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Aufwärts geht's. Oder so.
Spectrum

Graz darf alles. Was passiert, wenn es macht, was es glaubt, im Kulturhauptstadtjahr 2003 machen zu dürfen? Es inszeniert einen Rummelplatz - gleichermaßen mitreißend wie schweißtreibend.

7. Juni 2003 - Karin Tschavgova
Es geht aufwärts in und mit Graz. Nicht nur bei der Mariensäule am Eisernen Tor, wo der gläserne Lift von Richard Kriesche die Besucher gegen Entrichtung eines Obolus von einem Euro in Aughöhe mit der Madonna hieft. Hinauf auf den von den Grazern neuerdings wiederentdeckten Schlossberg - auch mit einem spektakulären Aufzug in einem dafür kerzengerade durch den Dolomitfels gesprengten Schacht. Oder beim Kunsthaus, derzeit noch viel besuchte Baustelle, in dem Kulturbeflissene nach dem Willen der Architekten Peter Cook und Colin Fournier künftig mittels raumgreifendem Travelator (Rollband) langsam in den Bauch der blauen „Blase“ gleiten sollen, mit wachsender Neugier auf das, was sie auf den beiden Ausstellungsebenen erwartet.

Kein Zweifel, es geht geradezu euphorisch aufwärts in Graz, physisch und bildhaft, wie etwa in einigen Beiträgen zum Thema Schwere und Levitation, Aufstieg und Anziehung der exzellenten Ausstellung „Himmelschwer - Transformationen der Schwerkraft“. Auch steigend - die Nächtigungszahlen, die die kühnsten Erwartungen der Touristiker übertreffen. Im ersten Quartal des Jahres verzeichnete man eine Zunahme von 29,6 Prozent, wobei der Anteil an Italienern mit plus 64 Prozent am stärksten stieg. Touristenströme wie in der Salzburger Getreidegasse wälzen sich durch die engen Gässchen rund um den Hauptplatz, und das Selbstwertgefühl der Stadtpolitiker hebt sich proportional mit den Besucherzahlen.

Selbst die Grazer sind ungewöhnlich hoch gestimmt und sichtlich stolz auf die Objekt gewordenen Highlights des Kulturhauptstadtjahres mitsamt ihrer Umwegrentabilität. Kritische Stimmen aus der Bevölkerung, etwa zu Kosten und Sinnhaftigkeit der Projekte, sind rar geworden und in den Medien nahezu verstummt. Ist es angesichts überwiegender allgemeiner Zufriedenheit überhaupt legitim, den Blick stärker zu fokussieren und, unabhängig von nach außen getragenen Jubelstimmen, eine kritische Innenschau zu versuchen?

Nicht aufwärts, sondern abwärts geht es erst einmal nur zur Insel in der Mur, die nach dem Künstler Vito Acconci benannt ist, der in seinen New Yorker Studios das schwimmende Objekt nach einer Idee des Grazers Robert Punkenhofer ausarbeiten ließ. Man erreicht sie von den Gassen und Plätzen der Altstadt rund um den historischen „Sack“ über Rampen und Stiegen und die neu errichtete Muruferpromenade. Die Wahl der Acconci-Insel mit ihrer pittoresken Muschelform aus je einer offenen und einer geschlossenen, ineinander verschränkten Schale zum Leitprojekt war kalkulierte Spekulation, die vordergründig auch aufgeht. In unzähligen Berichten über Graz 2003 europaweit ins Bild gerückt, zieht sie täglich Ströme von Touristen an, die weniger auf ihr verweilen, als sie zu durchschreiten - gefolgt von Einheimischen, von denen jeder sie, im Sog ihrer Popularität, einmal gesehen haben muss.

Vorübergehende Heimstatt ist sie mit ihrer futuristisch anmutenden, in glitzerndes Blau gekleideten Café-Bar den bunten Nachtvögeln, die sie „hip“ finden und derzeit zahlreich bevölkern. Derartige Lokale sind kaum dazu geeignet, Klassiker zu werden. Sie sind wie ihre Klientel Moden unterworfen, und es ist daher fraglich, ob das ganztägig betriebene Café über 2003 hinaus, etwa im Winter, bei unattraktivem Niedrigwasser der Mur und kahler Baumkulisse, Anziehungspunkt bleiben kann.

Zweifellos ist es durch die Errichtung der Insel gelungen, den in einem tiefen Bett geführten Fluss stärker in das Bewusstsein des Graz-Flaneurs zu rücken und wieder zum Teil der Stadt werden zu lassen. Hautnah kann plötzlich Rauschen und Fließen, verstärkt durch eine neue, für die Insel errichtete Staustufe, erlebt und sogar genutzt werden. Eine Kajak-Rodeo-Weltmeisterschaft, das ist für die Grazer neu. Die Stadt Graz will die schiffartige Insel, die aus Mitteln des Kulturhauptstadtjahres finanziert wurde und nur temporär vor Anker gehen sollte, nun an Ort und Stelle belassen. Sie könnte sich, mit aufwendig zu erhaltender Stahlrohrkonstruktion, als Danaergeschenk erweisen, weil ihr die Möglichkeit einer einfachen Überholung in einer Werft fehlt. Angesichts der prekären finanziellen Lage, in der sich die Stadt nach 2003 laut Aussage des neuen Finanzstadtrats Wolfgang Riedler befinden wird, darf die Frage gestellt werden: Ist die Acconci-Insel ein populistischer Kraftakt oder eine nachhaltige Investition?

Fragen nach Angemessenheit und Ökonomie stellt man kaum, wenn man das Spektakuläre forciert. Dem wurde die Juryentscheidung des Wettbewerbs für das Kunsthaus unter dem Vorsitz von Volker Giencke untergeordnet. Kolportiertes Motto: „Wir folgen keinen Trends, wir machen sie.“ Mit dem Entwurf der englischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier hat man ein Projekt gekürt, dessen Architektur zwar ein Remake der Formensprache ungebauter Ideen der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre ist, deren visuelle Darstellung bis heute allerdings keine formadäquate Umsetzung kennt. So mutiert die blaue Blase, immer noch „Bubble“ genannt, in der Realisierung vom „geschmeidigen Kokon“ zum hartschaligen Panzertier mit blauen, großformatigen Acrylglasplatten, die nichts mehr von einer Membran an sich haben.

Im Inneren ist die amorphe Form nur im schüsselartig gewölbten Unterbauch, der didaktischer Vermittlungsbereich für Kinder wird, und in der oberen der beiden Ausstellungsebenen, die kuppelartig überwölbt ist, sinnlich erfahrbar. Was Kritiker bezweifeln, nämlich ob sich derart determinierte, kraftvoll geformte Räume dazu eignen, neutraler Rahmen und Hintergrund für unterschiedlichste zeitgenössische Kunst zu sein, stellt für den Leiter des künftigen Kunsthauses, Peter Pakesch, eine spannende Herausforderung dar.

Was für viele Museumsplaner obligat scheint - der völlig abgedunkelte, tageslichtlose Ausstellungsaum, wie die erste Ebene des Kunsthauses ihn darstellt - bereitet Pakesch eher Kopfzerbrechen. Er weiß, dass Tafelbilder im Großformat, die entgegen allen Unkenrufen immer noch produziert und gehandelt werden, meist Tageslicht verlangen. Die Frage nach dem reibungslosen Funktionieren des Kunsthauses wird nicht die einzige bleiben. Zu vieles in seiner Handhabung scheint ungelöst, etwa die Reinigung der Acrylglasplatten und der Folienhaut und vor allem die Instandhaltung der Medienfassade mit ihren unzähligen, hinter den Platten montierten kreisrunden Neonröhren, die Wind und Wetter und diversem Kleingetier ausgesetzt sein werden.

Geht es allerdings um den „großen Strich“, wie der für das Bauen zuständige Stadtrat Gerhard Rüsch betont, dann geht das Kalkül sicher auf. Mit dem Grazer Kunsthaus sichert man sich den „Bilbao-Effekt“, das Bauwerk mit seiner spektakulären Form und Hülle wird Attraktor genug sein, um Besucher anzulocken. Gelingt die spannende Bespielung, was unter der Leitung von Pakesch zu erwarten ist, kann es für die Stadt Graz und ihre Bewohner nachhaltig wirksam werden.

