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Schweres Haus, leichte Weine
»Lavaux Vinorama« in Rivaz (Waadt)
Das Steilufer des Genfer Sees östlich von Lausanne ist von den Weinbergterrassen des Anbaugebiets Lavaux geprägt. Die Weine werden in einem Degustations- und Verkaufsraum beworben, dessen einzelne Betonkörper sich zurückhaltend in die reizvolle Landschaft einfügen. Als Aushängeschild leistet sich der Bau ausschließlich eine große Glasfront mit einem Weinblatt-Ornament. Die verwendeten Formen und die sauber gefügten Materialien stellen auf subtile Weise zahlreiche Bezüge zur Umgebung her.
9. Mai 2012 - Achim Geissinger
Einen schöneren Flecken kann man sich kaum vorstellen: malerisch an die steilen Hänge geschmiegte Dörfer, umgeben von Reben auf schmalen Terrassen, als Panorama die hoch aufragenden Savoyer Alpen, darunter der glitzernde Genfer See. Die UNESCO hat den Wert von Natur- und Kulturlandschaft erkannt und die Gegend 2007 in die Welterbe-Liste eingetragen. Hier gedeiht im milden Klima vorwiegend roter und weißer Chasselas (Gutedel), der zumeist im Land selbst getrunken und kaum exportiert wird – zu internationaler Anerkennung brachten es die leichten Weine des Lavaux bislang nicht.
Die örtlichen Winzer bekommen auf Vermarktungsebene neuerdings Unterstützung von der Stiftung »Les Moulins de Rivaz«. Sie wurde 2001 gegründet, ursprünglich, um ein fabrikartiges Mühlengebäude am Bach Forestay kulturell umzunutzen. Die Pläne schlugen fehl, der Komplex musste abgerissen und das Stiftungsziel neu auf die Renaturierung des Wasserlaufs ausgerichtet werden. V. a. aber kümmerte sie sich um die Bündelung der Kräfte, als die Winzer mit der Idee auf die Stiftung zukamen, die Region und ihre Produkte stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und dazu einen Ort zu schaffen, an dem die Weine vorgestellt und verkostet werden können.
Aus dem eingeladenem Wettbewerb ging 2006 das Konzept des Büros Fournier-Maccagnan als Sieger hervor. Es stellt in vielerlei Hinsicht Bezüge zum Ort her, von denen manche sogar aus den engen baurechtlichen Beschränkungen hervorgingen.
Viel Platz ist auf dem Grundstück nicht, und die Kubatur des Gebäudes durfte jene der Vorgängerbauten – zweier Schuppen mit einer Pergola obenauf – nicht überschreiten. Die Architekten definierten für die Baukörper das abstrahierte Bild von herabgefallenen Felsbrocken, wie sie im Bachbett unterhalb des kleinen Wasserfalls und auch andernorts vielfach zu sehen sind. Die in der Horizontalen klar gegliederten, im Grundriss bisweilen unregelmäßig abknickenden Linien korrespondieren aber auch mit den Stützmauern der Weinbergterrassen. Dazu passt der monolithisch erscheinende Sichtbeton, dessen Zuschlagstoffe aus dem See gebaggert wurden. Noch vor dem Aushärten kratzte man den Beton mit dem Rechen auf, was die Kiesel hervortreten ließ und ein Oberflächenbild erzeugt, das dem des ringsum anstehenden Konglomeratgesteins gleicht. Von Lausanne her kommend ist das »Lavaux Vinorama« überhaupt nicht auszumachen – die straßenseitige Außenwand des Nebentrakts ist nicht von den übrigen Weinbergmauern zu unterscheiden, das Dach mit Reben bewachsen. Der Bau wendet sich allein dem Besucher zu, der vom Ort Rivaz her bzw. von der Autobahnausfahrt herab kommt. Als Hinweise darauf, dass es hier etwas zu entdecken gibt, dienen nur die beiden Parkplätze links und rechts der Straße und der mit dunklen Stahlblechen bekleidete Eingangsbereich, der sich im Gesamtbild fremd ausnimmt und die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auf die Bleche gedruckte Bilder und Texte geben Auskunft über die Geschichte und die Bedeutung des Orts. Subtil führen rostrote Rohstahlplatten im Boden – analog zu den rostigen Hilfskonstruktionen und Rebenpfosten in den Weinbergen ringsum – entlang des Brückengeländers zum Eingang hin. In diesem Zusammenhang weiß auch ein kleines Detail zu gefallen: Der leicht ansteigende, straßenwärts über die Krone einer Stützmauer gestrichene Asphaltbelag mit einzeln eingestreuten Kieseln läuft gegen ein U-förmiges Stahlprofil, das die Kante sauber inszeniert.
