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Das Spiel um Graz
Spectrum

Die Bewohner sagen Nein zum Kauf des Reininghaus-Areals. Die Abstimmung zeigt, dass die gedeihliche Stadtentwicklung kaum über Bürgerentscheid gesteuert werden kann. Nachrichten aus Graz.

21. Juli 2012 - Karin Tschavgova
Volkes Stimme hat in Graz gesprochen und entschieden, dass weder eine Umweltzone eingeführt noch das Reininghaus-Areal von der Stadt gekauft werden soll. Bei einer für Bürgerbefragungen recht hohen Beteiligung von mehr als 30 Prozent der stimmberechtigten Grazer stimmten knapp 68 Prozent, das sind rund 48.000 Grazer, gegen den Ankauf. Ihre Motive dürften sich mit jener der SPÖ decken, die sich in einer aufwendigen Kampagne dagegen aussprach, weil die Stadt schon ohne die für einen Kauf notwendige Kreditaufnahme und die daraus erwachsende jährliche Zinsenlast hoch verschuldet sei. Das Nein aus Angst vor den Folgekosten, einer drastischen Beschneidung kommender Jahresbudgets, war vorauszusehen.

Was steckte also hinter der Bürgerbefragung, die der Bürgermeister im Alleingang zu diesem Zeitpunkt initiiert hatte? War es die Angst vor Stimmenverlust bei der baldigen Wahl, wenn eine derart weitreichende Entscheidung im Gemeinderat gefällt worden wäre, oder musste gar eine Ablehnung legitimiert werden gegenüber mächtigen, zum Kauf drängenden Kräften dieser Stadt? Immerhin mussten die derzeitigen Gesellschafter von Asset One in der Nachfolge des Eigentümers Scholdan von der Steiermärkischen Bank die 85 Millionen Schulden übernehmen, die dieser angehäuft hatte, und zehn Millionen Euro investieren. Wer hätte mehr Interesse an einer raschen, sicheren Darlehensabdeckung gehabt als jene beiden Interessengruppen?

Nicht jedes der Argumente, die für den Ankauf der Reininghausgründe ins Treffen geführt wurden, war nachvollziehbar. Das erste: Die Stadt wächst und braucht zusätzliche Wohnungen und Arbeitsplätze. Wenn dem so ist, wird der Markt auf die Nachfrage reagieren, zumindest was den Wohnungsbau betrifft. Die Ansiedelung von Betrieben ist nicht davon abhängig, ob die Stadt das Areal besitzt. Zweites Argument: Mit Reininghaus wird dringend benötigter leistbarer Wohnraum geschaffen, ohne bestehende Wohngebiete im Stadtgebiet zu verdichten. Ob und wo leistbarer Wohnraum geschaffen wird, bestimmen gesetzliche Voraussetzungen und die Grundstückspreise. Auch die Stadt, die das Areal ja nicht selbst entwickeln, sondern weiterverkaufen wollte, hätte unternehmerisch handeln und aus dem Verkauf der Quartiere Gewinne erzielen müssen, um Abtretungsflächen und Infrastruktur finanzieren zu können. Der schon relativ hohe Kaufpreis, Zinslasten für den Kredit und zu erwartende Unwegsamkeiten wie minderwertige Teilbereiche des Areals, vermutete Bodenkontamination oder Einschränkungen durch Denkmalschutz hätten berücksichtigt werden müssen. Ob unter Einberechnung all dieser Unwegsamkeiten Verkaufspreise erzielbar gewesen wären, die gefördertes, leistbares Wohnen möglich machen? Der Faktor Zeit wäre für die Stadt, nicht anders als für den jetzigen Eigentümer, zum Verwertungsrisiko geworden – der Druck zu verkaufen enorm.

Selbst das einzig schlüssige der vorgebrachten Argumente für den Kauf der 52 Hektar großen Fläche hätte das unternehmerische Risiko nicht ausgeschaltet: Als Eigentümerin die Gewinne aus Grundstücksaufwertungen durch Umwidmung zu lukrieren hätte vorausgesetzt, dass die Verwertung in Hinsicht auf den Zeitrahmen, etwaige Altlasten und erreichbare Verkaufserlöse optimal verlaufen wäre. Aus den Ingredienzien für den Verkaufserfolg – Wachstum, gute Konjunkturdaten, eine geschickt kaufmännisch operierende Verwertungsgesellschaft, etwas Glück – wäre nur die Schaffung einer professionellen Organisationsstruktur lenkbar gewesen. Skepsis ist hier angebracht. Wie meinte ein innovationsfreudiger Grazer Unternehmer? Die Stadt könne er sich als Unternehmerin nicht vorstellen.

Ein Argument der Abstimmung für den Kauf war, dass die Stadt als Eigentümerin ihre Vorstellungen von einem ökologischen, lebenswerten und verkehrstechnisch ideal erschlossenen Stadtteil optimal umsetzen könne, dass also eine durch Investoren bestimmte, auf Profit fokussierte Entwicklung hintan gehalten werden könne. Dazu müsste die Stadt das Profil des künftigen Stadtteils noch schärfen und diese Vorstellungen so weit wie möglich in den ihr zur Verfügung stehenden Planungsinstrumenten festlegen. Das Dilemma: Der Flächenwidmungsplan alleine taugt dazu nicht, weil er nicht aussagekräftig genug ist. Bebauungspläne, die auf diesem basieren, schränken in der Regel zu sehr ein und stehen einer Lösung, die Investoren und Stadt befriedigt, im Wege, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt erstellt und nicht im konkreten Prozess in einem Bebauungsplanverfahren entwickelt werden.

Stadtteilentwicklung ist heute ein prozessualer Akt, bei dem einige Rahmenbedingungen als Grundsätze vorgegeben sein müssen. Das erfordert Mut, Rückgrat und die Zuversicht, dass sich dennoch Investoren einfinden. Als Eigentümerin von Grund und Boden hätte die Stadt zweifelsohne bessere Voraussetzungen zur Umsetzung vorgegebener Standards gehabt. Sie hätte Optionen auf Grundstücke oder Teilquartiere ausschreiben können, die an bestimmte Bedingungen geknüpft sind. Interessenten können sich in einem Bieterverfahren bewerben, und wer die Kriterien an ehesten erfüllt, erhält in einer zweiten Phase den Zuschlag für das Grundstück.

Nun, dieses Abstimmungsergebnis macht andere Handlungsstrategien zur Entwicklung von Reininghaus notwendig. Derzeit herrscht eine Art Pattstellung: Asset One muss, um mit der Bank eine Darlehensverlängerung auszuhandeln, bis Ende des Jahres Verkaufserfolge vorweisen. Der noch gültige Flächenwidmungsplan sieht jedoch vorwiegend Gewerbeflächen vor. Die Filetierung und ungeordnete Ansiedlung von Gewerbe deckt sich nicht mit dem Entwicklungsplan der Stadt, und eine befristete Bausperre, wie die Grünen sie fordern, steht rechtlich auf unsicheren Beinen. Die Stadt muss also raschest handeln und verhandeln. An die Umwidmung des Areals auf Basis des bestehenden Rahmenplans müsste im Verhandlungsweg die Bereitschaft des Verkäufers Asset One geknüpft werden, einen Großteil des Aufwertungsgewinns an die Stadt abzutreten. Damit könnte ein Teil jener infrastrukturellen Voraussetzungen finanziert werden, die Investoren als Garantie für den Erfolg ihres Engagements voraussetzen. Der Stadt wird ein tiefer Griff in ihre Budgets zur Abdeckung der kolportierten 130 Millionen für die Infrastruktur nicht erspart bleiben. Vermutlich wird sie die Ablehnung des Kaufs durch die Bürger nicht weniger kosten, auch wenn das Verkaufsrisiko wegfällt. Dies abzusehen fiel sogar dem Stadtrechnungshof und Finanzexperten schwer – zu komplex sind offene Themen und Fragen, zu unsicher Prognosen der Entwicklung. Den Bürgern die Entscheidung zu übertragen war schlicht eine Zumutung.

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