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Loge im See
Spectrum

Erlebnisräume sollen den Tourismus am Millstätter See ankurbeln. Die Urlauber wollen indes zurück zur Natur. Über Auswüchse des Erfolgsdrucks im Fremdenverkehr.

2. Juli 2011 - Karin Tschavgova
Ein Dilemma des österreichischen Tourismus liegt in der Unvereinbarkeit der Zukunftsbilder, die die Werbung als Leitszenarien für die touristische Entwicklung ausgibt. Dem Slogan „Echt Österreich“, in dem sich der angeblich steigende Wunsch des Gastes nach dem unverfälschten Naturerlebnis ausdrückt, folgt sogleich die Empfehlung an die Tourismusbranchen, den Berg zum ultimativen Erlebniscenter auszubauen, zum Erlebnis Berg mit Entertainment rund um die Uhr. Der plakativen Feststellung, dass „die intakte Umwelt Österreichs gefragt“ ist, folgt die Forderung „nach dem Ausbau der Erlebniskultur rund um Seen“. Entweder fallen die Widersprüche niemandem auf, oder man glaubt wirklich, die Gegensätze ließen sich unter einen alles aufs Natürlichste harmonisierenden Hut bringen.

Es wäre naiv, nicht zu sehen und zu erkennen, dass Natur, die touristischer Wirtschaftsfaktor ist, heute mehr denn je eine inszenierte Natur ist, zurechtgestutzt und herausgeputzt zur bequem konsumierbaren Attraktion. Glaubt man den vielen Fachleuten im Tourismus, den Trendforschern und Marketingexperten, so muss Urlaub heute ein Erlebnis auf allen Ebenen sein. Nur keine Langeweile aufkommen lassen! Um dem Gast einen besonderen Kick zu ermöglichen, muss ihm laut Touristiker ein Angebot für ultimative Erlebnisse gemacht werden, und dazu gehört auch die Inszenierung dessen, was als authentisch, als „echt“ angepriesen wird: Natur und Naturlandschaft.

Globale Konkurrenz führt zu einem Profilierungsdruck, der im Ruf nach Markenbildung und strategischen Allianzen gipfelt. Man könnte also durchaus Verständnis aufbringen für den Drang von regionalen Verbänden, örtlichen Tourismusvereinen und Hoteliers, ihr Urlaubsangebot immer wieder zu erweitern und erneuern. Erstaunlich ist allerdings, mit welch abstrusen Ideen es findigen Beratern immer wieder gelingt, den unter Erfolgsdruck Stehenden weiszumachen, ihre Rezepte seien ein Allheilmittel und Garant für künftigen Gästesegen.

Auch am Kärntner Millstätter See hofft man, durch eine Neuausrichtung das als verstaubt geltende Image der Familienurlaubsdestination, die nicht viel mehr als intakte Natur, Wanderwege und einfache Unterkünfte anbietet, loszuwerden und neue, zahlungskräftigere Gäste gewinnen zu können. Wie man das macht? Drei der acht Gemeinden, die seit Jahren im regionalen Tourismusverband zwecks Kooperation zusammengefasst sind, engagieren den als Entertainment-Experte auftretenden ehemaligen Fernsehdramaturgen Christian Mikunda als Berater und das Kärntner Architekturbüro Trecolore, um Ideen zu entwickeln und auf Papier zu bringen. Gemeinsam operieren sie mit blumigen Begriffen und präsentieren Schaubilder für Bauten am und im See, die trendiges Design sein sollen („emotional, aber trotzdem erwachsen“). Eine riesige Holzplattform als künstliche Hügellandschaft im See soll Logenplätze schaffen und die Beziehung zwischen Berg und See im Ort Seeboden in Szene setzen. In Millstatt ist ein 160 Meter langer, wellig geformter Steg mit übereinanderliegenden, auf- und absteigenden Gehflächen vom Stift zu einer neuen Schiffsanlegestelle geplant, in Döbriach ein zwölf Meter hohes Bauwerk in Form eines ungeordneten Bücherstapels, in dem die Geschichte des Sees erzählt werden soll. Als Gewinnversprechen für die Investitionen, die mit acht Millionen Euro beziffert sind, reicht die Behauptung, dass diese die Strahlkraft der Kristallwelten in Wattens erreichen werden. Erstaunlich, dass selbst jene, die ganz nahe dran sind am Thema und an den Problemfeldern des Tourismus, nicht erkennen, dass solche künstlichen Erlebnisräume bestenfalls kurzen Erlebniswert haben, dass ihnen Infrastruktur und die Einbettung in das örtliche Leben fehlen und sie daher weder als Orte von Begegnung und Kommunikation funktionieren noch geeignet sind, den Gast durch mehr Nächtigungen an Seeboden, Millstatt oder Döbriach zu binden.

Eine Erklärung dafür, warum selbst ernannte Erlebnisdramaturgen und Stadtmarketingexperten wie Gurus auftreten können, deren Heilsversprechen diskussions- und kritiklos geglaubt wird, die jedoch für die Folgen ihrer Versprechen nie persönlich haften, liegt im vermeintlich großen Druck in der Tourismuswirtschaft, sich als Marke durchzusetzen und von seinen Mitbewerbern abzuheben. „In der Wiese liegen, mit der Seele baumeln“ – der immer noch erstaunlich bekannte Slogan der österreichischen Fremdenverkehrswerbung ist längst passé. Er galt den Verantwortlichen rasch als zu einfaches, eindimensionales Angebot an den Gast und wurde deshalb schon Mitte der 1990er-Jahre als unzeitgemäß eingemottet. Es muss eine große Angst davor geben, potenzielle Gäste abzuschrecken, wenn man ihnen zumutet, ihre Ferien selbst zu gestalten und sich mit dem zu begnügen, was sie doch angeblich vermehrt suchen: die Authentizität eines Ortes, einer Landschaft und ihrer Bewohner.

Es ist ein Erfolgsdruck, der kritische Reflexion und grundsätzliche Fragen zu Sinn und nachhaltigem Nutzen immer neuer Trends und Projekte ausschließt. Nur so ist zu erklären, dass selbst Investoren mit offenen Armen empfangen werden, die außergewöhnlich schönen, naturbelassenen Ufergrund mit einer drei- bis viergeschoßigen Apartmentwohnanlage bebauen wollen. Auf einem von der Gemeinde zur wirtschaftlichen Verwertung angebotenen Campingplatz in Millstatt wird damit angeblich ein in zweiter Reihe geplantes überdimensioniertes „Kuschelhotel“ finanziert, das als banaler Verschnitt aus Panhans und Tirolerhaus ganzjährig gewinnbringend Gäste anziehen soll.

Der Architektur kommt in der Entwicklung des Tourismus tatsächlich eine immer größere Rolle zu. Als Reisender würde man sich ein Zukunftsszenario wünschen, in dem sich gebaute Qualität zu einer Baukultur verdichtet, die alle Bereiche des Bauens in touristischen Regionen erfasst. Und dass dem Gast endlich zugemutet und zugestanden wird, unecht von echt, billig von qualitätvoll und inszeniert von gelebt unterscheiden zu können. Investitionen in vordergründige Metaphorik und trendiges Design haben darin keinen Platz.

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