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In Szene gesetzt
hochparterre

Ein Blick in die kleine, aber aktive Welt der Szenografen und Ausstellungsgestalterinnen. Was sie tun, wie sie es tun und für wen sie am Medium Ausstellung weiterdenken.

8. November 2010 - Meret Ernst
Ausstellungen und Messeauftritte werden seit der Weltausstellung Hannover 2000 und der Expo.02 immer häufiger als Szenografien bezeichnet. Nicht alle sind glücklich darüber. Xavier Bellprat nennt sich zwar selbst Szenograf, hält den Begriff Szenografie aber für problematisch. Zu oft werde er mit dem Theater gleichgesetzt.

«Dabei sind wir keine Bühnenbildner, wir erzählen Geschichten im Raum.» Die Szene der Ausstellungsgestalter ist klein und überschaubar. Man kenne sich, sagt Xavier Bellprat, der sich mit seinem Unternehmen in Zürich etabliert hat. Es gebe um die 25 Büros mit kaum mehr als hundert Beschäftigten, die sich längerfristig und erfolgreich in diesem Bereich positioniert hätten. Es sind kleinere und grössere Unternehmen, die sich mit Ausstellungen und Anlässen in Besucherzentren, Museen oder Themenparks durchgesetzt haben, die aber auch Firmenjubiläen, Messestände oder Besuchstage organisieren. Also überall da ihre Erfahrung einbringen, wo Institutionen und Firmen sich öffentlich selbst präsentieren oder einen Inhalt vermitteln wollen. Die Zahl klingt nach wenig, gehört doch die Schweiz neben Holland zu den Ländern mit einer der höchsten Museumsdichte pro Einwohner: Über tausend Institutionen führt der Verband Schweizer Museen in seinen Statistiken auf. Doch kulturelle Einrichtungen allein könnten das Überleben der Szenografen kaum garantieren, bilanziert Xavier Bellprat seine Berufserfahrung der vergangenen zwanzig Jahre.

Bitte berühren

«Die Besucher müssen die Schuhe, die Schnürsenkel und die Absätze anfassen können», fasst Jürg Brühlmann sein Rezept zusammen. Er hat Ende September das «Ballyana» in Schönenwerd eröffnet: In der Shedhalle der ehemaligen Bally-Fabrik präsentiert er Schuhe, Maschinen und Textilien aus 200 Jahren Unternehmensgeschichte und weckt damit Schaulust. Doch anfassen, um sich des Originals zu versichern und eine direkte sinnliche Erfahrung zu machen, das geht nicht immer. Manchmal sind Vitrinen unverzichtbar, und selbst wenn sie fehlen, gilt im Museum die Konvention, die man schon kleinen Kindern beibringt: «Nicht mit den Händen! Nur mit den Augen schauen.»

Auf runden Täfelchen stecken Piktogramme einer durchgestrichenen Hand. Nicht anfassen! Das fällt in einer Ausstellung über das Design von Oberflächen besonders schwer, sind sie doch nicht nur visuelles Ereignis. An Gebrauchsobjekten bieten sie sich stets auch zum Ertasten an. Kuratorin Renate Menzi hat das Phänomen an rund 200 Exponaten aus der Designsammlung des Museums für Gestaltung Zürich untersucht. Trotzdem hat der Industrial Designer Moritz Schmid, der die Ausstellung «Make Up!» gestaltet hat, auf Vitrinen verzichtet. Denn: «Auch Schminke im Gesicht fasst niemand an.»

