich: das Kleingartenhaus auf Stelzen. Durch die mehrmalige Wiederkehr von Jahrhundert-Hochwassern fällt die clevere Vorausplanung der alten Tage allerdings ins Wasser: Die meisten der angehobenen Häuschen befinden sich schlichtweg zu nah am Boden. Wenn mehrmals im Jahr ungebetene Gäste ins Haus schwimmen, drängt sich die Frage auf, ob die gewählte Bauform wirklich die richtige ist. Marion Weiss-Döring weiß, wovon sie spricht. »Bei Hochwasser hatten wir regelmäßig die Donau im Wohnzimmer«, erinnert sich die 38-jährige Bauherrin. »Obwohl wir das Grundstück mit der primitiven Wochenendhütte darauf nur gekauft haben, um darin ein paar ruhige Stunden zu verbringen, haben wir uns hier nicht wahnsinnig wohl gefühlt.« Eines Tages war eine Entscheidung fällig. Umbauen und erweitern? Oder doch lieber abreißen? Es siegte der Drang nach Neubeginn.

Auf einer Grundfläche von nur 35 m² komponierte das kleine Wiener Architekturbüro Schuberth und Schuberth ein kleines Konglomerat aus hölzernen Kisten zu einem nahezu vollwertigen Haus mit gerade einmal 56 m² Nutzfläche. »Die Bauvorschriften im Hochwasserschutzgebiet sind streng und kompliziert«, sagt Johanna Schuberth. Während für die baurechtliche Bewilligung der beiden Wohngeschosse die Baubehörde zuständig war, unterliegt das UG dem Wasserrecht. Für die Architekten bedeutete das doppelte Arbeit. Trotz seiner überschaubaren Größe musste das Projekt zwei vollständige, voneinander getrennte, Verfahren durchlaufen.

Auch optisch hat das Oben mit dem Unten nur wenig zu tun. »Vieles an diesem Entwurf war vorgegeben«, sagt Schuberth. »Die architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten im Sockel sind gering. Hier unten regiert das Wasser.« Der wasserdichte Betonsockel, in den die Architekten das Bad integrierten, darf maximal 3 m breit sein und muss parallel zur Fließrichtung der Donau liegen – eine Vorsichtsmaßnahme für den Hochwasserfall. Auch bei der außenliegenden Treppe war gestalterisches Geschick gefragt. Um den Strom nicht zu behindern, musste auf Geländerfüllungen und Setzstufen verzichtet werden. Allein diesen Sommer gab es bereits vier Überschwemmungen. Bei einer Jahrhundertflut wie 2002 reicht das Wasser bis knapp unter die Bodenplatte der Wohnebenen. Man ist gewappnet: Unter dem Haus steht das gelbe Schlauchboot bereit.

Einfach – Durchdacht – Punktgenau

Ab dem 1. OG ist das schlichte Gebäude – es würde glatt als Vorarlberger Projekt durchgehen – an der Außenseite mit vertikalen Lärchenlatten bekleidet. Innen hingegen, wo eine zusätzliche Bekleidung nicht nötig war, zeigt es sein wahres Gesicht. Dreischichtplatten aus Sperrholz prägen Wand und Decke, verleihen dem Haus einen angenehm harzigen Geruch – sie werden demnächst noch ein letztes Mal geölt. »Wir wollten die Konstruktion so belassen, wie sie ist«, sagt Johanna Schuberth. »Das hat in dem Fall aber nicht nur etwas mit der vielzitierten Materialauthentizität zu tun, sondern ist vor allem ein Kostenfaktor. Das Material hat den Vorteil, dass der gesamte Innenraum bis zur letzten Schicht zimmermannsmäßig fertiggestellt werden kann – ohne zusätzliche Bekleidung und dementsprechend günstig.«

Aufgrund der freundlichen und natürlichen Gestalt wirkt das Wohngeschoss trotz seiner beschränkten Grundfläche von nur 35 m² luftig und hell. Nicht einmal die niedrige Raumhöhe von 2,10 m unter der gedämmten Terrasse beziehungsweise von 2,28 m unter der unverkleideten Geschossdecke fällt unangenehm ins Auge. Von Klaustrophobie keine Spur. Ganz im Gegenteil: Die Proportionen passen, die Atmosphäre ist angenehm, der räumliche Gesamteindruck ist eine ausgewogene Gratwanderung zwischen gläserner Offenheit und nischenhafter Intimität. Meistens aber halten sich Marion Weiss-Döring, ihr Mann und die beiden Söhne Luis (3) und Kilian (6) draußen auf der Terrasse auf. »Aber wenn es kühler wird, dann setzen wir uns oft zu viert ins Wohnzimmer und schauen raus in die Natur. Die Stimmung ist einfach perfekt.«

