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Die Poesie des Raums
Der Standard

Auch der Iran baut global. Architekt Reza Ghanei setzt dem eine persische Identität orientalischer Räume entgegen. Das ist nicht immer leicht.

11. Mai 2013 - Maik Novotny
Was Pritzkerpreisträger Wang Shu für China ist, leistet Reza Ghanei für den Iran: Er propagiert ein geschichtsbewusstes Bauen mit lokalen Traditionen entgegen den Tendenzen kompletter Globalisierung. Für die drei Jahre in Anspruch nehmende sorgfältige Restaurierung eines 300 Jahre alten Hofhauses in Isfahan, heute der Sitz seines Büros Polsheer Architecture, wurde Reza Ghanei 2002 mit dem Asia-Pacific Heritage Award der Unesco ausgezeichnet. Diese Woche weilte er in Österreich anlässlich eines Vortrags an der TU Wien. Mit dem STANDARD sprach er über die persische Identität, darüber, was einen orientalischen Raum ausmacht, und wie wichtig der Himmel über dem Iran ist.

STANDARD: Welche Tendenzen bestimmen heute die Architektur im Iran?

Ghanei: Sie ist ein Satellit des Westens. Fast alle iranischen Architekten folgen den globalen Trends. Mit zwei, drei Jahren Verspätung bauen sie dieselben Dinge wie etwa Frank Gehry in den USA oder Daniel Libeskind in Berlin. Aber das ist für mich nicht Architektur. Eine Kopie kann keine Kunst sein.

STANDARD: Woher kommt denn diese Sehnsucht nach dem Globalen?

Ghanei: Im Iran hatten wir eine Revolution, das heißt, dass eine andere soziale Schicht an die Macht gekommen ist, eine, die weniger kultiviert ist, die einen anderen Geschmack hat. Wenn diese Leute die Auftraggeber sind, hat man als ambitionierter Architekt also ein Problem.

STANDARD: Trotzdem haben Sie schon zahlreiche öffentliche Gebäude wie Botschaften, Büchereien und Universitäten gebaut.

Ghanei: Ich bin überzeugt, dass ich meinem Land mit meiner Arbeit helfen kann. Deswegen interessieren mich öffentliche Bauten besonders, auch wenn ich ein paar Privathäuser gebaut habe. Ich hatte immer Auftraggeber aus der Regierung, und es war immer sehr schwer, sie zu überzeugen. Man muss ihnen die Bilder der Entwürfe immer wieder zei-gen und erklären, manchmal monatelang, und irgendwann akzeptieren sie sie schließlich.

STANDARD: Wie sehen diese Entwürfe aus?

Ghanei: Ich versuche immer, mit meiner Architektur eine Identität zu transportieren. Ich suche Lösungen, die gleichzei- tig zeitgemäß und iranisch sind, und eben kein Abbild globaler Trends.

STANDARD: Wie setzt man iranische Identität in Architektur um?

Ghanei: Es gibt einen Aspekt, der sich durch alle meine Bauten zieht, und das ist der orientalische Raum. Und mit orientalisch meine ich persisch - das ist etwas anderes als Räume in China oder anderen asiatischen Ländern.

STANDARD: Was zeichnet diese orientalischen Räume aus?

Ghanei: Der Unterschied liegt in der Philosophie. Im Iran leben wir vorwiegend in einer flachen Wüstenlandschaft, von einem wolkenlosen Himmel beherrscht. Im Westen gibt es Vegetation und Berge, dort steht der Mensch oben und sieht herunter, wie ein Gott. Im Iran hält sich der Mensch nicht für Gott, sondern für den Teil ei-nes Ganzen. Unsere Architektur hat nicht die- ses Dominierende, Einschüchternde. Die Proportionen sind anders. Das Gebaute ist immer Teil der Natur, es bleibt flach, sucht Schutz vor der Hitze und ragt kaum über die Bäume hinaus. Natürlich gibt es Ausnahmen, etwa für Monumente und religiöse Bauten.

STANDARD: Wie wichtig ist der religiöse Aspekt in der Architektur?

Ghanei: Es gibt sehr starke Analogien. In meinen Gebäuden gibt es beispielsweise immer kleine Übergangsräume, die zwischen den großen Haupträumen liegen, damit man sich auf den nächsten Schritt vorbereiten kann. Das entspricht dem Zwischenraum, den man in unserer Kultur nach dem Tod erreicht, vor dem Paradies. Das Licht ist dabei besonders wichtig: Es muss etwas Mysteriöses haben, es versetzt einen in eine Traumwelt. Wenn wir über Architektur als Kunst reden, meinen wir die Poesie des Raums.

STANDARD: Auch Städte wie Teheran werden heute von Hochhäusern beherrscht. Werden diese poetischen Prinzipien im Iran heute überhaupt noch berücksichtigt?

Ghanei: Leider nein. Die Firmensitze und Banken wollen sich natürlich zeigen und bauen ihre Hochhäuser, das sind eben die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft. Diese Einzelbauten sind aber nicht das Schlimme, viel gravierender sind die Veränderungen in der Stadtstruktur.

STANDARD: Welche sind das?

Ghanei Wir müssen heute Reihenhäuser bauen, während traditionell immer um einen schattigen Innenhof gebaut wurde. Nach islamischen Regeln soll man seinen Nachbarn nicht direkt ins Haus schauen können. Wenn man aber heute im vierten oder fünften Stock wohnt, sieht man alles. Diese Änderungen haben also enorme soziale und auch klimatische Auswirkungen.

STANDARD: Versuchen die iranischen Architekten, sich dagegen zu wehren?

Ghanei: Wir sind leider noch nicht so weit, dass wir unsere eigenen Lösungen anbieten können. In Isfahan ist kaum noch etwas von der alten Substanz übrig, es wird alles durch sehr hässliche Architektur ersetzt. Das Gebäude, in dem heute mein Büro ist, gehört zu den zehn Prozent alter Bauten, die noch nicht abgerissen wurden. Ich liebe das Haus sehr - wenn man dort arbeitet, erfährt man direkt, was orientalische Räume sind.

STANDARD: Kann man als Architekt also die Gesellschaft beeinflussen?

Ghanei: Ja. Sehen Sie: Nach dem Iran-Irak-Krieg war hier alles schwarz und weiß. Es war eine von Trauer geprägte Gesellschaft. Mit einem meiner ersten Projekte, der Bücherei von Isfahan, wollte ich wieder etwas Farbe in mein Land bringen. Es hatte eineinhalb Jahre gedauert, bis ich die Auftraggeber überzeugte, gelben und roten Stein zu verwenden. Ich habe ihnen sogar versprochen, es abzureißen und auf eigene Kosten in Schwarz und Weiß wieder aufzubauen, wenn die Menschen es nicht akzeptieren. Aber sie haben es akzeptiert. Heute sieht man wieder überall Farben. Ich habe sozusagen mein ganzes Land koloriert. Daher sage ich: Ja, wir können etwas verändern.
Mohammad Reza Ghanei studierte Architektur in Teheran und Paris. Nach der Rückkehr in den Iran 1987 gründete er das Büro Polsheer Consultants mit Sitzen in Isfahan und Teheran und lehrt an den Universitäten Isfahan und Qazvin.

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