Das setzt Selbstdisziplin der Besucher voraus und es zeigt, wie ernst Schmid das Thema nimmt: Der direkte visuelle Zugang ist entscheidend, will man zeigen, wie Reflexe, Glanz, Transparenz oder Haptik wirken und was sie designhistorisch bedeuten. Auf Präsentationstischen, deren weiss gelochte Resopaloberfläche an Tischtücher erinnern, versammelt er die Exponate. Er gliedert den Raum mit runden Spiegeln, die Blicke lenken und worin sich die Gesichter der Besucherinnen mit aufgehängten Plakaten überlagern, die das Thema der Schminke aufnehmen. Mit einfachen Mitteln baut Moritz Schmid so den Exponaten eine Bühne, auf der sie ihre Wirkung entfalten können. Auch wenn er selbst Produkte entwerfe, erlebe er solche szenografischen Momente, denn auch da gilt: Ein Stuhl, ein Tisch, eine Espressotasse werden, einmal gekauft, in einem bestimmten Raum eingesetzt, neben und mit anderen Dingen.

Darin muss sich ein Entwurf behaupten können.
Sobald ein Original aus seinem ursprünglichen historischen, sozialen oder kulturellen Kontext gerissen oder durch eine Reproduktion ersetzt wird, verliert es gemäss Walter Benjamin seine Aura. Und damit seine Einzigartigkeit, deretwegen wir weite Wege auf uns nehmen und Zeit investieren. Weil die Aura auch eine Frage der Wahrnehmung ist, müssen in einer Ausstellung die Bedingungen der Wahrnehmung kontrolliert sein. Deshalb reicht es in thematischen Ausstellungen selten aus, das Original einfach auf einen Sockel zu stellen. Dazu gehört es auch, die Bedeutung des Originals innerhalb der Ausstellungsdramaturgie zu erklären — sei es textlich oder besser mit gestalterischen Mitteln. Liegt ein Gesteinsbrocken vom Mond unkommentiert in einer Vitrine, bleibt er — ausser vielleicht für Mineralogen — ein gewöhnlicher Stein. Was er innerhalb der Ausstellung bedeutet, muss geklärt sein und mit gestalterischen Mitteln verdeutlicht werden. Damit nicht nur die Elite versteht, was in der Vitrine liegt.

Im Raum erzählen

Objekte werden glaubhafter und spannender vermittelt, wenn die Ausstellungsgestalter den jeweiligen Raum mit einbeziehen, meint der Architekt und bildende Künstler Alain Rappaport: «Ausstellungsarchitektur ist immer spezifisch, ich versuche, aus der jeweiligen Thematik und den bestehenden räumlichen Gegebenheiten etwas Einmaliges zu extrahieren.» Damit gestalte er den Raum so, dass er Inhalte vermittle. Entsprechend verfolge er keinen Stil, den er auf seine Projekte anwende, sondern lese erst den Raum, in dem die Ausstellung stattfinde. So auch bei der Ausstellung «Kontur Pur» im Zürcher Museum Bellerive, die Scherenschnitte vorstellte: Wie ein Scherenschnitt von den zwei Komponenten Schwarz und Weiss lebt, teilte er das Museum in zwei Seiten auf. Wer nach Nordwesten blickte, sah ein Museum mit schwarzen Wänden und den Arbeiten der Schweizer Scherenschnittvereine, wer nach Südosten blickte, eines mit weissen Wänden und Arbeiten von international agierenden Künstlern. Wichtig ist Alain Rappaport aber vor allem, dass die Ausstellungsgestaltung sich nicht in den Vordergrund schiebt: «Objekt und Inszenierung glänzen nur zusammen.»

