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Die Grenzen des Grünstreifens
Neue Zürcher Zeitung

Was bedeutet «Nachhaltigkeit» in der Architektur?

4. Juli 2003 - Robert Kaltenbrunner
Nachhaltig, also ressourcenschonend und umweltverträglich, zu bauen, ist heute wichtiger denn je. Bereits vor 20 Jahren glaubte man anhand des «ökologischen Bauens» einen Paradigmenwechsel feststellen zu können. Doch was lässt sich von solch hehren Zielen wirklich einlösen? Dass Ökologie und Ökonomie nicht unbedingt einen Gegensatz bilden, wird in jüngster Zeit gebetsmühlenartig wiederholt. Umweltbewusstsein hat mittlerweile einen festen Platz im gesellschaftlichen Wertekanon erobert; es ist auch zu einer zentralen Prämisse des Bauens geworden. Doch Öko-Gadgets machen noch keine Öko-Architektur; Solarzellen und passive Sonnennutzung, ins Haus integrierte Gewächshäuser, Fassadenbegrünung und Wärmedämmung sind nicht hinreichend für ein wirklich zukunftsfähiges Bauen. Denn das erhebt den Anspruch, dezentral, kleinteilig und selbstgenügsam zu sein.


Zwiespältige Werturteile

In der herrschenden Diskussion erscheint Nachhaltigkeit, besonders wenn sie auf Innovation und Hochtechnologie bezogen wird, wie eine Dame ohne Unterleib, abgeschnitten von den kulturellen Fermenten und den sozialen Katalysatoren, ohne die noch nicht einmal die aseptisch gedachten wissenschaftlichen Entdeckungen, geschweige denn ihr gesellschaftlicher Gebrauch zu haben sind. Ein Wegbereiter diesbezüglich war Buckminster Fuller, dessen Wirken unter dem Motto «How to make the world work?» stand. Die Information der Teile über ihr Funktionieren im Ganzen wird zur Ausgangsfrage für Fullers «Systems Approach»; die Lösungsstrategie setzt bei der Integration der Einzelfunktionen an. Nachhaltiges Bauen gibt es demnach nur als Synthese von technologisch-ingenieurmässigem Handeln und gesellschaftspolitischen, wertbasierten und wertorientierten «Ansprüchen». Im Kanon dieser Ansprüche spielt der Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft - weg vom einseitigen Wirtschaftswachstum, hin zu mehr Lebensqualität - eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Lebensqualität indes drückt sich auch darin aus, dass man heute anders wohnt als früher. Steigender Wohnflächenbedarf stellt ein reales und qualitatives Anliegen dar. Nachdem die Architektur der Moderne Fragen der Ökologie, der Isolation und der Heizkosten jahrelang als zu vernachlässigende Grössen behandelt hatte, sind heute die bessere Orientierung und die Dämmung von Gebäuden zentrale Themen. Photovoltaik, Passivhaus-Standard, Wärmerückgewinnung: Fraglos ist hier viel erreicht worden. Eine Architektur jedoch mit dem Anspruch, etwas Integriertes, Vernetztes, Umweltbewusstes zu schaffen, bleibe letztlich «gleichgültige Technologie, ob hart, ob sanft, wenn nicht subjektive semantische Energien das technische Konstruktionsgerippe zu einem Bild eines anderen Lebens ergänzen können» (Ullrich Schwarz). Mit Bepflanzung, Brennwertkesseln, Solarzellen, rezyklierbaren Baustoffen und Energiekosten-Vergleichen ist es demnach nicht getan. Vielmehr und ganz entschieden handelt es sich um eine Frage der Bereitschaft, der Bewusstwerdung, der mentalen Veränderung - und dieser Frage haben sich weder Architekten und Bauträger noch Bewohner und Betreiber in der notwendigen Tiefe gestellt.

Obgleich viele Einsichten und Erkenntnisse darüber, wie nachhaltiges Bauen strukturiert sein müsste, bereits vorliegen, bleibt ihr Transfer in die Praxis weitgehend aus. Ob das mit der mangelnden «Sinnlichkeit» zusammenhängt? Peter Eisenman jedenfalls hat, als er unlängst befragt wurde, wie er es denn mit «sustainability» halte, eine unmissverständliche Antwort gegeben: «Mit mir über Nachhaltigkeit zu reden, ähnelt einem Gespräch übers Gebären. Bin ich gegen das Kinderkriegen? Nein. Aber würde ich meine Zeit damit verbringen, es zu tun? Nicht wirklich.» Das Thema scheint für Intellektuelle oder Künstlernaturen arg spröde zu sein und «ökologische Architektur» ein Label, das viele abschreckt. Dies der Ignoranz und Unlust zuzuschreiben, ist sicherlich nicht ganz falsch. Doch auch von Seiten der Ökologen wird ein «klassisches Architekturverständnis» als Feindbild aufgebaut. Dabei gibt es keinen Öko- oder auch nur Energiespar-Stil. Ein solches Bauen verlangt keine einheitliche Ästhetik und keine allgemein verbindlichen Regeln, es sei denn diejenigen eines vernünftigen, die Umwelt nicht zerstörenden Verhaltens. Insofern ist auch der gerne angeführte Widerspruch zwischen «Gestaltung» und «Umweltanspruch» bloss virtuell.

Fruchtbare Ansätze, das nachhaltige Bauen in eine zeitgenössische «Architektursprache» zu übersetzen, gibt es zwar - hier sei nur auf die Idee der «natürlichen Konstruktionen» hingewiesen, wie sie von Frei Otto experimentell entwickelt wurde. Aber wirklich konstitutiv ist dies bislang nicht geworden. Woran wiederum die Medien keineswegs unschuldig sind: Sie kanalisieren die öffentliche Debatte, über die Qualität zugeteilt wird. Zur Architektur zählt, was einer Besprechung in den Medien wert ist.

Um das Thema stärker in der Öffentlichkeit und im «normalen» Bauen zu verankern, bedarf es nicht so sehr exzeptioneller Öko-Avantgarde- Projekte. Vielmehr wären praktische Beispiele vorzuführen, müsste der Gebrauch von kostengünstigen, quasi alltäglichen, d. h. bereits gängigen und bewährten Technologien im Lebensalltag bewiesen und anschaulich gemacht werden. Ein simples Beispiel: Weil das von Gewohnheiten, Sorglosigkeit und Unkenntnis geprägte Benutzerverhalten von entscheidendem Einfluss auf den Energieverbrauch ist, muss die Planung just da ansetzen, sonst nützen auch die schönsten Massnahmen wenig. Wer den Anspruch erhebt, der Umwelt und ihren Ressourcen angepasst zu bauen, darf eben nicht auf in sich geschlossenen, höchst komplizierten technischen Systemen bestehen, zu deren Regulierung es eines ingenieurtechnischen Hochschulabschlusses bedarf. E. F. Schumachers Axiom «Small is beautiful» bietet eine Art Richtschnur - weniger im ideologischen Sinne als vielmehr in seiner Tendenz, dass nicht Grosstechnologien, sondern für den Einzelnen handhabbare Systeme zu kultivieren wären.


Vernetzte Zusammenhänge

Wenn es ein Grundprinzip der Nachhaltigkeit ist, in vernetzten Zusammenhängen zu denken, dann reichen diese Zusammenhänge, bildlich gesprochen, über die Grenzen des Grünstreifens hinaus und umfassen nahezu alle Muster unserer sozialen, ökonomischen und politischen Wertbestimmung. So wird, über kurz oder lang, auch das nachhaltige Bauen nicht länger als unverbindliche Lebensstil-Option mit privatem Weltanschauungszusatz misszuverstehen sein. Es geht um die Vernunft und Sinnhaftigkeit des Gebäudes in sich und in seiner Einpassung in Raum und Zeit, aber auch um die Prozesse der Rückkopplung zwischen Technik und Bewohner, um die Gesetze des Haushaltens, um Verständlichkeit, Einsicht, Nachvollziehbarkeit, Urteilskraft, Verhalten und Gebrauch. Um nicht mehr, aber auch nicht um weniger.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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