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Monumentale Statements
Neue Zürcher Zeitung

Parlamentsgebäude für Schottland und Wales

2. November 2001
Kaum war 1997 ihre politische Autonomie Tatsache geworden, hatten sich sowohl die Schotten als auch die Waliser zum Bau entsprechender Symbole entschlossen: Mit neuen Parlamentsgebäuden in Edinburg und Cardiff sollten dem wiedererwachten nationalen Selbstbewusstsein Monumente gesetzt werden. Dass aber Selbstverwaltung nicht ohne einen Preis kommt, hat man inzwischen in beiden Ländern erkannt: In Schottland, wo mit etwa 40 Millionen Pfund gerechnet wurde, sind die Kosten für die Parlamentsbauten im Laufe der Arbeiten bereits auf über 195 Millionen gestiegen, und in Wales werden die ursprünglich mit 26,6 Millionen budgetierten Auslagen jetzt auf 47 Millionen Pfund geschätzt.

Die Waliser haben denn auch schon die Nerven verloren: Nach lediglich vier Monaten Bauarbeit - zänkische Politiker hatten den Beginn verzögert - ist im Juli der Stararchitekt Richard Rogers entlassen worden. Man denkt unwillkürlich daran, wie in Cardiff politische Intrigen vor wenigen Jahren bereits den Bau eines Opernhauses nach den Plänen von Zaha Hadid vereitelten. Ob jetzt ohne Rogers das von ihm entworfene Parlamentsgebäude je entstehen wird? Während in Wales Ungewissheit herrscht, bauen die Schotten weiter. Allerdings haben auch sie Probleme; die Kosten für ihre Parliament Buildings nach Plänen von Enric Miralles könnten noch mehr steigen. Erschwerend wirkt ausserdem, dass Miralles vor über einem Jahr gestorben ist und nun seine Partnerin Benedetta Tagliabue das barcelonesische Büro weiterführt.

Für das, was die Schotten als den seit 300 Jahren wichtigsten Neubau im eigenen Land sehen, wurde ein historischer Standort gewählt. Die Parlamentsgebäude entstehen in Edinburg am unteren Ende der vom Schloss hinab zum Holyroodhouse führenden Royal Mile, was heisst: innerhalb eines Stadtteils, der zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde, und unmittelbar gegenüber dem Holyroodhouse Palace, der - ursprünglich ein Gasthaus der hier 1128 gegründeten Abtei - 1501 von James IV. in einen Palast umgebaut wurde und heute die offizielle schottische Residenz von Königin Elisabeth ist. Dem Bau des Miralles-Projekts musste zum einen eine Brauerei Platz machen (aus der Gegend um die Royal Mile kam einst ein Viertel des in Schottland gebrauten Bieres); zum anderen wird ein anderes Gebäude, das historische Queensberry House, den Parliament Buildings vollständig einverleibt.

Wohl war Enric Miralles für das Projekt der Hauptverantwortliche, doch der Auftrag schloss das Architekturbüro RMJM Scotland mit ein. Mit dem Fingerzeig auf die Umgebung erwartete die schottische Regierung für ihr neues Domizil eine «respektvolle» Architektur - und dem entsprach Miralles, indem er in seinen Plänen die Gebäude, wie er selbst sagte, «zurechtbog», so dass aus ihnen ein organischer Bestandteil der unmittelbar zum Berg anwachsenden Landschaft würde. Was den Schotten am Projekt besonders gefiel, waren die laut Miralles für ihr Land typischen Formen: Gebäude, die an Boote erinnern, ja die wie Wellen ineinander übergehen. Zwar sind da kritische Stimmen, die sagen, in solchen Formen spiegle sich eher eine skandinavische Tradition - und weiter mag einer mahnen, dass Miralles' hölzerne Modelle wohl gut aussehen, dass aber in Schottland, denkt man an Stein und Wetterbedingungen, das Anpassen neuer Bauten an die ringsum vorhandene Architektur besondere Voraussicht erfordert. Nun, man wird für ein Urteil abwarten müssen, ist doch vom Gebäudekomplex noch nicht viel erkennbar - obschon die Parliament Buildings diesen Herbst bezugsbereit hätten dastehen sollen.

Einer der Gründe für die Verzögerung sind zweifellos die Arbeiten, die das Eingliedern des im 17. Jahrhundert gebauten Queensberry House abverlangt. Erst eine Residenz Adeliger und daher mit dem Look des schottischen «baronial style», später eine Kaserne und dann ein Pflegeheim, war der Bau 1995 geschlossen worden. Dass er darauf von Vandalen verwüstet wurde, war zwar bekannt - doch seinen desolaten Zustand erkannte im vollen Ausmass wohl weder Miralles noch sonst jemand. «Unter uns gesagt: das Gescheiteste wäre gewesen, alles niederzureissen - etwas Neues wäre sicher billiger gekommen!» Der Foreman, der im September auf dem Bauplatz diese Auskunft gab, präzisierte schliesslich: Nicht einmal alle alten Abflussrohre in den Mauern könnten die Arbeiter finden. Das Queensberry House sei am Verfaulen; zwar werde es jetzt mit Stahl zusammengehalten - «doch wie lange es zu stehen vermag, weiss hier keiner».

Dass sich in Edinburg gelegentlich wieder jene Stimmen melden, die die grandiose alte Royal High School als Parlamentsgebäude haben wollten, überrascht nicht; hätte für sie doch ein solches neoklassizistisches Gebäude von der Dauerhaftigkeit und den Aspirationen des schottischen Parlaments gekündet. Dem sei angefügt, dass ähnlich schon in Wales die Nationalisten die Besserwisser waren. Und dass dort sie, und nicht der Architekt Richard Rogers, an den massiven Mehrausgaben für das unvollendete Parlamentsgebäude die Schuld tragen - bestanden doch in Cardiff nationalistische Politiker darauf, dass walisisches Material verwendet und walisische Baufirmen beauftragt wurden, was immer dies kosten mochte. Einen Kommentar zu diesen vom nationalen Selbstbewusstsein verursachten Wehen lieferte interessanterweise eine englische Zeitung. Irgendwie sei es schade, schrieb der Architekturkritiker des «Guardian», dass man in Wales und Schottland mit den Parlamentsgebäuden so sehr ein Statement suche - wo sich doch auf den britischen Inseln eine junge Generation als europäisch und gar nicht mehr so sehr als schottisch, walisisch oder auch englisch zu sehen beginne. Trifft dieser Gedanke zu, ist auch er ein Statement.

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