Der Raum als Exponat

Der Raum, in dem eine Ausstellung stattfindet, spielt für Tristan Kobler von Holzer Kobler Architekturen eine zentrale Rolle. Jeder Raum hat eine eigene Geschichte. Diese Erkenntnis drängt sich vor allem bei Wanderausstellungen auf. Gerade eben haben Tristan Kobler und sein Team die Ausstellung «Gerüchte», deren Inhalte und Szenografie sie zusammen mit dem Museum für Kommunikation in Bern entwickelten, für das Museum für Kommunikation Berlin neu aufgebaut und angepasst. Ein schmaler Gang führt die Gäste ins bunte Reich der Fama, der antiken Gerüchtegöttin. Sie wohnt im Flüsterwald, einem verwobenen Holznetzwerk. Berliner Besucher erleben die Ausstellung anders als die Berner: «Wenn eine Ausstellung in zwei unterschiedlichen Räumen stattfindet, verändert sie sich», sagt Tristan Kobler. «Der Raum ist das grösste Exponat.» Das wird auch im Projekt «Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit» deutlich. Bis Ende November bespielt eine fiktive Stadt 8000 Quadratmeter der Turbinenhalle des ehemaligen Kraftwerks in Berlin Mitte. Es ist die erste Ausstellung in der Industriebrache, bis vor Kurzem dröhnte am Wochenende Techno durch die Halle. Jetzt bilden auf zwei Etagen rund 250 aneinandergereihte Architekturmodelle, gemeinsam mit frei in den Seitenschiffen schwebenden Videoscreens, ein urbanes Gefüge auf Zeit. Von Einfamilienhäusern oder ganzen Städten bis hin zu düsteren Visionen des inszenierten Stadtzerfalls ist hier alles im Modell zu betrachten.

Die Architektur der Halle ist Teil der Inszenierung: Durch die groben Betonträger und offenen Wände wirkt der Raum wie ein zu gross geratenes Modell, durch das der Besucher zu schreiten meint. Die Schau profitiert von der engen Verbindung zwischen Raum und Exponaten, und das wiederum spiegelt die enge Zusammenarbeit der Kuratoren Martin Heller und Angelika Fitz mit dem Ausstellungsgestalter Tristan Kobler.

Mit und nicht gegen den Raum inszenieren auch Remo Derungs und Carmen Gasser ihre Projekte. Doch nicht immer ist das der abgrenzbare Bereich eines Museums, wie im Gelben Haus Flims, einem ihrer Auftraggeber. Mit der Inszenierung für die Rhätische Bahn (RhB) sprengten die beiden Innenarchitekten den Rahmen. Im Juli 2008 wurde die Albula- und die Bernina-Bahn in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen, und die RhB wollte dazu eine Ausstellung. Schnell war klar, dass das Exponat die Bahnlinie selbst sein muss. Weil sie als Original in kein Museum passt, ging es darum, sie in der Landschaft zu inszenieren und zugleich den Blick der Besucherinnen und Besucher auf etwas zu lenken, was im Alltag nicht als Exponat wahrgenommen wird. Sie konzipierten eine Ausstellung in der Hauptwerkstätte Samedan und sieben Thementürme entlang der Strecke. Als Hauptelement verwendeten Gasser Derungs ein rotes Band, mit dem sie ein aus Baugerüsten entwickeltes System einkleideten. So entstanden temporäre, begehbare Strukturen — einmal ragten sie in die Landschaft, dann standen sie auf dem Perron. Die Installationen involvierten den Touristen aus England genauso wie die einheimische Bevölkerung oder den Reisenden aus dem Unterland.

Der fiktive Raum

«Der Ausstellung ist es egal, wo sie steht», sagt demgegenüber Xavier Bellprat. Sie müsse unabhängig von ihrem lokalen Kontext funktionieren. Und das tue sie, wenn sie auf hohem Niveau unterhalte und bleibende Erinnerungen verschaffe. Sein bevorzugtes Modell sind denn auch Ausstellungen, die das Publikum vollständig in neue, unbekannte Welten eintauchen lässt, die es mit allen fünf Sinnen erfährt. Eine Ästhetik der Überwältigung ist die Folge. Die Machart der Ausstellung muss dabei den Besucherinnen und Besuchern aber verborgen bleiben. Das kann ins Geld gehen: Nestlé investiert sieben Millionen Franken, damit die Besucherinnen und Besucher Schokolade «mit allen fünf Sinnen erleben ». Vergangenen April eröffnete die «Maison Cailler» in Broc. Das Unternehmen Steiner Sarnen hat das Besucherzentrum inklusive «Erlebnis- Welt» auf 2400 Quadratmetern inszeniert. Entstanden ist ein Spektakel, das die Geschichte der Schokolade und der Marke Cailler in neun begehbaren Räumen erzählt — in grossen Schritten geht es von den Azteken über die französische Revolution bis zu Cailler heute. Die Besucher erfahren, wie Schokolade hergestellt wird und können das Endprodukt gleich vor Ort kosten. «Wichtig sind der Start und der Schluss: Der Besucher muss abgeholt werden. Und nach dem Staunen muss er seine Beine vertreten können», erklärt Otto Steiner. Im «Atelier du Chocolat» formen sie eigene Pralinen oder trinken Schokolade.

