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Wie beginnt denn hier die Großstadt?
Wie beginnt denn hier die Großstadt?, Foto: Walter Zschokke
Spectrum

Ob sie nun an eine Visitenkarte gemahnen oder eher an eine Sinnestäuschung - Wiens Stadteinfahrten passiert niemand, ohne das eine oder andere städtebauliche Merkzeichen wahrzunehmen. Allerlei automobile Perspektiven.

27. Mai 2000 - Walter Zschokke
Wo endet eine Großstadt im Zeitalter der Globalisierung? Trotz World Wide Web darf wohl als greifbare Stadtgrenze der Rand des Siedlungsgebiets angenommen werden. Da dieser sich in Etappen weiter hinausschiebt, stehen auch qualitätvolle Setzungen immer unt er der Drohung, ihre Stellung als „Stadttor“ oderarchitektonische Grenzmarkierung zu verlieren. Peinlich wird dies nur dann, wenn die Gestaltung diese Nebenfunktion gleichsam gackernd und flügelschlagend überhöht hatte. In allen anderen Fällen verweist das Bauwerk auf Entwicklung und erinnert Geschichte.

Die Wiener Westeinfahrt auf der Autobahn läßt sich nur unter Berücksichtigung der fahrdynamischen Komponenten angemessen würdigen: Nach einer längeren Fahrt durch Forste, Fluren und Hügel des Wienerwaldes folgt ein letzter längerer Anstieg, der flach kulminiert, wo die Fahrbahn sich in eine Linkswendung schmiegt und im Einschnitt unter einer Brücke durchtaucht. Danach sinkt sie gleichsam ab. Zur Rechten erscheint die gemauerte Einfriedung des Lainzer Tiergartens wie ein zivilisatorischer Vorposten. Nachts sind es die ins Blickfeld tretenden Straßenleuchten, die dicht gereiht am Mittelstreifen ihr Licht verstreuen. Viel stärker in der Erinnerung haftet jedoch das drucklose Rollen im obersten Gang, wie bei Sinkflug, ins Wiental hinunter.

Eigentlich ein sympathisches Heimkommen. Es begrüßt uns in der Perspektive das Kreuz aus Straßenleuchtenpunkten am Ab- hang des Wolfsbergs. Und am Tag sind es die imposanten Rückhaltebecken der Wienflußverbauung. Man wird erinnert an Kraft und Verheerungsgewalt entfesselter Wassermassen und an die Ingenieurkunst, die diesen Kräften Einhalt gebot. All dies ist eindrucksvoll umgesetzt in ein einzigartiges landschaftsgestalterisches Ensemble. Nun zur Rechten noch eine Kastanienallee; ein, zwei den Verkehrsfluß portionierende Lichtsignale und dann der Hackinger Steg, dessen Glaskörper ankündigt: Jetzt beginnt die Stadt.

Man kann aber auch von Nordwesten einfahren, durch Klosterneuburg - das ist Niederösterreich, zählt noch nicht. Auf der äußersten Heiligenstädter Straße, am Absatz des Leopoldsbergs vorbei - ist fad. Da hätte man zwecks Fahrspaß besser die Höhenstraße genommen. Aber über die sickert man so unmerklich ins Stadtgebiet ein, das wollen wir nicht. Wir möchten empfangen werden. Fahren wir daher weiter, Kahlenberger Dörfl: Ist schon recht, aber nicht das, was wir jetzt möchten.
Da, die Fahrbahn hebt ab, wird aufgestelzt: Stadtautobahn! Und linkerhand Otto Wagner: Nußdorfer Wehr, mit Verwaltungsgebäude und Kettenmagazin, sowie anschließend die Stahlbogen der Uferbahnbrücke. Dieses dichte Ensemble am Brigittenauer Spitz mit seiner spezifischen Identität einander an die Tragglieder rückender Ingenieurbauwerke verschiedener Epochen verfügt über Kraft und Qualität. Damit auch der letzte Tourist seiner Ankunft in Wien gewiß wird, folgt noch die Quittung: das Fernheizwerk Spittelau mit Hundertwasser-Inkrustation. Soll sein.