In verwinkelten Kellern
Hinter dem schleusenartigen Eingang empfängt den Besucher der weite Präsentationsbereich auf unregelmäßigem Grundriss, wo nahezu 200 Weine von rund 100 Winzern der Region auf ihre Entdeckung warten. Das gleichmäßige Raster der Regalfächer entlang aller Wände hebt keines der Produkte hervor – Pech nur für den, dem ein Fach unter oder über Augen- und Griffhöhe zugewiesen wurde. Die tiefen Eichenholzregale sind bündig in die Wand eingelassen; wenn man so will, macht der Arm, der hineingreift, einen Gang in den Keller zum Wein, der im Eichenfass lagert. Der gestockte Beton der Wandflächen und die gedämpfte Lichtstimmung vermitteln dazu eine trockene Kelleratmosphäre. Der Wein steht ganz im Vordergrund, nichts lenkt ab, eine Verbindung nach draußen besteht allenfalls über das Oberlicht, das gerahmte Blicke in den Weinberg und den Himmel darüber freigibt. Die schöne Idee vom Felsenkeller geht allerdings nicht ganz auf: Es sind Schalldämmplatten an der Decke nötig, um eine ausreichend intime Raumakustik zu gewähren. Pragmatisch entschied man sich auch für eine Kunstharzversiegelung des Betonbodens, um ihn besser reinigen zu können.
Ein verwinkelter, abgedunkelter Durchgang führt in einen schlauchartigen Bereich, der gleichzeitig die Nebenräume (Büro, Technik, edel in Rot gestaltete Toiletten) erschließt und als intimer Degustationsraum dient. Wer sich an der Raumbeduftung nicht stört und es bevorzugt, den Wein der Wahl statt am Tresen aus einem Schankautomaten zu verkosten, ist hier richtig.
Die Betonwände sind schwarz gestrichen, die meisten erdberührten Wände mit schwarzen Holzwolleplatten bekleidet, was mitnichten billig, sondern im Gegenteil sehr edel wirkt. Beim weiteren Abstieg, ein Stück tiefer in die Erde hinein, wird es noch dunkler, es gibt nur noch indirekte Beleuchtung. Im UG ist ein stimmungsvoller Film zu sehen, der die Arbeit der Winzer in den Weinbergen und Kellern des Lavaux über die Jahreszeiten hinweg fast hautnah erlebbar macht. Die Lichtquellen unter Bänken und hinter Wandpaneelen sind mit den Farbwechseln des Films synchronisiert.
Richtig fordernd ist dagegen der Aufgang ins OG: Der Treppenlauf ist so sparsam in die beengte Geometrie des Grundstücks eingepasst, dass er den Besucher unwillkürlich an die schmalen Weinbergtreppen erinnert und großgewachsene Menschen beim Begehen dazu zwingt, gut auf ihren Kopf achtzugeben. Der lichte Konferenzraum, der für alle Arten von Veranstaltungen genutzt wird, entschädigt aber durch sauber gefügte Details und haptisch ansprechende Materialien: Holz für die Einbauten, Metallplatten als Boden, gestockter Beton. Ungewohnt, aber konstruktiv ehrlich wirkt der stählerne Fachwerkträger, an dem die Geschossdecken hängen. Da er in das EG hinabreicht, wurden die Gefachfugen zwischenzeitlich mit Glas geschlossen, damit bei Firmenveranstaltungen auch Interna ohne Angst vor ungebetenen Zuhörern verhandelt werden können. Das Highlight des Raums ist freilich der Ausblick, der eben nicht direkt auf den See hinausführt – er wäre sonst von Straße und Bahntrasse beeinträchtigt –, sondern den gegenüberliegenden Hang und den Bachlauf in Szene setzt. In einigem Abstand vor den Glasscheiben ist als Filterschicht gegen zu viel Sonneneinstrahlung ein Metallgewebe mit goldfarbenen Metallplättchen gespannt. Mit der Handhabung solcher Konstruktionen kennt sich der Lausanner Künstler Daniel Schlaepfer aus, weshalb man ihn bat, dieses Element künstlerisch zu gestalten. Sein Pixelornament aus 6 000 Metallplatten ergibt in der Fernansicht ein sehr ansprechendes Weinlaubmotiv, das die Erscheinung des ganzen Gebäudes maßgeblich prägt und auf einer bildlichen Ebene Raumprogramm und Landschaft miteinander verbindet.
Auch energetisch wollte man auf der sicheren Seite sein: Zur Warmwasserbereitung über eine Wärmepumpe mit angeschlossener Fußbodenheizung und Wärmerückgewinnung aus der Raumluft tritt die energetische Trägheit der Wände mit der enormen Dicke von 68 cm – Minergie-Standard erfüllt.
