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Die Branche wird mit System ausgeblutet
Der Standard

Die Architektur kämpft gegen Honorardrückerei, fiasköse Wett- bewerbe, mangelnde Stadtplanung und die Windmühlen der Bürokratie: Teil 1 eines Streitgesprächs, moderiert von Ute Woltron

3. November 2001 - Ute Woltron
Die heimischen Architekten liefern zwar hervorragende Produkte, bekommen internationale Anerkennung, sind selbst aber dabei großteils fast pleite. Das ALBUM bat die Architekten András Pálffy, Elsa Prochazka, Heinz Neumann, Kammerpräsident Peter Scheifinger sowie den Leiter der ÖBB-Bahnhofsoffensive, Norbert Steiner, zur Diskussion, um die Gründe dafür auszuloten. Warum kracht es also dermaßen im Architektengebälk?

Elsa Prochazka: Ich bemerke, dass sich bedauerlicherweise ein Klima der Gegnerschaft zwischen Bauherren und Architekten herausbildet. Das ist einer der Gradmesser der Verschlechterung der Situation. Letztlich haben beide ein gemeinsames Interesse, nämlich ein ökonomisches, optimales Ergebnis zu erzielen. Ich verstehe nicht, warum es da Reibungsverluste durch Gegnerschaft geben muss.

András Pálffy: Das Schitzophrene ist folgendes: Architekturführer aus den 70er-, 80er-Jahren sind dünn und klein. Heute gibt es Architekturführer für fast jede Region, es gibt sichtbar eine dichtere Qualität in der österreichischen Architektur. Zugleich kämpfen viele Büros wirtschaftlich um das Überleben, was es früher einfach nicht gab. Außerdem bemerkt man, dass diese gute Architektur hauptsächlich auf private Initiativen zurückzuführen ist.

Prochazka: Gleichzeitig hat aber in der Öffentlichkeit die Diskussion über Architektur enorm zugenommen, auch in den Medien. Es gibt Institutionen wie Architekturstiftung und Architekturhäuser. Es leben also ganze Branchen vom Thema Architektur ganz gut - nur nicht die Architekten selbst.

Viele Architekten behaupten, dass ihre Leistungen nicht entsprechend abgegolten werden und Planungen oft auf ein Nullsummenspiel herauslaufen. Wie schaut die Zahlungsmoral der Auftraggeber tatsächlich aus?

Peter Scheifinger: Man darf den von den Kollegen selbst dargebotenen Honorarnachlass nicht außer Acht lassen. Der bringt Auftraggeber natürlich dazu, sich dieses Verhalten allgemein anzueignen.

Prochazka: Die Honorarordnung (Anm.d.Red.: Die GOA regelt das Architektenhonorar nach erbrachter Leistung) ist ein komplexes Thema, und ein wichtiger Punkt ist dabei, wann sie überhaupt einsetzt. Es gibt tatsächlich für die Architekten lange Fristen der Vorfinanzierung: Das ist ein schleichender Nachlass, über den nie gesprochen wird. Im Wohnbau greift es darüber hinaus um sich, dass die Bauträger den Architekten bis zur Einreichung beauftragen, dann wird das Projekt samt der Architektenleistung zu einem Bruchteil der Architektenhonorare auf Generalplaner übertragen, was einen enormen Informations- und letztlich Qualitätsverlust bedeutet. Die Verantwortlichkeit entgleitet dem Architekten zunehmend. Die vorhin genannten Abschläge sind nur die Spitze des Eisberges.

Scheifinger: Andererseits erkennen immer mehr Bauherren, dass Qualität besser vermarktbar ist.

Prochazka: Das gilt nicht für den Wohnbau.

Scheifinger: In Einzelfällen schon.
Pálffy: Schön, dass es das gibt, aber in Summe schaut's ganz anders aus. Letztlich zählt bauherrenseits nur mehr der Einsparungswille, mit dem oft ein Mangel an inhaltlicher Kompetenz kompensiert werden soll. Das endet auch im letzten Nachlass, nämlich damit, dass man auf die Bezahlung der Schlussrechnung noch einmal zwei Jahre warten muss.

Jede andere Branche würde sich das nicht gefallen zu lassen. Die Architekten scheinen ein sehr geduldiges Volk zu sein.

Heinz Neumann: Diese Branche ist ausgeblutet, und zwar mit einem System, das Wettbewerb heißt. Wir werden laufend gezwungen aus Gründen der Existenz an diesen Verfahren teilzunehmen. Dann passieren die eigentümlichsten Dinge, der Bauherr sagt etwa: Schön, der Wettbewerb, aber ich bau jetzt doch lieber nicht. 50 Architekten haben teilgenommen, jeder hat 300.000 bis 500.000 Schilling ausgegeben, damit sind zig Millionen in den Rauchfang geblasen. Das ist ruinös, denn es gibt kein Äquivalent, das diese Berufsgruppe wieder in eine Gewinnsituation führt. Wir haben für das Kulturbewusstsein der Nation beizutragen, ohne bezahlt zu werden. Daher haben die meisten Büros absolut keine Reserven und sind gezwungen, unmenschliche Vertragsbedingungen einzugehen, um überhaupt zu überleben.

