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Oslo goes global
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Norwegen ist mehr als unberührte Landschaft – vor allem die Ölindustrie floriert. Um sich international besser zu positionieren, wurde 2008 ein Umbau von Oslo gestartet. Das kann einmal gut und einmal weniger gut aussehen.

27. April 2013 - Karin Tschavgova
Der Kandidat der Millionenshow zögert keine Sekunde. Seinen Gewinn würde er in ein Ferienhaus in Norwegen investieren, in der unberührten Landschaft der Hochebene zwischen Oslo und Bergen. Hierzulande wird Norwegen erst mal mit Natur assoziiert: mit glasklarem Wasser, tief eingeschnittenen Fjorden und Gebirgsketten, die das Land von Nord nach Süd durchziehen. Weder die Ölförderung noch der Walfang kann an Norwegens Image rütteln. Tatsächlich ist das Land dünn besiedelt, und 75% der Bevölkerung konzentrieren sich in städtischen Zentren im Südteil des Landes. Oslo hat rund 610.000 Einwohner. Die weitreichend grüne Küstenlinie des Oslofjords, unzählige Seen im bewaldeten Hochland, das die City landwärts einrahmt, machen sie zur grünsten Hauptstadt Europas.

Auch nach der ersten enormen Wachstumsphase mit der einsetzenden Industrialisierung ab 1855, in der die damals Christiania genannte Hauptstadt von 35.000 auf 230.000 Bewohner anschwoll, ist die 1925 wieder in Oslo umbenannte Stadt bis 1960 kontinuierlich gewachsen. Dass die Stadt derzeit, trotz des Niedergangs der Schiffsbauindustrie, jährlich wieder um mehr als zwei Prozent wächst, ist Norwegens Reichtum durch das Öl geschuldet, der den Dienstleistungssektor stetig wachsen lässt. Auch deshalb startete die Kommune vor zehn Jahren die Planung für einen riesigen Stadtumbau. Mit „Fjordjbyen“, der Fjordstadt, wurde 2008 ein Regulierungsplan abgesegnet, der Oslos Wasserfront total umstrukturieren wird. Im Westteil wie im Osten der Stadt entstehen aufeiner Gesamtfläche von 225 Hektar derzeit neue Quartiere, wo bis vor Kurzem Containerhäfen, Lagerhallen und Werften den Zugang vom angrenzenden Stadtzentrum zum Hafengebiet und damit zum Wasser noch nahezu völlig abgeriegelt haben.

Jedes einzelne der dreizehn Projekte, die sich über eine Uferlänge von mehr als zehn Kilometern aneinanderreihen, soll als gemischtes Quartier mit Wohn- und Büronutzung, Geschäften und Freizeiteinrichtungen entwickelt werden, aufgelockert durch Gebäude mit kultureller Nutzung und verbunden durch eine attraktive, autofreie Uferpromenade. Ghettoisierung will man vermeiden. Am ersten, gerade fertiggestellten Projekt Tjuvholmen, früher ein Sperrgebiet, lässt sich dieser Anspruch überprüfen. Die immer wieder künstlich vergrößerte Halbinsel vor dem Viertel Aker Brygge, in den 1990ern im Stil der Londoner Docklands transformiert, wurde von der Stadt nach dem Konzept eines übergeordneten Investorenwettbewerbs parzelliert und verkauft. Heute flaniert man entlang einer Magistrale mit bis zu achtgeschoßiger Bebauung, die in den Erdgeschoßzonen Urbanität mit Cafés, Geschäften und Restaurants herzustellen versucht und auf Vielfalt durch die Addition von Einzelentwürfen setzt. Ein Kanal durchzieht das Quartier, man passiert ein Hotel und Wohnbauten, in denen möglichst viele der Wohnungen verkaufsfördernd mit Meerblick ausgestattet sind, ehe man an die offene Wasserfront gelangt.