Ob dies auch für Konzept und Führung des neuen Literaturhauses, das Anfang Mai eröffnet wurde, gilt, ist fraglich. Das liegt an den Zeiten. Wer liest heute schon Gedichte, wer, außer Germanisten, erforscht Literatur? Es liegt aber vielleicht auch am Raum. Der 234 Quadratmeter große Veranstaltungssaal im Untergeschoß des neuen Gebäudes von Riegler Riewe wirkt unproportioniert. Mit zu geringer Raumhöhe von drei Metern und einer scheinbar beliebig in den Raum gesetzten massigen Säule hat er das Flair eines volksdemokratischen Vereinslokals und verleitet weder zum gedanklichen Höhenflug noch zum Theaterspiel.

Genauso wenig wie das darüber liegende Café zur vormittäglichen Mußestunde mit einem Journal oder Buch einlädt. Denn was ein Literaturcafé werden sollte, ist, von der Architektengruppe Innocad in Siebzigerjahre-Retromanier gestaltet, zum literaturfernen Abendtreff mit Bar in unsäglichen Braun- und Gelbtönen geworden. Ersatzweise gut geeignet für sommerliche Kontemplation ist die dem Café vorgelagerte Terrasse über dem Saal - ein Innenhof, der sich würdig in die Tradition der intimen Grazer Stadträume fügt. Lage und Konzeption des Zubaus von Riegler Riewe erfüllen die Vorstellung des Stadtrates Rüsch vom großen Strich, aber an diesem Projekt zeigt sich im Detail, dass der Grat zwischen Einfachheit und Banalität schmal ist.

Aufwärts führt eine andere Gratwanderung, nämlich auf den Schlossberg, wo vor wenigen Tagen ein weiteres Café eröffnet wurde. Dicht beim Ausstieg des gläsernen Aufzugs haben die jungen Architekten Siegfried Frank und Michael Rieper mit ihrem ersten öffentlichen Auftrag einen Ort von großer urbaner Qualität geschaffen. Hier zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Leicht und transparent, dabei großzügig von einer Terrasse umgeben, entstand in Miesschem Sinn mit wenigen Elementen ein Raum, der kaum mehr als ein gedeckter Unterstand zum Schutz gegen Sonne sein soll. Ein flaches Dach auf schlanken, zurücktretenden Stahlstützen, eine aus großen Glasflächen gebildete Fassade, die den kleinen Barraum dreiseitig begrenzt, und der geschlossene Servicebereich, verkleidet in sorgfältig verlegtem Natursteinmauerwerk, spannen ihn auf.

Raffinesse erst auf den zweiten Blick: Bei schönem Wetter lässt sich die Verglasung vollständig öffnen, indem sie, auf Knopfdruck, lautlos im Boden verschwindet. Hinter der heiteren Gelassenheit, die dieses kleine Objekt bis hin zur ungewöhnlichen Gartengestaltung kennzeichnet, lässt sich für den Kritiker die Anstrengung erahnen, die erst zu solch geglückter Reduktion führen kann.

Im Ergebnis ähnlich selbstverständlich präsentiert sich, gleich nebenan, der „Schatten des Uhrturms“, eine für 2003 vom jungen Konzeptkünstler Markus Wilfing erdachte Arbeit, die als Kunstwerk das Stadtbild wirksam prägt und dabei facettenreich, je nach Standort und Blickwinkel, von weiten Teilen der Stadt aus erlebbar ist. Der dreidimensionale, im Größenverhältnis eins zu eins dem Grazer Wahrzeichen nachgebaute, in homogenes schwarzes Blech gehüllte Körper soll die Wahrnehmung des Betrachters durch Irritation schärfen. Dieser subtile Eingriff ist, ganz ohne technischen Aufwand und krampfhaft gewolltem Inszenarium, intelligent und vielschichtig. Dem Kunstbetrachter verlangt er die Auseinandersetzung mit dem Werk ab, gibt ihm aber auch die Freiheit mehrerer Deutungsebenen.

In diesem Sinn hat Wilfings Beitrag das Zeug, nachhaltig der Reputation der Stadt mit ihrer künstlerischen Potenz zu dienen. Deshalb wäre die Stadt gut beraten, das Schattenobjekt über das Kulturhauptstadtjahr hinaus zu erhalten und zu verhindern, dass es, wie geplant, sinnentleert als harmloses Maskottchen im neu errichteten Mega-Einkaufszentrum vor den Stadttoren verkommt. Denn manchmal - welch Wunder! - erweisen sich die leisen, gar nicht marktschreierischen Lustbarkeiten als anziehender, sogar auf einem Rummelplatz.

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