So klein das Gebäude letztlich auch ist, so viel Spaß macht das Entdecken der verwinkelten Räume über drei Etagen mit ihren handwerklich und bemerkenswert ordentlich ausgeführten Oberflächen und der stimmungsvollen Lichtführung. Auch wer den Außenraum begeht, etwa über den externen – und sehr schmalen – Zugang zum Konferenzraum, erlebt, dass die Gestaltung das Thema Weinberg nie verlässt, sich dadurch perfekt in die Landschaft einfügt, dabei aber die Eigenständigkeit nicht verleugnet.
Die örtlichen Winzer bekommen auf Vermarktungsebene neuerdings Unterstützung von der Stiftung »Les Moulins de Rivaz«. Sie wurde 2001 gegründet, ursprünglich, um ein fabrikartiges Mühlengebäude am Bach Forestay kulturell umzunutzen. Die Pläne schlugen fehl, der Komplex musste abgerissen und das Stiftungsziel neu auf die Renaturierung des Wasserlaufs ausgerichtet werden. V. a. aber kümmerte sie sich um die Bündelung der Kräfte, als die Winzer mit der Idee auf die Stiftung zukamen, die Region und ihre Produkte stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und dazu einen Ort zu schaffen, an dem die Weine vorgestellt und verkostet werden können.
Aus dem eingeladenem Wettbewerb ging 2006 das Konzept des Büros Fournier-Maccagnan als Sieger hervor. Es stellt in vielerlei Hinsicht Bezüge zum Ort her, von denen manche sogar aus den engen baurechtlichen Beschränkungen hervorgingen.
Viel Platz ist auf dem Grundstück nicht, und die Kubatur des Gebäudes durfte jene der Vorgängerbauten – zweier Schuppen mit einer Pergola obenauf – nicht überschreiten. Die Architekten definierten für die Baukörper das abstrahierte Bild von herabgefallenen Felsbrocken, wie sie im Bachbett unterhalb des kleinen Wasserfalls und auch andernorts vielfach zu sehen sind. Die in der Horizontalen klar gegliederten, im Grundriss bisweilen unregelmäßig abknickenden Linien korrespondieren aber auch mit den Stützmauern der Weinbergterrassen. Dazu passt der monolithisch erscheinende Sichtbeton, dessen Zuschlagstoffe aus dem See gebaggert wurden. Noch vor dem Aushärten kratzte man den Beton mit dem Rechen auf, was die Kiesel hervortreten ließ und ein Oberflächenbild erzeugt, das dem des ringsum anstehenden Konglomeratgesteins gleicht. Von Lausanne her kommend ist das »Lavaux Vinorama« überhaupt nicht auszumachen – die straßenseitige Außenwand des Nebentrakts ist nicht von den übrigen Weinbergmauern zu unterscheiden, das Dach mit Reben bewachsen. Der Bau wendet sich allein dem Besucher zu, der vom Ort Rivaz her bzw. von der Autobahnausfahrt herab kommt. Als Hinweise darauf, dass es hier etwas zu entdecken gibt, dienen nur die beiden Parkplätze links und rechts der Straße und der mit dunklen Stahlblechen bekleidete Eingangsbereich, der sich im Gesamtbild fremd ausnimmt und die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auf die Bleche gedruckte Bilder und Texte geben Auskunft über die Geschichte und die Bedeutung des Orts. Subtil führen rostrote Rohstahlplatten im Boden – analog zu den rostigen Hilfskonstruktionen und Rebenpfosten in den Weinbergen ringsum – entlang des Brückengeländers zum Eingang hin. In diesem Zusammenhang weiß auch ein kleines Detail zu gefallen: Der leicht ansteigende, straßenwärts über die Krone einer Stützmauer gestrichene Asphaltbelag mit einzeln eingestreuten Kieseln läuft gegen ein U-förmiges Stahlprofil, das die Kante sauber inszeniert.