Dort bilden ein marmorverkleideter Luxuswohnbau und Renzo Pianos Kunstmuseum für die bedeutende private Astrup Fearnley Collection den grün umrahmten Abschluss einer durchaus ambitionierten Investorenarchitektur, die selbst das Museum in einen kommerziellen Trakt mit Büroflächen und zwei museal genützte Gebäude teilt. Ensemblewirkung soll durch die riesigen, miteinander verbundenen gläsernen Dachsegel entstehen. Das große Plus: Autos bleiben im gesamten Areal weitgehend ausgesperrt, Straßen und Kais sind in der warmen Jahreszeit attraktive Freiräume. Eine gezielte Aufwertung braucht der einst vernachlässigte, von Industrieanlagen stark kontaminierte östliche Stadtteil Bjørvika nach dem Bau der Norwegischen Nationaloper von Snøhetta nicht mehr. Sie, die mit ihrer horizontalen Ausrichtung einen demokratischen Zugang zur Kultur für alle symbolisieren will, steht heute in jedem touristischen Prospekt an erster Stelle, ist jetzt schon der größte Anziehungspunkt des Viertels und wird das sicher auch nach dem gesamten Stadtumbau bleiben. Das riesige, mit weißem Carrara-Marmor belegte Bauwerk ist viel mehr als ein Produktions- und Aufführungsort von Oper und Ballett geworden – es ist eine von Besuchern belebte künstliche Landschaft, die bis ans Wasser reicht, Aussichtsplattform, Laufparcours, Treffpunkt und Rastplatz. Nur eines ist sie nicht: monumental.

Auch dieser Teil der Fjordcity, in dem Kulturbauten das Ufer dominieren sollen, ist weitgehend autofrei geplant. Für eine schwellenlose Verbindung mit der City hat man mit unvorstellbar großem technischem Aufwand eine Hauptverkehrsachse in einen Unterwassertunnel im Hafenbecken verlegt. Derzeit wird die alte Straße lärmend rückgebaut und eine Brückenabfahrt verlegt. Der dahinter liegende Zentralbahnhof soll bei laufendem Betrieb in den nächsten zehn Jahren nach einem siegreichen Entwurf des international besetzten norwegischen Architekturbüros Space Group fast zur Gänze erneuert werden. Mit verdoppeltem Volumen wird er Büroflächen, ein Konferenzhotel und eine Shoppingmall enthalten.

Zwischen den Bahngleisen und der Wasserfront, schräg hinter der Oper, wird gerade ein Projekt fertiggestellt, das dem per Zug Ankommenden sogleich ins Auge sticht: Barcode nennt sich der Büro- und Wohnkomplex aus mehreren tiefen, dicht nebeneinander stehenden Hochhäusern nach einem Masterplan, den MVRDV mit dem norwegischen Büro a-lab und Dark Architekten entwickelt hat. Finanzdienstleister und Unternehmensberater wie PricewaterhouseCoopers sind dort in den ersten acht Etagen vertreten, darüber wird die Mischstruktur von Wohngeschoßen mit Terrassen und großzügigen, begrünten Einschnitten abgelöst. Auch Snøhetta hat hier ein Objekt geplant.

Mit Barcode wird Oslo endgültig global. Es könnte überall in der Welt stehen – nur hier, knapp hinter der Wasserfront, scheint es fehl am Platz. Trotz linearer Anordnung, die laut Baubeschreibung die Verbindung zwischen Fjord und Stadt unterstreichen soll, nimmt die dichte Bebauung nämlich dem dahinter liegenden, leicht ansteigenden Ostteil des Viertels Grünerløkka, das flach bebaut ist, den Blick zum Wasser. Selbst von den die Stadt einrahmenden Hügeln ist der Blick nun eingeschränkt, und so verwundert es nicht, dass sich gegen dieses Projekt riesige Proteste formierten, die augenscheinlich nicht gefruchtet haben. Es mag konservativ scheinen, diesem Beispiel einer auch in Oslo notwendigen Stadtverdichtung ablehnend gegenüberzustehen. Doch die Stadt ist weitgehend flach bebaut. Was Snøhetta bei der Oper bewusst berücksichtigt hatte, wird durch Barcode nun für viele ausgeblendet: der Horizont am Wasser. Die Bewohner der Luxuswohnungen, erste Reihe fußfrei, wird das kaum stören.

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