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Eine Geschichte über die Vorfreude auf das Altern
Der Standard

Ein Grazer Ehepaar wollte sich für den Lebensherbst wappnen und auf dem Nachbargrundstück einen barrierefreien Holzbau errichten. Architekt Gerhard Mitterberger hat die Vorsorgevision realisiert.

26. April 2014 - Wojciech Czaja
Das bekannte Konzept der Vorsorgewohnung bekommt mit dem Haus R. eine neue Bedeutung. Denn das 230 m² große Holzhaus am Grazer Stadtrand ist eine Investition für den Lebensherbst eines heute 58-jährigen Ehepaars, das im Gesundheitsbereich tätig ist und sich für einen bequemen, barrierefreien Wohnalltag in späteren Jahren wappnen will.

„Wir wohnen heute in einem sehr schönen, sanierten Haus aus den Dreißigerjahren“, sagt die Baufrau, „und fühlen uns hier sehr wohl. Doch die Erfahrung zeigt, dass man nicht ewig fit bleibt und dass verwinkelte Räume und steile Treppen eines Tages zum Problem werden können. Also haben wir beschlossen vorzusorgen.“ Als das Nachbargrundstück zum Verkauf angeboten wurde, „war klar, dass wir zuschlagen müssen“.

Der Architekt ward schnell gefunden, teilte man sich doch früher einmal eine wild durchmischte Studenten-WG. „Wir kennen uns seit fast 40 Jahren“, erinnert sich die Baufrau. „Und nachdem Gerhard Mitterberger ein leidenschaftlicher Holzbauarchitekt ist und gerne helle, luftige Räume plant, war für uns klar: Wenn wir schon bauen, dann nur mit ihm.“

Das Resultat vieler intensiver Besprechungen ist eine schlichte hölzerne Kiste, die auf der einen Seite direkt auf der Hangkante aufliegt und ebenerdigen Zugang in den Garten ermöglicht, während sie straßenseitig auf schief tanzenden Stahlstützen ruht und damit einen witterungsgeschützten Carport schafft. Eine hölzerne Terrasse vor dem Wohnzimmer bildet den Adapter zwischen Haus und Natur und spielt „eine wichtige Rolle, weil sie einerseits mit dem Innenraum und andererseits mit dem Garten zusammenwächst“, erklärt Architekt Mitterberger. Auch innen dominiert die Nähe zu Mutter Natur: Bis auf den massiven Kern und die Stützen im Untergeschoß bestehen Wand und Decke zur Gänze aus sichtbar belassenem Holz. Aufgrund seiner Spannweiten und niedrigen Materialkosten kommt das sogenannte Kreuzlagenholz meist im Industriebau zum Einsatz. Mitterberger setzt es aber auch im Einfamilienhausbau gerne ein, „weil es eine natürliche, lebendige Oberfläche hat, die stark zur Atmosphäre des Innenraums beiträgt“.

In spätestens zehn Jahren wollen Herr und Frau X. in die Holzkiste übersiedeln. Bis dahin wird der Neubau an Freunde und Bekannte vermietet. „Noch brauchen wir das Haus nicht, aber der Tag wird gewiss kommen“, sagt die Baufrau. „Bis dahin erfreuen wir uns an der Tatsache, dass wir in der glücklichen Lage sind, uns die Nachbarn aussuchen und uns mit unserer eigenen Zukunft befassen zu können.“ Dann wird längst schon der Efeu an der hölzernen Terrassenpergola hochgewachsen sein.

Und bis dahin wird auch Architekt Mitterberger, Purist in Sachen Gartengestaltung, verziehen und verkraftet haben, dass das grüne Wucherzeug sich über „sein“ Bauwerk gelegt haben wird. „Das geht doch nicht! Die schöne Konstruktion!“, soll er beim letzten Besuch gesagt haben. Die Replik: „Der Architekt hat wunderbare Arbeit geleistet, und wir sind rundum glücklich. Aber jetzt ist das unser Haus!“ Jetzt. Oder in zehn Jahren. Oder wann auch immer.

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