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Zwischen Wald, Dom und Berg
Spectrum

Ein Wohnbau am Böhmischen Prater, in dem es sich leben lässt: viele Ein-, Aus- und Durchblicke, ein spektakuläres Panorama und ein Farbkonzept, das zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt.

14. Mai 2011 - Iris Meder
Guter Wohnbau hat in Wien Tradition. Nicht umsonst war das Wohnen immer ein Hauptthema der Wiener Moderne. Das hindert natürlich nicht, dass auch hier, wie überall, mehr als genug Schlechtes, ja Miserables gebaut und künftigen Bewohnern und Bewohnerinnen zugemutet wurde und wird. Dennoch: Qualität gab es trotz aller Einschränkungen und Planungsvorgaben auch im geförderten Wohnbau immer. Zu den derzeit besten Architektinnen auf diesem Gebiet zählt Patricia Zacek, die sich bereits in ihrer Dissertation mit dem Thema Wohnbau beschäftigt hat. die jüngste von ihr geplante Anlage im zehnten Wiener Gemeindebezirk wurde vor Kurzem bezogen.

Das Stadterweiterungsgebiet am Böhmischen Prater nahe dem Monte Laa wurde in den letzten Jahren relativ dicht bebaut. Die Bewohner profitieren allerdings von der Nähe des Laaer Waldes mit seiner Flora und Fauna, die mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen akustisch fast das Gefühl gibt, auf dem Land zu leben. Die von Patricia Zacek geplante Wohnhausanlage am Rande des Wohnquartiers liegt zudem an der „Stadtkante“ direkt am Wald. Sie musste mit einem stabilen Wildschutzzaun vom Waldgebiet abgegrenzt werden, bietet aber eine Aussicht auf den nordöstlich liegenden dichten Wald, während sich nach Nordwesten ein spektakuläres Panorama über Wien samt Stephansdom- und Kahlenberg-Blick auftut.

Wichtig sind Patricia Zacek nicht nur die Grundrisse der nach Möglichkeit mehrseitig belichteten Wohnungen, sondern immer auch die stadträumliche Qualität von Wohnbau. So macht die kammförmige Anlage zwischen ihren zum Wald offenen vier Armen Höfe mit holzbeplankten Sitzplätzen und einem ebenfalls von der Architektin gestalteten Spielplatz auf. Da es sich nicht um einen Bauträgerwettbewerb, sondern um ein freie Vergabe der Buwog handelte, mussten Architektur und Freiraumplanung nicht getrennt vergeben werden. Ein breiter Durchgang von der Moselgasse setzt die Achse fort, die als Fußweg quer durch das Quartier zur Bushaltestelle an der Laaer-Berg-Straße führt, und schafft so auch für jene, die nicht das Privileg des Wohnens direkt am Waldrand genießen, einen erdgeschoßigen Sichtbezug zum Naturraum.

Nähert man sich der Anlage von der Stadtseite, fällt zuerst der verglaste Gemeinschaftsraum am vorderen Eck ins Auge. Ein weiteres Prinzip, auf das die Architektin großen Wert legt, sind einladende und dezidiert auch einsichtige, halb öffentliche Gemeinschaftsflächen. An der hofseitigen Erschließungsachse der Anlage sind verglaste, leuchtend grün beziehungsweise gelb gehaltene vitrinenartige Kinderwagen-, Fahrradabstell- und Waschräume dort platziert, wo Längs- und Quertrakte aufeinandertreffen. Die Zwischenzonen von halb öffentlichen und privaten Bereichen sind als räumlich angenehme Kommunikationszonen geplant.

Zusätzlich zum erdgeschoßigen Fußweg erschließt hofseitig eine parallel verlaufende,laufstegartige verglaste Brücke im ersten Obergeschoß die Wohnungen. Die Stellen, an denen die Glasbrücke die Stiegenhäuser trifft,sind zusätzlich durch Glaswände betont. Hinter ihnen leuchtet das Grün beziehungsweise Gelb der Stiegenhäuser einladend in die Hofräume. Mehrstöckige helle Lufträume prägen die Stiegenhäuser, so etwa gleich am Eingang bei den Briefkästen. Das Nachhausekommen wird so allein durch den großzügigen Raumeindruck zu einem positiven Alltagseindruck – eine räumliche Qualität, die auch der Kommunikation zwischen den Hausbewohnern förderlich sein dürfte. Ein-, Aus- und Durchblicke begünstigen dabei auch eine positiv verstandene soziale Kontrolle: Man sieht, wenn der Nachbar gerade nach Hause kommt, und kann, wenn man das möchte, ein paar Worte wechseln. Auf der anderen Seite dürften Vandalismus und Einbrüche durch den fehlenden Sichtschutz massiv erschwert werden.

Von der südwestseitig verlaufenden Moselgasse ist der Baukörper, der 103 Wohnungen auf sechs Stiegen aufnimmt, 2,5 Meter zurückgesetzt. So wird die dicht bebaute Straße aufgeweitet; vor allem aber bekommen die Bewohner der erdgeschoßig zugänglichen Maisonetten kleine Gärten, die, mit eigenem, vom asphaltierten Durchgangsweg durch seinen Steinplattenbelag und einen zum Teil bepflanzten Grünstreifen getrenntem und quasi privatem Zugang, fast reihenhausartig wirken. Auch an der Fassade sind die Erdgeschoß-Maisonetten mit ihrer Vertikalstruktur klar als einzelne Einheiten definiert. So stellt sich das psychologisch nicht unerhebliche Gefühl ein, praktisch in einer Reihenhauseinheit zu leben, die in eine größere Anlage integriert ist. Über den Maisonetten liegen einstöckige Wohnungen, was an der Fassade eine Entsprechung in einer horizontalen Strukturierung hat. Die beiden obersten Geschoße nehmen wiederum Maisonetten ein, deren Treppenuntersicht sich in einer Schräge im Stiegenhaus abbildet. Alle Wohneinheiten verfügen über private Freiräume in Form von Terrassen und/oder Loggien.

Sorgfalt in den Details ist ein weiteres wichtiges Thema der Architektin. So entwickelte sie ein typografisches Konzept, nach dem die Hinweisschilder in den Gemeinschaftsräumen, in den Stiegenhäusern und an den Aufzügen gestaltet wurden. Teil dieser sorgfältigen Detailgestaltung ist auch das Bestreben, darauf zu achten, dass Materialien gut altern können. Hier ist das etwa bei den Lochblech-Loggienbrüstungen spürbar, die außen bündig mit der Außenwand abschließen und auch farblich mit den gedeckten Ocker- und Grüntönen der verputzten Fassade harmonieren. Das Farbkonzept harmoniert mit den Farbtönen des angrenzenden Waldes, aber auch der benachbarten Wohnanlagen. Auch optisch wird so zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt. Unwillkürlich denkt man an Kurt Tucholsky, der 1927 über den Wohnwunschtraum des Durchschnittsbürgers ätzte: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn.“ Vorn der Laaer Wald, hinten der Stephansdom, Blick auf den Kahlenberg? Lässt sich machen.

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