Noch stärker sind Szenografen bei Themen gefordert, die nicht greifbar sind, weiss Valentin Spiess, der mit seinem Unternehmen i-Art Projektionen, Licht, Klanginstallationen, interaktive Medien und mixed realities konzipiert. Er muss zuweilen Objekte kreieren, die es in der realen Welt nicht gibt, um ein Thema zu erklären — wie etwa das des Teilchenbeschleunigers am Cern siehe HP 8 / 2010. Immersive Räume, in die man vollständig eintaucht, sollen den Besuchern einen emotionalen, aber auch intellektuellen Zugang zum Thema ermöglichen, ist er überzeugt. Dabei kommt es drauf an, die dazu nötigen Medien zielgerichtet zu verwenden. «Multitouchscreen um ihrer selbst willen einzusetzen, bringt nichts.»

Und die Besucherinnen und Besucher?

Noch heute glauben die Museumsleute an «Knopfdruck-Exponate». Doch wenn daraus keine Erkenntnis entstehe, soll man es lieber gleich lassen, meint Xavier Bellprat, Knöpfchen könne man auch anderswo drücken. Auch hier gilt: Das Mittel ist nur so gut, wie es seinen Zweck erreicht. Welche Absicht damit verfolgt wird, das entscheidet die Haltung des Szenografen. Sie bestimmt über den Typus der Ausstellung. Docere, delectare, movere — lehren, unterhalten, bewegen: Die drei Säulen der Rhetorik tauchen in Gesprächen mit Ausstellungsgestaltern immer wieder auf. Gut aufbereitete Information und Unterhaltung seien gleichermassen wichtig, sagt Tristan Kobler. «Eine Ausstellung muss unterhalten, belehren lieber nicht.» Ums eigene Erleben geht es im Stapferhaus in Lenzburg. «Eine Ausstellung muss versuchen, den Besucher dort abzuholen, wo er Fragen und Ängste hat», sagt Philipp Clemenz, der gemeinsam mit den Kuratoren Sibylle Lichtensteiger und Beat Hächler die Ausstellung «Non Stop» gestaltet hat. Darin zeigten sie, wie wir mit der Zeit umgehen. Am Eingang bremsten sie die Besucher erst einmal aus: Bevor diese durch eine Klanginstallation eintreten durften, mussten sie Uhr und Handy einschliessen. Einmal im Raum erfuhren die Gäste unter anderem, was sie statistisch gesehen in ihrer verbleibenden Lebenszeit noch alles tun würden. «Das ist die Aufgabe einer Ausstellung: betroffen machen, ohne das Schmunzeln zu vergessen.» Denn eine Ausstellung sollte den Besucher zum Nachdenken führen und ihn nach dem Besuch weiterhin beschäftigen, sagt Philipp Clemenz.

Autorin oder Dienstleister?

