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Ein Blick in die Zukunft?
Neue Zürcher Zeitung

Blob-Architektur und Klassizismus in Kopenhagen

28. Mai 2003 - Roman Hollenstein
Zwar oszilliert die vor vier Jahren an den Ufern des Inderhavnen eingeweihte Erweiterung der Königlichen Bibliothek von Schmidt, Hammer & Lassen zwischen dekonstruktivistischen und altägyptischen Formen. Doch abgesehen von diesem «Schwarzen Diamanten» mit seinen schrägen Wänden aus glatt poliertem Granit sind alle wichtigen Neubauten rund um Kopenhagens alten Hafen von streng klassischer Form: Arne Jacobsens Nationalbank mit ihrer noblen Eingangshalle ebenso wie der von diesem Bau beeinflusste, minimalistische Würfel des Nykredit-Hauptsitzes, der ebenfalls von Schmidt, Hammer & Lassen stammt, oder die spätmoderne Säulenhalle der sechsteilig aus den Fluten sich erhebenden Unibank von Henning Larsen. Sie alle zeugen davon, dass in Kopenhagen die klassizistische Tradition von Harsdorff, Hansen oder Hetsch bis heute das architektonische Selbstverständnis bestimmt.

Umso mehr strebt das im Gammel Dok, dem wohl schönsten Speicherhaus der Stadt, ansässige «Dansk Arkitektur Center» nach einer Öffnung des auf eine einfach-funktionalistische Baukunst eingeschworenen dänischen Architekturdiskurses. Im Sinne einer Horizonterweiterung stellt es zurzeit in der Ausstellung «Futures 2 come» sogenannte Blob-Architektur vor, deren theoretische Grundlagen in jüngster Zeit vor allem von jungen amerikanischen Büros erarbeitet wurden. Die auf einer topologischen Geometrie beruhenden neoorganischen Bauten und Projekte wurden durchwegs am Computer kreiert. Zu sehen sind die vor drei Jahren von Lynn, Garofalo und McInturf in Queens realisierte Koreanische Kirche, aber auch Projekte wie das BMW-Zentrum in Leipzig von Reiser & Umemoto, das «Fluxmuseum» von Asymptote, das «Cine» von Hariri & Hariri oder das «Resi-Rise»-Gebäude von Kolatan Mac Donald. Diese Arbeiten dienen als Einstimmung auf die Präsentation des Wettbewerbs für das neue Musikhaus von Aalborg, das nach den Plänen von Coop Himmelb(l)au bis 2006 realisiert werden soll. Durch dieses in den Sphären der Virtualität bereits realisierte, ebenfalls einem organischen Neujugendstil verpflichtete Projekt kann man sich dank einem 3-D-Film schon jetzt bewegen. Ausserdem werden die Pläne und Ansichten dieser Arbeit sowie der nächstrangierten Wettbewerbsbeiträge von Zaha Hadid und Henning Larsen vorgestellt.

Fand Larsen in seinem Entwurf für das Aalborger Musikhaus an den Ufern des Kattegats zu bewegten, entfernt dem Geist der fünfziger Jahre verpflichteten Formen, so baut er gegenwärtig auf der vor Schloss Amalienborg gelegenen Hafeninsel Dokøen eine monumentale zeitgenössische Tempelarchitektur: das von einem an Nouvels KKL erinnernden Flugdach bekrönte Kopenhagener Opernhaus. Wegen seiner prominenten Lage lange Zeit heftig umstritten, soll das nun schnell wachsende Gebäude im Jahr 2005 rechtzeitig zum 80. Geburtstag des dänischen Altmeisters vollendet sein. Gleichsam als Absage an organisch-topologische Phantasien wird dieser Monumentalbau dann einmal mehr bestätigen, dass Kopenhagen allen modischen Versuchungen zum Trotz seine klassisch geprägte Identität in die Zukunft zu retten sucht.


[Die Ausstellung im Dansk Arkitektur Center dauert noch bis zum 9. Juni. Kein Katalog.]

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