Wenn man von Nordnordosten, über die Brünner Straße, einfährt, macht diese kurz nach der Stadtgrenze einen präzisierenden Schwenker zur Südrichtung. An dieser Stelle konnte man ehedem vom Wagram aus den ersten Fernblick auf die Residenzstadt werfen. Ab hier visiert die Brünner Straße exakt den Stephansturm an. Heute steht in dieser Achse der Millenniums-Tower, nachts mit rot blinkendem Aufsatz.

Wer vom Flughafen, oder von Bratislava, herkommt, muß mit städtebaulichen Superzeichen in mittlerer Entfernung vorliebnehmen. Nachts beeindruckt der Lichtfilter über der Raffinerie Schwechat, am Tag sind es die Getreidespeicher beim Alberner Hafen und die vier Gasometer in Simmering. Dann zieht es sich. Die Stadt hat offensichtlich schon angefangen, doch richtig angezeigt wurde sie uns nicht. Tief vordringend in gemächlicher Fahrt (50 Stundenkilometer), üben wir uns in Geduld. Dann aber, bei Max Fabianis Urania mit der Sternwarte, biegen wir ein und sind auf dem Ring: Das ist ein ordentlicher Empfang. Eine gepflegte Regie ließe beim Passieren der Aspernbrücke den Donauwalzer einsetzen, um mitfahrenden Gästen ans Gemüt zu rühren. Jetzt nicht hudeln, sondern genießen. Wir sind da!

Es ist natürlich jedem unbenommen, auch von Süden nach Wien hinein zu fahren. Aus dem dichten Kolonnenverkehr oder beim Stop-and-go fällt der Blick notwendigerweise auf die Silhouette, welche die Gebäude auf dem Hügelrücken des Wienerbergs erzeugen.

Links hinten ein Längsriegel, der wie ein leergepumpter Tanker aus dem Häusermeer heraussteht: das Krankenkassengebäude. Dann die in Bau befindlichen Twin Towers, deren Ausmaße das wenige Jahre alte Wienerberg-Hochhaus marginalisieren. Nur Karl Schwanzers Philips-Haus steht wie eine Eins, breitbrüstig und nachts leuchtend seit seiner Errichtung, obwohl mittlerweile am niedrigsten. Weiter rechts ragt noch wie ein i-Punkt der alte Wasserturm aus den Wohnbauten.

Natürlich wurde auch diese Einfahrt nicht als Ensemble geplant. Die absolutistischen Zeiten sind vorbei. Der Silhouettenwirkung kommt jedoch an dieser Stelle wesentliches Gewicht zu. Von Stadtkrone kann man nicht schreiben, da gehört mehr dazu, und der Anblick ist zu heterogen. Doch läßt sich hier das eingangs erwähnte Kriterium für Grenzmarkierungen illustrieren: daß diese ihre Würde zu wahren vermögen, auch wenn sie längst vom Stadtkörper umschlossen sind.

Was dem Denkmal der Spinnerin am Kreuz nicht bloß altersbedingt oder dem Schwanzer-Bau noch lange gelingt, vermag das Wienerberg-Hochhaus mit seinen Fassadenapplikationen nicht zu leisten: daß es nämlich von den Twin Towers, deren Fernwirkung allerding jede Zwillingshaftigkeit abgeht, in den Schatten gestellt wird. Höhe allein genügt nicht; hoch wirken lautete die Kunst.

Daß der Ensemblewirkung so wenig Gewicht beigemessen wurde, stellt den Verantwortlichen hinsichtlich ihrer Voraussicht kein besonders glänzendes Zeugnis aus. Doch man wird sich auch an diesen Anblick gewöhnen - und Gewöhnung nivelliert (fast) alle städtebaulichen Brüche und Widersprüchlichkeiten.

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