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Erneuerung aus der Geschichte
Neue Zürcher Zeitung

Zum 70. Geburtstag des Architekten Paolo Portoghesi

2. November 2001 - Roman Hollenstein
Mit der «Strada Novissima», die er im Rahmen der ersten, von ihm selbst kuratierten Architekturbiennale von Venedig 1980 in den Corderie des Arsenals zusammen mit namhaften Architekten aus aller Welt einrichtete, löste Paolo Portoghesi in Europa eine heftige Diskussion über Sinn und Möglichkeiten postmodernen Bauens aus. Seither gilt der am 2. November 1931 in Rom geborene Architekt als Wegbereiter einer Stilrichtung, die in den folgenden Jahren fast überall ihre oft fragwürdigen Duftmarken hinterlassen sollte. Portoghesi verstand jedoch die Rückbesinnung auf die Architektur vergangener Epochen nicht als dekorative Spielerei. Vielmehr strebte er als ausgewiesener Kenner der barocken Baukunst seit eh und je nach einer architektonischen Erneuerung aus der Geschichte. Nachdem er schon 1956 über Guarino Guarini publiziert hatte, gelang dem gerade erst Dreissigjährigen «auf der Suche nach der verlorenen Architektur» (Christian Norberg-Schulz) mit der Casa Baldi ein genialer Wurf. Diese in der Agglomeration Roms entstandene Villa darf heute als frühes postmodernes Manifest gelten. Bereits hier gelang es Portoghesi nämlich, dem nüchternen Funktionalismus eine Neuinterpretation der Moderne aus dem Geiste Borrominis entgegenzusetzen.

Seit der Casa Baldi verstand der auch als Theoretiker, Kritiker und Lehrer tätige Portoghesi jedes seiner Gebäude als Versuch, die Architektur «im Schosse der Geschichte» zu verankern und ihr gleichzeitig auch symbolischen Tiefgang zu verleihen. Erinnert sei nur an die aus konkaven und konvexen Betonschalen und Kuppeln gebildete Kirche der Sacra Famiglia in Salerno (1974), deren Kuppeln «das Konzept der Trinität» reflektieren, oder an den neopompejanischen Stadtplatz von Poggioreale auf Sizilien (1986), der eine - allerdings nicht ganz gelungene - Antwort auf Charles Moores postmoderne Piazza d'Italia in New Orleans darstellt. Schlüssel zu all diesen Bauten sind die Grundrisse mit ihren bedeutungsvollen, rational gezähmten Kreis- und Bogenformen. Diese steigerte Portoghesi in seinem wichtigsten Werk, der Moschee mit islamischem Kulturzentrum in Rom (1976-95), in die dritte Dimension. Auch wenn diese Anlage von aussen etwas knochig wirkt, gelang ihm zusammen mit seinem Partner Vittorio Gigliotti und dem Iraker Sami Mousawi nicht nur die formale Verschmelzung von maurischer und türkischer Architektur mit Gotik, Barock und Jugendstil, sondern - zumindest auf architektonischer Ebene - auch eine Aussöhnung von Orient und Okzident.

In unserer schnelllebigen, vor allem an oberflächlichem Architekturdesign interessierten Zeit wirkt der hochkultivierte Portoghesi mit seinem Geschichtsbewusstsein fast wie ein Exot - aber wohl nicht mehr lange. Denn Häuser wie die dem Neo-Liberty verpflichtete Palazzina Papanice in Rom (1966-70) dürften zumindest für die «Wallpaper»-Generation bald schon Kult sein.

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