Wie aber nehmen sich die Gestalterinnen und Gestalter selbst wahr? Tristan Kobler sieht sich an der Schnittstelle zwischen Inhalt und Umsetzung. «Ich sehe mich nicht als Dienstleister, auch wenn das die Auftraggeber nicht gerne hören.» Er versteht sich als Ko-Autor, der zuweilen damit kämpft, alle an einem Projekt Beteiligten auf dieselbe inhaltliche und gestalterische Linie zu bringen. Doch bis vom Filmemacher bis zum Grafiker alle die gleiche Sichtweise auf das Thema entwickeln, sei oft ein langwieriger, komplizierter Weg zu gehen. Viele Beteiligte, das ergibt eine lange Lohnliste. Doch die meisten Budgets für thematische Ausstellungen in kulturellen Institutionen sind knapp ausgestattet. «Die meisten Projekte haben viel zu kleine Reserven. Dennoch stellt das Publikum hohe Ansprüche», resümiert Tristan Kobler. Als Architekt könne man von Ausstellungen leben, es komme freilich drauf an, wie gut und wie schnell man ein Projekt entwickeln könne. Wie kommt er zu seinen Aufträgen? Holzer Kobler haben sich längst einen Namen gemacht, in der Schweiz und in Deutschland gehören sie zum kleinen Kreis der gefragten Szenografen. Und was sagt er zur Tatsache, dass im Kulturbereich für finanziell unterdotierte Ausstellungen immer öfter Wettbewerbe für Szenografien ausgeschrieben werden? «Sie beleben zwar eine Szene, sind die Budgets jedoch ohnehin klein, würde das Geld besser in die Ausstellung fliessen», sagt Tristan Kobler.

«Einmal so, einmal anders», antwortet Xavier Bellprat auf die Frage nach seinem Selbstverständnis. Entscheidender ist ihm, dass die Ideenfindung immer ähnlich abläuft, egal ob der Auftraggeber aus dem Kommerz oder der Kultur stamme. Vor allem Aufträge aus dem kulturellen Bereich müssen oft querfinanziert werden. Bellprat Associates verdanken ihren Erfolg den kommerziellen Aufträgen, und die reichen von Ausstellungen über Messeauftritte und Veranstaltungen bis hin zum Kostümdesign. Oder, wie es Xavier Bellprat in seiner unverblümt direkten Art sagt: «Wir sind seit zwanzig Jahren erfolgreich, weil wir uns nicht gescheut haben, für die bösen Buben aus dem Kommerz zu arbeiten.»

Doch die meisten Ausstellungsgestalter mit kleineren Büros müssen ihr Tun querfinanzieren. Philipp Clemenz vom Stapferhaus arbeitet nebenher als Dozent an der Hochschule Luzern, Jürg Brühlmann kombiniert die Arbeit an Ausstellungen mit Grafik und Produktgestaltung. Und selbst Gasser Derungs, die neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, leben nur zur Hälfte von szenografischen Aufträgen. Vor allem Aufträge aus dem kulturellen Bereich müssen oft querfinanziert werden.

Drittes Szenografie Festival in Basel Von der Street Art über Kunstausstellungen bis zum Guerilla Store: Überall wird ausgestellt. Nachdem sich das Festival «IN3» vor zwei Jahren den darstellenden Künsten widmete, geht es dieses Jahr um das Inszenieren im und ums Museum: «Exhibit! — Scenography in Exhibition Design» lautet der Titel der dritten Ausgabe. Das Festival findet vom 2.–5. Dezember 2010 in der Kaserne Basel statt. Museumsdirektoren, Kuratorinnen sowie Gestalter und Architektinnen von Museumsbauten sprechen über inszenierte Chanel-Höschen, sie diskutieren schmale Budgets und besprechen, was das Museum des 21. Jahrhunderts jenseits der Selbst- Darstellung können muss. Es sprechen Beat Hächler, Kurator des Alpinen Museums Bern, Architekt Jacques Herzog, Atelier Oï mit Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond, Valentin Spiess vom Mediendienstleister i-Art und Andreas Spillmann, Direktor Schweizerisches Nationalmuseum. Neben den Vorträgen und Podiumsdiskussionen zeigt die «IN3 Challenge» zum ersten Mal hoffnungsvolle Nachwuchstalente. > www.in3.ch Mehr im Netz

So einfallslos präsentieren sich die Museen im Web: Der Markt ist zwar klein, doch die Nachfrage nach Szenografinnen ist da. Darauf bauen auch die Lehrgänge an den Fachhochschulen, die längst nicht mehr nur Bühnenbildner ausbilden, sondern auch szenische Gestalter, die für unterschiedlichste Auftraggeber aus dem kommerziellen und kulturellen Bereich tätig werden. Sie tun das mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlicher Haltung. In einem Punkt sind sich die befragten Architektinnen und Gestalter allerdings einig. Das Medium Ausstellung sei zeitgemässer denn je. Von der Virtualisierung bedroht fühlt sich niemand: Alle glauben sie fest an das reale Erlebnis, das eine Ausstellung vermittelt und sich so von medial vermittelten Erlebnissen unterscheidet. Längst schon sind digitale Medien für Ausstellungsgestalter ein Mittel zum Zweck, ein Erlebnis zu verstärken, zu verlängern, zu vergrössern. Für einen temporären Messeauftritt oder eine Blockbuster-Ausstellung mehrere Millionen Franken auszugeben, Tonnen von Material zu transportieren und Tausende von Menschen ungezählte Flugkilometer abspulen zu lassen, ist ein Irrsinn. Nur vernünftig, diesen Aufwand mit digitalen Medien zu entschärfen — mit Informationen im Vorfeld einer Messe, indem Besucher eingebunden werden oder Information nachgeliefert bekommen. Ohne die reale Anknüpfung in Zeit und Raum gehe es nicht. Doch wie die virtuelle mit der realen Welt einer Ausstellung sinnvoll zusammengebracht wird, daran üben die Szenografen noch immer.


Kommentar
Artenvielfalt und Experimentierlust

Ausstellungen sind ein Medium. Eines unter vielen, und es besteht aus den unterschiedlichsten Formaten. Was verbindet die Expo in Shanghai mit der Wanderausstellung über Verdingkinder? Beide erzählen Geschichten in einem Raum und suchen ihr Publikum — mehr ist da nicht an Gemeinsamkeit. Also entzieht sich dieses Medium jeder generellen Wertung. Zu diskutieren sind Einzelfälle. In einer Breite allerdings, die als solche bereits für die Relevanz von Ausstellungen steht. Artenvielfalt ist wesentlich eine Folge guter Lebensbedingungen. Was in der Kulturgesellschaft bedeutet: Geld und Aufmerksamkeit sind vorhanden. Ebenso künstlerisch als auch wirtschaftlich denkende Köpfe, die die Potenziale des Ausstellens zu nutzen wissen. Aus dieser Konstellation erklärt sich vieles: die Fülle von Veranstaltungen, das hohe Niveau von Inhalt und Form samt offenkundiger Lust, damit zu experimentieren. Solche Experimente finden sich sowohl in kulturellen Nischen als auch da, wo — etwa bei den faksimilierten Grabschätzen des Tutanchamun — die schau- und bildungshungrige Masse für Erlebnisse des Besonderen gewonnen werden soll. Zwar erreichen diese Veranstaltungen nicht mehr jene unglaublichen Zahlen der Nachkriegszeit, als «The Family of Man» 1958 in knapp fünf Wochen über 50 000 Besucher ins Kunstgewerbemuseum Zürich lockte. Denn die heutige Medienkonkurrenz zerstreut das Publikum; zugleich eröffnet sie medial hybride Möglichkeiten. Darum ist die Glaubensfrage, ob Ausstellungen eher analog oder digital arbeiten sollen, ebenso dumm wie das beliebte Postulat, sie müssten «sinnlich» sein. Was ist eine unsinnliche Ausstellung? Eben. Ausstellungen sind danach zu beurteilen, wie schlüssig sie Inhalt und Form verschmelzen. Egal, ob sie mittels Bildschirmzauberei oder — wie «Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit » in Berlin — mit konsequenter Gegenständlichkeit verführen. Schlüssigkeit und Qualität braucht es, um die dichte Tradition des Mediums fortzusetzen. In Form einer Autorenschaft, die sich von blosser Umsetzung und Gestaltung emanzipiert und stolz ist, auch einige Sprachen des Populären zu beherrschen.
[Martin Heller]

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