Wie schauen solche Vertragsbedingungen konkret aus?

Prochazka: Das vorhin Gesagte gilt für jeden Vertrag. Ich kann das in jedem Punkt unterstreichen. Ich habe im vergangenen Jahr vier Wettbewerbe mitgemacht, zwei gewonnen, davon ist einer aus politischen, der andere aus Widmungsgründen abgestürzt. Ich kann mir also die zwei gewonnenen auch in die Haare schmieren. Ich habe dafür 500.000 Schilling Abgang zu verbuchen. Wenn sich die Situation jedes Jahr so darstellt, kann man sich leicht ausrechnen, wohin das führt.

Agieren die Auslober fahrlässig?

Prochazka: Es nützt alles nichts, denn auch wenn alle vier Parteien in der Jury vertreten sind, stürzen Wettbewerbe ab, trotz Konsens. Der Wettbewerb ist ein prinzipiell ungeeignetes Verfahren, um zu innovativen und guten Ergebnissen zu kommen.

Wie sieht die Situation ein potenter Architektur-Auftraggeber wie die ÖBB?

Norbert Steiner: Für mich gehört dazu, dass man über Wettbewerbe auch geliefert bekommt, wie ich widmen soll und was ich wo baue.

Auch städtebauliche Vorstudien?

Steiner: Es handelt sich eben um Ideenwettbewerbe, und die Architekten brocken sich selbst schon viel ein, wenn zwar wenig gefordert, aber unheimlich viel geliefert wird. Ich glaube, dass man sich als Architekt prinzipiell einmal mit anderen Rollenbildern beschäftigen sollte. In anderen Ländern gibt es den Designarchitekten, der sich halt auf bestimmte Sachen beschränkt. Nicht jeder Wohnbau muss aus einem Wettbewerb entstehen, wo 50 Leute mitmachen.

Das hört sich nach Wohnung als austauschbare Ware an, vielleicht geht der Weg ja wirklich dorthin?.

Steiner: Wir stellen uns den Architekten jedenfalls als jemanden vor, der auch noch das letzte Schrauberl mitbestimmt. Ich frage mich, ob das noch das adäquate Rollenbild ist.

Prochazka: Es gibt nichts Komplexeres und Anspruchsvolleres als zum Beispiel ein städtebauliches Konzept zu entwickeln, das, wenn es gescheit gemacht ist, einen Milliardenmehrwert für den Grundeigentümer schafft. Das ist genau eine dieser Aufgabenstellungen, die wir österreichischen Architekten immer als Draufgabe dazubekommen, um überhaupt an Bauaufträge heranzukommen. Apropos internationale Rollenbilder: In England finanziert sich das Büro Foster hauptsächlich über Bebauungspläne, die sie überall auf der Welt machen, und die höchst dotiert werden. Wenn man sich nach anderen Rollenbildern umschaut, sollte man wirklich auch diese Aspekte einmal durchdenken. Große städtebauliche Verfahren, die der Gemeinde Wien vor einigen Jahren noch 700.000 Schilling wert waren, werden heute mit 70.000 Schilling abgegolten.

Neumann: Die gesamte Wettbewerbssituation hat sich in den vergangenen 15 Jahren enorm verschlechtert.

Steiner: Die wirtschaftliche Situation hat sich doch überall verschlechtert, und ich muss schon auch sagen können, dass Marktsituationen auch für Architekten gelten.

Prochazka: Wir wären ja schon froh, wenn sie für uns gelten würden!

Neumann: Warum müssen die Architekten kostenlos Ideen bringen, damit Bebauungspläne entstehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Jeder andere Berufsstand wird für vergleichbare Leistungen gut bezahlt. Die Gemeinde soll sich zehn dafür qualifizierte Leute suchen, soll drei Junge auch dazuholen und jedem ein entsprechendes Entgelt zahlen. Dass ein Wettbewerb veranstaltet und dann abgesagt wird, weil es keine Flächenwidmung gibt, ist unmoralisch und unfair. Wenn ein Bauherr im Nachhinein sagt, das Projekt sei nicht umsetzbar, hätte er sich vorher darum kümmern oder ein Gutachterverfahren veranstalten müssen. Wenn er jedem geladenen Teilnehmer 500.000 Schilling in die Hand drückt, dann kann er mit den Plänen später machen, was er will. Andernfalls hat es einen Sieger zu geben, der baut, und zwar nach der Gebührenordnung. Dann gibt es noch ein anderes Thema, das mich langsam sehr nervös macht, und zwar die Verhandlungsverfahren. Da sitzt man dann plötzlich vor jemandem, der sagt: Na, von der Gebührenordnung müssen'S 50 Prozent nachlassen, sonst kommen Sie leider nicht zum Zug.

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