In verwinkelten Kellern
Hinter dem schleusenartigen Eingang empfängt den Besucher der weite Präsentationsbereich auf unregelmäßigem Grundriss, wo nahezu 200 Weine von rund 100 Winzern der Region auf ihre Entdeckung warten. Das gleichmäßige Raster der Regalfächer entlang aller Wände hebt keines der Produkte hervor – Pech nur für den, dem ein Fach unter oder über Augen- und Griffhöhe zugewiesen wurde. Die tiefen Eichenholzregale sind bündig in die Wand eingelassen; wenn man so will, macht der Arm, der hineingreift, einen Gang in den Keller zum Wein, der im Eichenfass lagert. Der gestockte Beton der Wandflächen und die gedämpfte Lichtstimmung vermitteln dazu eine trockene Kelleratmosphäre. Der Wein steht ganz im Vordergrund, nichts lenkt ab, eine Verbindung nach draußen besteht allenfalls über das Oberlicht, das gerahmte Blicke in den Weinberg und den Himmel darüber freigibt. Die schöne Idee vom Felsenkeller geht allerdings nicht ganz auf: Es sind Schalldämmplatten an der Decke nötig, um eine ausreichend intime Raumakustik zu gewähren. Pragmatisch entschied man sich auch für eine Kunstharzversiegelung des Betonbodens, um ihn besser reinigen zu können.
Ein verwinkelter, abgedunkelter Durchgang führt in einen schlauchartigen Bereich, der gleichzeitig die Nebenräume (Büro, Technik, edel in Rot gestaltete Toiletten) erschließt und als intimer Degustationsraum dient. Wer sich an der Raumbeduftung nicht stört und es bevorzugt, den Wein der Wahl statt am Tresen aus einem Schankautomaten zu verkosten, ist hier richtig.
Die Betonwände sind schwarz gestrichen, die meisten erdberührten Wände mit schwarzen Holzwolleplatten bekleidet, was mitnichten billig, sondern im Gegenteil sehr edel wirkt. Beim weiteren Abstieg, ein Stück tiefer in die Erde hinein, wird es noch dunkler, es gibt nur noch indirekte Beleuchtung. Im UG ist ein stimmungsvoller Film zu sehen, der die Arbeit der Winzer in den Weinbergen und Kellern des Lavaux über die Jahreszeiten hinweg fast hautnah erlebbar macht. Die Lichtquellen unter Bänken und hinter Wandpaneelen sind mit den Farbwechseln des Films synchronisiert.
Richtig fordernd ist dagegen der Aufgang ins OG: Der Treppenlauf ist so sparsam in die beengte Geometrie des Grundstücks eingepasst, dass er den Besucher unwillkürlich an die schmalen Weinbergtreppen erinnert und großgewachsene Menschen beim Begehen dazu zwingt, gut auf ihren Kopf achtzugeben. Der lichte Konferenzraum, der für alle Arten von Veranstaltungen genutzt wird, entschädigt aber durch sauber gefügte Details und haptisch ansprechende Materialien: Holz für die Einbauten, Metallplatten als Boden, gestockter Beton. Ungewohnt, aber konstruktiv ehrlich wirkt der stählerne Fachwerkträger, an dem die Geschossdecken hängen. Da er in das EG hinabreicht, wurden die Gefachfugen zwischenzeitlich mit Glas geschlossen, damit bei Firmenveranstaltungen auch Interna ohne Angst vor ungebetenen Zuhörern verhandelt werden können. Das Highlight des Raums ist freilich der Ausblick, der eben nicht direkt auf den See hinausführt – er wäre sonst von Straße und Bahntrasse beeinträchtigt –, sondern den gegenüberliegenden Hang und den Bachlauf in Szene setzt. In einigem Abstand vor den Glasscheiben ist als Filterschicht gegen zu viel Sonneneinstrahlung ein Metallgewebe mit goldfarbenen Metallplättchen gespannt. Mit der Handhabung solcher Konstruktionen kennt sich der Lausanner Künstler Daniel Schlaepfer aus, weshalb man ihn bat, dieses Element künstlerisch zu gestalten. Sein Pixelornament aus 6 000 Metallplatten ergibt in der Fernansicht ein sehr ansprechendes Weinlaubmotiv, das die Erscheinung des ganzen Gebäudes maßgeblich prägt und auf einer bildlichen Ebene Raumprogramm und Landschaft miteinander verbindet.
Auch energetisch wollte man auf der sicheren Seite sein: Zur Warmwasserbereitung über eine Wärmepumpe mit angeschlossener Fußbodenheizung und Wärmerückgewinnung aus der Raumluft tritt die energetische Trägheit der Wände mit der enormen Dicke von 68 cm – Minergie-Standard erfüllt.
So klein das Gebäude letztlich auch ist, so viel Spaß macht das Entdecken der verwinkelten Räume über drei Etagen mit ihren handwerklich und bemerkenswert ordentlich ausgeführten Oberflächen und der stimmungsvollen Lichtführung. Auch wer den Außenraum begeht, etwa über den externen – und sehr schmalen – Zugang zum Konferenzraum, erlebt, dass die Gestaltung das Thema Weinberg nie verlässt, sich dadurch perfekt in die Landschaft einfügt, dabei aber die Eigenständigkeit nicht verleugnet.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel