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Demokratisches Bauen
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung Günter Behnisch in Stuttgart

20. August 2003 - Roman Hollenstein
Mit der Weissenhofsiedlung besitzt Stuttgart ein veritables Pilgerziel für Architekturbegeisterte, obwohl nur gut die Hälfte des Baubestandes den Zweiten Weltkrieg und die Abreisswut der Wirtschaftswunderjahre überstanden hat. Auch wenn zurzeit fast überall in Deutschland die Rekonstruktionssucht grassiert, besteht kaum Aussicht, dass die physisch verlorenen, aber gut dokumentierten Häuser von Taut, Gropius oder Poelzig wiederhergestellt werden können. Gleichwohl vermittelt das in den achtziger Jahren restaurierte Ensemble heute wieder einen guten Eindruck von der 1927 eröffneten Werkbundsiedlung und ihrer damaligen Modernität. Während ein Informationszentrum im Wohnblock von Mies van der Rohe seit einigen Jahren die nötige Vertiefung in Form von Schautafeln und Publikationen bietet, saniert die Stadt Stuttgart nun mit dem Doppelhaus von Le Corbusier-Jeanneret das eigentliche Meisterwerk der Siedlung, um dort voraussichtlich 2004 eine umfassende Dauerausstellung einzurichten.

Dannzumal dürfte der Weissenhof, von dem schon jetzt die Architekturgalerie des BDA im sorgsam zurückgebauten Behrens-Haus profitiert, noch attraktiver werden. Gegenwärtig zeigt diese eine Ausstellung über Stuttgarts wichtigsten zeitgenössischen Architekten: Günter Behnisch, der 1972 mit dem zusammen mit Frei Otto ausgeführten Münchner Olympiapark bekannt wurde und heute wegen des 1994 konzipierten Neubaus der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin im Gespräch ist. Dabei beschränkt sich die Schau aus Platzgründen auf die 18 Bauten und einige Papier gebliebene Projekte, die während der nunmehr fünfzigjährigen Schaffenszeit des 1922 in Dresden geborenen, jedoch seit Beginn seiner Studien in Stuttgart ansässigen Architekten im Grossraum der schwäbischen Metropole entstanden sind.

Blickfang der kleinen, hauptsächlich aus Fotos und Zeichnungen bestehenden Ausstellung bildet aber kein Stuttgarter Bau, sondern das Modell des verdrehten Glashochhauses der Norddeutschen Landesbank in Hannover (1999-2002), das in der deutschen Fachpresse viel Lob und Aufmerksamkeit erfahren hat. Bauten von vergleichbarer Ausstrahlung konnte Behnisch bisher in Stuttgart nicht verwirklichen. Stattdessen errichtet nun das Berliner Büro Hascher & Jehle den Neubau der Galerie der Stadt Stuttgart am zentral gelegenen Schlossplatz in Form eines Glaskubus, der anspielt auf jene demokratisch-transparente Architektur, mit der sich Behnisch im Akademiestreit von Berlins steinerner Baukunst distanzierte.

Immerhin aber konnte der Doyen der modern gesinnten deutschen Architekten 1987 mit dem Hysolar-Institut der Universität Stuttgart in Vaihingen ein frühes Hauptwerk des Dekonstruktivismus realisieren. Es sind denn auch die auf den Ort bezogenen, benutzerfreundlichen Bildungsbauten - allen voran Schulhäuser und Kindergärten -, mit denen er seit der 1958 eröffneten Sommerrain-Schule in der Hauptstadt Baden-Württembergs brilliert. und weniger Bank- und Dienstleistungsgebäude wie das kantig-gläserne LBBW- Zentrum. - Die kleine Stuttgarter Ehrung für Behnisch kommt spät, aber der Meister, in dessen Büro eine Vielzahl junger Architekten zu eigenständigem Schaffen ermuntert wurden, darf sich damit trösten, dass seine Ideen lange schon weit über Süddeutschland hinaus auf fruchtbaren Boden gefallen sind.


[Bis 7. September. Katalog Euro 18.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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