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Schladming, Opus magnum
Der Standard

Gestern Bauwut, heute WM-Fieber, und was kommt morgen? Ein Lokalaugenschein aus der anabolikagefütterten Sporteventmetropole Schladming.

9. Februar 2013 - Wojciech Czaja
„When we all give the power, we all give the best“, dröhnte es Mittwochabend auf der Medal Plaza in der Schladminger Innenstadt. „Every minute of an hour, don't think about a rest. Na na na na na.“ Besser hätte Opus die Bauwut, die den WM-Austragungsort am Fuße der Planai in den letzten Jahren erfasst hat, nicht ausdrücken können. Die Worte schienen wie frisch gedichtet für diese Massenveranstaltung, die den einst kleinen, beschaulichen Wintersportort in ein überdimensionales Dorado für Anhänger der niederschwelligen Unterhaltung verwandelten.

Rund 400 Millionen Euro wurden investiert, um Schladming für die Alpine Ski-WM 2013 fit zu machen. Etwa die Hälfte davon stammt aus öffentlichen Geldern. Skilifte wurden gebaut, der Bahnhof wurde erweitert, Hotels und Pensionen mit rund 1000 Betten wurden errichtet, ein Kongresszentrum für 2000 Menschen wurde aus dem Erdboden gestampft, außerdem bekam Schladming eine Biofernwärmeanlage, ein modernisiertes Abwassersystem und eine neue Umfahrungsstraße mitsamt Lärmschutz, Unterführungen und autobahnartig anmutenden Auf- und Abfahrten.

Größter Stolz der Schladminger ist der sogenannte Skygate, eine 35 Meter hohe Stahlkonstruktion, die sich wie ein gigantisches Kipferl über die Planai beugt. Die unübersehbare Landmark, die abends in allen möglichen und unmöglichen Farben erstrahlt, beherbergt eine Aussichtsplattform für sehr wichtige Leute und dient als eine Art optische Endstation der Planai.

„Mich hat immer schon fasziniert, wie die Skipiste in diesem Hexenkessel mitten im Stadtzentrum endet“, sagt Gernot Ritter vom zuständigen Architekturbüro Hofrichter Ritter. „Aber bislang gab es kein Symbol, das auf diese abschließende Situation hingewiesen hätte. Es gab einfach nur eine Ziellinie, das war's.“ Mit dem Skygate, in dessen Errichtung rund zwei Millionen Euro flossen, habe sich das nun geändert. Nach Auskunft des Bürgermeisters soll das Stahlcroissant nach der Weltmeisterschaft erhalten bleiben.

„Ja, es stimmt schon“, meint Ritter, der auch für die Planung der futuristischen Talstation Planet Planai sowie für die benachbarte Riesengarage am Berghang verantwortlich ist. „Die meisten neuen Bauwerke sind Solitäre, die wenig Rücksicht auf das Rundherum nehmen. In Summe ist in Schladming in den vergangenen Jahren viel Unkoordiniertes passiert.“ Verantwortlich für dieses Unglück sei unter anderem die Tatsache, dass viele Projekte lange Zeit on hold waren, weil die Finanzierung noch nicht gesichert war. Und dann musste alles Schlag auf Schlag gehen. „Gute Stadtplanung braucht vor allem Zeit“, meint Ritter. „Und die hat hier eindeutig gefehlt.“

Davon kann auch Josef Hohensinn ein Lied singen. Vor einigen Jahren ging der Grazer Architekt als Sieger eines Wettbewerbs für das neue Hotel Schladming der Falkensteiner Michaeler Tourism Group (FMTG) hervor. Und dann passierte lange Zeit nichts. „Letztendlich haben wir erst im April 2012 zu bauen begonnen“, sagt Hohensinn. „Schon im Dezember haben die ersten Gäste eingecheckt. Das war ein Stress!“

Acht Monate Bauzeit für ein Vier-Sterne-Superior-Resort mit 130 Zimmern und allerhand Design-Appeal und Hüttenzauber-Chicness, ist in der Tat rekordverdächtig. Gearbeitet wurde in zwei Schichten, täglich standen die Bauarbeiter bis Mitternacht auf dem Gerüst, erinnert sich Hotelmanagerin Julia von Deines. Von der Hektik ist heute nichts mehr zu spüren. Die Lodenfauteuils und großkarierten Teppiche des Wiener Interior-Architekten Arkan Zeytinoglu versprühen winterliche Romantik. Hinter der Glasplatte knistert das Kaminfeuer. Und Assinger und Hinterseer spazieren durch die Lobby, als seien sie hier schon Stammgäste seit vielen, vielen Jahren.

Kongressstadt Schladming?

Wenige Meter weiter steht die neue Kongresshalle von Riepl Riepl Architekten. Der Holzbau, der während der WM als Mediencenter dient, wurde ebenfalls in weniger als einem Jahr errichtet. Ein Lamellenkleid aus Lärchenholz verleiht dem sonst schlichten, zweckmäßigen Bau ein Minimum an Eleganz. Innen dominieren Stein, Holz und roter Loden an der Wand. In der großen Mehrzweckhalle sitzen Journalisten, Reporter und Kameramänner aus aller Welt. Später einmal sollen hier Kongresse und Großveranstaltungen abgehalten werden.

„Ich glaube, wir haben die Bauaufgabe in architektonischer Hinsicht sehr gut gelöst, aber unter einer nachhaltigen Stadtplanung stelle ich mir etwas anderes vor“, meint Architekt Peter Riepl. „Als wir zu planen begonnen haben, da wussten wir nicht einmal noch, wie das Gelände rundherum aussehen wird. Wir mussten quasi ins Nichts hineinplanen.“

Und das sieht man auch. Dem neuen Stadterweiterungsgebiet im Nordosten der Stadt, in das man durch ein kleines Nadelöhr unter der Ennstalstraße gelangt, fehlt jedes übergeordnete Konzept. Die für sich betrachtet schönen und angesichts des engen Zeitplans durchaus hochwertig gelösten Bauaufgaben stehen völlig zusammenhanglos in der Landschaft herum. Der Städtebau gleicht einem Würfelhusten mit hinausgeschleuderten Brocken aus Holz und Beton.

„Schladming ist ein Chaos geworden“, sagt Riepl. „Und das ist schade, denn obwohl es sich hier um einen klassischen Wintersportort mit all den dazugehörigen Bausünden handelt, hatte die Stadt von jeher einen historischen Kern, der eindeutig die Mitte war. Diese Mitte ist nun verlorengegangen. Schladming sieht heute aus wie eine Tourismusretorte.“

In der Bevölkerung, die sich von der WM und ihren Folgen einen wirtschaftlichen Ruck erhofft, stoßen die Baumaßnahmen nicht nur auf Gegenliebe. „Der Ort ist moderner geworden, und das finde ich sehr gut“, sagt Theresa Schlager, Verkäuferin bei Royer Kosmetik am Hauptplatz. „Allerdings ist der Kontrast zwischen Alt und Neu teilweise doch recht heftig.“ Und Susanne Schuster, Optikerin in der Innenstadt, meint: „Ich find's brutal, was in Schladming passiert ist. Man war wie geblendet von der WM. An die langfristigen Folgen scheint hier niemand gedacht zu haben. Und das, obwohl alle die ganze Zeit von Nachhaltigkeit reden. Aber ich sehe hier keine Nachhaltigkeit.“

Architekten an der langen Leine

Doch, die gibt es, meint Bürgermeister Jürgen Winter, im Gespräch mit dem STANDARD. „Natürlich hat in den letzten Jahren eine gewisse Dynamik vorgeherrscht, und wir mussten der architektonischen Ausformulierung der einzelnen Gebäude eine ziemlich lange Leine lassen“, so Winter. „In Stadtplanungsbelangen kann ich diese Kritik jedoch nicht nachvollziehen. Wir haben intensiv mit Raumplanern zusammengearbeitet und waren sehr darum bemüht, die Zersiedelung zu stoppen und den dörflichen Charakter Schladmings zu erhalten.“

Das bauliche Resultat dieser Bemühungen ist wohl Auslegungssache. Doch wie geht es nach der WM weiter? Fix ist: Schladming will Kongressstadt werden. Die dazugehörige Veranstaltungshalle und die neuen Hotels im Ort eigneten sich dafür perfekt, so Winter. „Es sollte uns gelingen, dass wir das Kongresszentrum weiterhin gut bespielen können. Ich denke, neben Salzburg, Innsbruck und Wien ist Schladming durchaus eine ernstzunehmende Alternative für Kongresse.“

Für 2013 und 2014 gebe es bereits Interessenten. Der Fokus richte sich vor allem auf Firmen und größere Unternehmen. Sie sollen Schladming als Destination für Fortbildungen mitsamt Verwöhnpaketen für ihre Mitarbeiter nutzen. „Nein, wir denken nicht nur bis zur Weltmeisterschaft, sondern weit darüber hinaus“, sagt Bürgermeister Winter. „Die Bauten, die wir errichtet haben, und die Infrastrukturmaßnahmen, die wir getroffen haben, sind eine Investition für die nächsten 20, 30 Jahre.“

Ob dieses Konzept aufgeht, ist fraglich. Für die Alpine Ski-WM 2013 hat Schladming eine gehörige Portion Anabolika geschluckt, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste und Zerstörungen. Den rund 4400 Einwohnern stehen nach Auskunft Winters heute fast 5000 Gästebetten gegenüber. Nicht alle werden gebraucht. Sogar in den zwei Wochen während der WM liegt die Nachfrage weit unter dem Angebot. Die neuen Lifestyle-Hotels sind ausgebucht, die alten Innenstadthotels sind leer.

Schladming ist der Beweis dafür, dass die Summe mittelmäßiger und bisweilen sogar sehr guter Architektur noch lange nichts mit Stadtqualität zu tun hat. Die urbanen Bausünden, die offenbar nicht einmal durch die aktuelle Ski-WM zu rechtfertigen sind, werden der Stadtgemeinde noch lange nachhängen. Das wahre Ausmaß wird sich erst in den nächsten Jahren weisen. Wie sang doch Opus-Frontsänger Herwig Rüdisser am Mittwoch? „And you call when it's over, you call it should last. But every minute of the future is the memory of the past. Live is life.“

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