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Max Dudler - ein Schweizer Architekt in Berlin
Neue Zürcher Zeitung
4. Oktober 1997 - Roman Hollenstein
Vor vier Jahren gelangte die neue Berliner Architektur unter Beschuss. Der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann und mit ihm einige führende Architekten propagierten für die Innenstadt die sogleich von gewissen Kritikern als faschistisch gebrandmarkte Idee eines «Steinernen Berlin». Zu deren Verfechtern gehörte auch Max Dudler - nicht ohne Erfolg, ist er doch heute einer der meistbeschäftigten Architekten an der Spree. Ihm widmet nun der Schweizer Dokumentarfilmer Beat Kuert ein Porträt, das den 1949 im sankt-gallischen Altenrhein geborenen Dudler als ebenso sympathischen wie elegant gekleideten Baukünstler zeigt. Unter dem Titel «Reichtum der Askese» präsentiert sein Film Dudlers karge, aber bis ins letzte Detail durchdachte Bauten, die sich im Gegensatz etwa zur Deutschschweizer Einfachheit durch raffinierte Eleganz und grossstädtischen Schliff auszeichnen.

Die grossen Themen, auf die der Rheintaler immer wieder zurückkommt, sind Stadt, Raum, Fassade und baukünstlerische Qualität. Eine Auseinandersetzung mit diesen Grundlagen des Bauens vermisst er bei den meisten seiner Berufskollegen, findet sie jedoch komprimiert im Klosterbezirk von St. Gallen, der ihn von früher Jugend an nachhaltig prägte. Nicht die Dynamisierung des Raums faszinierte ihn dort, sondern der Umgang mit dem Stein. Und darin zeigt sich denn auch seine heutige Meisterschaft: Anders als das Gros der Architekten verwendet er Stein nicht als Tapete, die vor den Rohbau gehängt wird. Vielmehr geht er in seinen Bauten direkt vom Stein aus, von seinem Volumen und seiner Blockhaftigkeit. Das Ergebnis sind kantige und spröde, formal sich stets ein wenig wiederholende Bauten, die heute so prominente Orte definieren wie den Bahnhofplatz von Mannheim oder den Berliner Gendarmenmarkt, wo Dudler gegenüber von Schinkels Schauspielhaus einen grossstädtischen Bürobau errichten konnte. Mit Schinkel ist gleich auch eines seiner Vorbilder genannt, ein anderes ist Ungers, bei dem er in Frankfurt arbeitete.

Dies alles vermittelt Kuerts Film. Der Berliner Streit hingegen, der Dudlers Karriere jäh hätte knicken können, wird nur in zwei knappen Sprachfetzen angedeutet, und zwar so, dass sich für Nichteingeweihte daraus kaum ein Sinn ergibt: «Immer wenn Stein auftaucht, sagt man, das sei ein faschistisches Material und Glas sei ein demokratisches.» Überhaupt setzt der durch mitunter etwas allzu abrupte Schnitte gekennzeichnete Bilderreigen einiges an Wissen über diesen hierzulande nur Insidern bekannten Architekten voraus. Dass er aus einer Steinmetzfamilie stammt und in Berlin studierte, erfährt man erst gegen Ende des Films. Gar nicht erwähnt wird hingegen ein wichtiges Detail: nämlich dass Dudler nicht die typische Bilderbuchkarriere eines Schweizer Architekten durchlief. Seine höheren Weihen holte er sich nämlich nicht an der ETH. Vielmehr ging er nach einer Bauzeichnerlehre an die Frankfurter Städelschule und anschliessend an die Hochschule der Künste in Berlin. Schon diese Laufbahn zeigt, dass Dudler sich nicht als technisch gedrillten Architekten, sondern als Baukünstler versteht - eine Botschaft, die dieser Film durchaus zu vermitteln weiss.

Monologe des Architekten wechseln immer wieder mit unbeweglichen, an Diaprojektionen erinnernden Einstellungen ab, die die Bauten streng frontal und etwas leblos zeigen. Auf die filmischen Möglichkeiten einer promenade architecturale verzichtet Kuert, wohl in der Annahme, dass er so den klassizistisch strengen Bauten am ehesten gerecht wird. Die Folge ist, dass sie völlig abstrakt erscheinen. Aber nicht nur der visuelle Zugang zu den Bauten bleibt limitiert. Auch über deren internationale Rezeption erfährt der Zuschauer nichts, da eine kommentierende Stimme aus dem Off fehlt. Dabei ist Dudlers Architektur nicht nur in Schweizer Kollegenkreisen, sondern auch in Deutschland umstritten und wird von den einen bewundert, von den andern heftig abgelehnt. Auch weil Architektur die öffentlichste aller Künste ist, erweist sich die Wahl von Direktzitaten, um architektonische Fragestellungen und Probleme aufzuzeigen, als ungeschickt. Zumal Dudler weder ein kritischer Intellektueller noch ein eloquenter Redner ist. Oft lässt sich die Bedeutung von Dudlers Sätzen nur erahnen - und zwar nicht nur, wenn er von der «Sinnlichkeit, wo man darin wohnen kann», spricht.

So lässt einen denn der Film etwas ratlos zurück. Man glaubt zwar, einen der erfolgreichsten Architekten im deutschsprachigen Raum näher kennengelernt zu haben, hat aber gleichwohl keinen gültigen Eindruck von seinem Schaffen und dessen Bedeutung erhalten. Gerne hätte man beispielsweise erfahren, wie Dudler sich gegenüber der gegenwärtig so erfolgreichen Deutschschweizer Architektur definiert und ob er wirklich nur deshalb in Berlin ist, weil man «als Architekt an die Orte ziehen muss, wo gebaut wird».

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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