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Alles zum Besten der Narren
Spectrum

Willkommen am Steinhof: In jeder zivilisierten Stadt wäre ein derart grober Umgang mit wertvollem Bestand spätestens am Gestaltungsbeirat gescheitert. In Wien wurschtelt man sich durch.

16. Februar 2013 - Christian Kühn
Wer plant Wien? Das gleichnamige Buch von Reinhard Seiss geht inzwischen in die vierte Auflage, die Stadtregierung hat von Rot auf Rot-Grün gewechselt, und noch immer wissen wir die Antwort nicht. Sind es die Beamten des Planungsressorts und die Experten, sind es die Projektentwickler und Investoren, die Politiker oder gar die Bürger?

Wer plant zum Beispiel die Zukunft des Steinhof-Areals, der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke im Westen Wiens, mit über 2000 Betten zur Zeit seiner Entstehung eines der größten Spitäler der Welt? Konnte man bisher davon ausgehen, dass nur ein Teil des Areals, das größer ist als der achte Bezirk, neuen Nutzungen zur Verfügung stehen würde, ist seit Mai letzten Jahres bekannt, dass bis zum Jahr 2020 sämtliche Spitalsnutzungen von hier an andere Standorte in Wien übersiedeln werden.

Eigentümer ist die Gemeinde Wien über ihren Krankenanstaltenverbund (KAV), der noch zu Beginn der 2000er-Jahre größere Summen in die Adaptierung der denkmalgeschützten Pavillons investierte. Drei Architektengruppen, Runser/Prantl, Beneder/Fischer und Sarnitz/Silber/Soyka, erhielten damals den Auftrag, je einen Pavillon umzubauen. Manche der dabei entwickelten Ideen wurden für weitere Sanierungen übernommen. Zur gleichen Zeit begann auch die elf Millionen Euro teure Sanierung der Otto-Wagner-Kirche mit ihrer vergoldeten Kuppel, auf deren vermeintliche Zitronenform der Name Lemoniberg für das Areal zurückgeht.

Die Kirche gilt als Meisterwerk des Jugendstils. Ihr Architekt, Otto Wagner, hätte dieser Zuschreibung allerdings wenig abgewinnen können. Er hatte sich schon um 1890 von allen historischen Stilen losgesagt und bezeichnete seinen eigenen Stil als „modern“, bis er schließlich auch das „modern“ als neuen Stilbegriff verdächtig fand und nur noch von der „Baukunst unserer Zeit“ sprechen wollte. Wagner war ein Rationalist, der auf die „peinlichste Erfüllung des Zwecks“ und die angemessene technische Ausführung größten Wert legte. Die Bezeichnung des Steinhof-Areals als „Jugendstil-Juwel“ führt daher auf eine falsche Fährte, vor allem, wenn man mit dem Begriff Jugendstil die Ornamentik eines Gustav Klimt assoziiert und dahinter Hundertwassersche Goldkringel.

Der Blick auf die Anlage zu ihrer Entstehungszeit in einem Gemälde von Erwin Pendl aus dem Jahr 1907 zeigt eine „weiße Stadt, überragt von der goldenen Kuppel einer weißmarmornen Kirche“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Sie gliedert sich in das Sanatorium für die wohlhabenden Kranken im Westen, die Heil- und Pflegeanstalt im Zentrum und einen Wirtschaftsbereich ganz im Osten, zu dem auch eine Prosektur mit Kapelle gehört, deren Achse direkt auf die Kuppel der Otto-Wagner-Kirche ausgerichtet ist. Sanatorium und Heilanstalt gliedern sich jeweils symmetrisch in eine Männer- und Frauenabteilung. Zentralgebäude wie Verwaltung und Gesellschaftshaus sind entlang der Symmetrieachsen aufgereiht.

Der ursprüngliche Entwurf der Gesamtanlage stammt – so wie die Entwürfe der Pavillons – von Carlo von Boog, einem beamteten Architekten. Von Boog, ein Jahrzehnt jünger als Otto Wagner, hatte in Niederösterreich zahlreiche Verkehrsbauten und die Krankenanstalten in Gugging und in Mauer-Öhling bei Amstetten errichtet. Er war ein hervorragender Organisator und Techniker, der für seine Familie in der Nähe von Stift Göttweig die „Villa Betonia“ errichtete, ein Haus, in dem er die neuesten Stahlbetontechniken erprobte. Die Anlage von Mauer-Öhling, die bis heute als Krankenanstalt in Betrieb ist und vom Land Niederösterreich hervorragend saniert wurde, war mit ihren Pavillongruppen ein international vorbildliches Projekt. Kaiser Franz Joseph schrieb nach einem Besuch dort an Katharina Schratt: „Alles zum Besten der Narren. Es muß ein Hochgenuß sein, dort eingesperrt zu sein.“

Unmittelbar nach der FertigstellungMauer-Öhlings 1902 fiel der Beschluss für das Nachfolgeprojekt in Wien. Die Planung wurde von Boog übertragen, Otto Wagner erhielt den Auftrag, ähnlich wie bei der Wiener Stadtbahn eine Art künstlerischer Oberleitung zu übernehmen, vor allem für die Gestaltung der Kirche. Wagner legte allerdings einen Gesamtplan vor, der jenen Carlo von Boogs deutlich modifizierte. Er behielt zwar die Hauptachsen und die Anzahl der Pavillons bei, veränderte aber deren Position. Von Boog hatte die Pavillons dem Geländeverlauf folgend platziert, nicht so sehr mit pittoresken Absichten, sondern um Erdbewegungen im steilen Gelände zu sparen. Wagner begradigte dagegen den Raster und legte ein streng orthogonales Achssystem fest, ähnlich dem Stadtplan, den er wenige Jahre später als Musterplanung für eine „unbegrenzte Großstadt“ publizierte.

Im Unterschied zum ursprünglichen Plan von Boogs sah Wagner auch zwei dicht bepflanzte Grünstreifen vor, die in der Darstellung aus dem Jahr 1907 deutlich erkennbar sind: Sie grenzen die Heil- und Pflegeanstalt vom Sanatorium einerseits und vom Wirtschaftsbereich und der Prosektur andererseits ab. Dass diese Streifen als Erweiterungsflächen für zusätzliche Pavillons gedacht waren, ist auszuschließen. Dafür stand genug Land hinter der Kirche zur Verfügung – die Steinhofgründe, die auf dem Bild als weitläufiges Areal innerhalb der Anstaltsmauer zu erkennen sind.

Der Versuch der Stadt Wien, dieses Potenzial für knapp 900 Gemeindewohnungen zu nutzen, führte 1981 zu einer Bürgerinitiative und Volksbefragung, die das Projekt zu Fall brachten. Ein neuer Bebauungsplan gliederte das Areal ins grüne Allerheiligste ein, den Wald- und Wiesengürtel. Für das bereits mit Pavillons bebaute Gebiet bestand aber weiterhin eine flächendeckende Bebaubarkeit in Bauklasse III, also bis zu 16 Meter Traufhöhe. Ein neuer Bebauungsplan 2006 reduzierte die Bebaubarkeit zwischen den Pavillons drastisch auf fünf Prozent, um nur noch kleine Zubauten für den Spitalsbetrieb zu erlauben, und beschränkte die Bauklasse III auf ein kleines Stück im Südwesten und auf das Wirtschaftsareal im Osten. Dieses Areal wurde vom KAV um neun Millionen Euro verkauft, großteils an den Wohnbauträger Gesiba, der hier nach einem Leitkonzept von Albert Wimmer 570 Wohneinheiten plant, teilweise an die Vamed, die ein Rehab-Zentrum errichtet.

In jeder zivilisierten Stadt wäre ein Projekt an diesem Ort einem Gestaltungsbeirat vorgelegt worden, der dann wohl aufgeschrien hätte. Nicht in Wien. Hier stürzt man sich kopfüber ins Schlamassel. Die Gesiba als gemeindenaher Betrieb wird vom Bürgermeister erst zurückgepfiffen, als die „Kronen Zeitung“ sich einschaltet. Das Vamed-Projekt, das jeder Beschreibung spottet, ist inzwischen in Bau. Die Bürgerinitiativen, die sich hier engagieren, haben trotzdem Applaus verdient – auch den der Fachwelt, die weitgehend geschlafen hat.

Seit letztem Herbst versucht eine von der Stadt eingesetzte Kommission unter dem Vorsitz des Architekten Adolf Krischanitz das Schlamassel zu entwirren und aus der Logik des Bestandes heraus eine Zukunft für den Ostteil des Areals zu skizzieren. Im April wird sie Ergebnisse vorstellen. Das kann nur der erste Schritt sein. Wenn 1907 vier Jahre gereicht haben, die komplette Anlage zu bauen, sollte eine auch ökonomisch tragfähige Umnutzung bis zum Jahr 2020 gelingen.

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