Im Küchenerker, der wie eine Kommandobrücke über dem Garten schwebt, lässt sich das Fenster vor dem Herd per Gasdruckfeder vollflächig nach oben klappen und erzeugt dadurch ein gewisses Open-Air-Feeling. Draußen auf der Terrasse entsteht gleichzeitig ein partieller Witterungsschutz. Detail am Rande: Sobald es regnet, wird das Fenster zugeklappt. Dann packen Mann und Frau an und tragen den Esstisch durch die 1,20 m breite Eingangstür ins Wohnzimmer. »Das haben wir uns von Anfang an so gewünscht«, sagen sie. »Wer braucht in so einem kleinen Haus schon zwei Tische? Es reicht einer für drinnen und draußen.«

Charmant gelöst sind auch die üblicherweise störenden Revisionsöffnungen und Zählerkästen. Sie sind ebenfalls aus Holz und millimetergenau in den Rohbau des Hauses hineingefräst. Der taubenblaue Kautschukboden mit seiner charakteristischen, haptisch angenehmen Hammerschlagoberfläche soll den Architekten zufolge an die Nähe des Wassers erinnern. Und der graue Naturfilz vor den Garderobennischen ist Marke Eigenbau. Statt das Geld für kostspielige Beschläge auszugeben, wurde eine Studentin von der Universität für Angewandte Kunst in Wien mit den Näharbeiten beauftragt. »Viele Detaillösungen an diesem Haus sind einzigartig«, sagt der Architekt Gregor Schuberth. »Mit einem herkömmlichen Handwerkerbetrieb kann man so etwas kaum durchführen. Hier braucht es Witz, Engagement und Risikobereitschaft.«

Wie z. B. auch beim Möbelbau. Aufgrund des einfachen additiven Systems des Gebäudes konnten sämtliche Betten und Schranknischen direkt vom Zimmermannsbetrieb mitgemacht werden. Dadurch konnte man auf wesentlich teurere Möbeltischlerarbeiten verzichten. Schuberth: »Auch für den Zimmermann war das eine Premiere. Noch nie mussten seine Leute so genau arbeiten wie hier auf dieser Baustelle. Es hat geklappt.« Umso unverständlicher angesichts der sonst vorherrschenden Schlichtheit sind die blau gebeizten Holzflächen im Treppenbereich. Das ist eine oberflächliche Behübschungsmaßnahme, die das Haus wahrlich nicht nötig hat. Auch die Skepsis der Bauherrin der Farbe gegenüber hat sich noch nicht ganz gelegt.

Durch ein Treppenhaus mit diffusem Tageslicht-Adagio geht es hinauf ins 2. OG. Die Seitenwände entlang des Stiegenlaufs sind mit 4 cm dicken Stegplatten verkleidet. In bauphysikalischer Hinsicht entspricht der sechs Kammern starke Bauteil einer herkömmlichen Zweischeiben-Verglasung. Baubehörde und Nachbarschaft sind zufrieden. Die einen erhalten einen Plan mit allen baurechtlichen Konformitäten, die anderen eine abendliche Laterne mit weiss-döringschem Schattenspiel.

Oben wird es noch kompakter. Die beiden Schlafkojen für die Eltern sowie die beiden Kinder messen je 6 m² und wurden um die Betten herumgeplant. Nirgends geht 1 cm² verloren, alles ist bis zur letzten Fuge mit Nachtkästchen, fahrbaren Laden und wenigen, aber geschickt platzierten Steckdosen ausgestattet. Die Bauherrin erinnert sich: »Bei Betrachten der Pläne haben wir uns ständig gefragt, wie man auf so kleinen Flächen zurechtkommen kann.« Man kann. Dank der Raumhöhe von 2 m und den schmalen Oberlichtern wähnt man sich in einer gemütlichen Schiffskajüte. Stimmiger kann eine Metapher nicht sein.

Noch ist das Haus der Familie Weiss-Döring ein Kleingartenhaus für sommerliche Nutzung. Doch der Bau ist so konzipiert, dass eine winterfeste Nachrüstung mit frostsicheren Zuleitungen und einer zusätzlichen Wärmedämmung jederzeit möglich ist. Sobald das Haushaltsloch gestopft ist, bekommt das Haus Mütze und Schal umgebunden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: