Artikel

Mit Bedacht angepasst
deutsche bauzeitung

Umnutzung des »Kaiserlichen Arbeitshauses Rummelsburg« in Berlin

Längst gehört die Umnutzung gründerzeitlicher Denkmale zum architektonischen Alltag. Für das »Kaiserliche Arbeitshaus« in Berlin-Rummelsburg haben AFF architekten jedoch eine gleichermaßen individuelle wie gestalterisch und funktional hochwertige Lösung gefunden, die sich deutlich vom Standard abhebt.

1. September 2014 - Jürgen Tietz
Malerisch war die Lage des Kaiserlichen Arbeitshauses Rummelsburg schon zu seiner Bauzeit im 19. Jahrhundert. Galt der nahe gelegene Rummelsburger See, zu dem sich die Spree hinter der Halbinsel Stralau auswächst, doch schon bei Theodor Fontane als ein gern besuchtes, weil innenstadtnahes Ausflugsziel. Doch trotz dieser bevorzugten Lage versprach das Arbeitshaus keineswegs einen romantischen Aufenthalt. Berlins emsiger Stadtbaumeister Hermann Blankenstein, dem die Stadt eine Vielzahl von Schulen, Markthallen und anderen öffentlichen Gebäuden verdankt, errichtete es 1877-79 als Verwaltungsgebäude der »Straf- und Arrestanstalt für männliche Corriganden«. In der Folge diente die streng geometrisch gegliederte Anlage über 100 Jahre als Gefängnis. Zu ihren letzten Häftlingen gehörte Erich Honecker, ehe sie1990 endgültig geschlossen wurde.

Zweites Leben

Nach 1990 hat sich die Rummelsburger Bucht zu einem beliebten Wohngebiet gewandelt; entsprechend umgenutzt sind inzwischen auch die einstigen Zellenzeilen der ehemaligen Arrestanstalt. Jetzt haben die AFF architekten aus Berlin in das dreigeschossige Verwaltungsgebäude sieben Wohnungen eingefügt. Dem Charme des Quartiers waren Martin und Sven Fröhlich von AFF freilich schon zuvor erlegen: nur fünf Gehminuten entfernt steht ihre 2011 fertiggestellte Reihenhaussiedlung »Elf Freunde«.

Eine ganz andere Herausforderung an die Architekten stellte die Umnutzung des repräsentativen Ziegelbaus des Kaiserlichen Arbeitshauses im Duktus der (ganz) späten Schinkelschule mit seinem aufwendigen Dekor. So war die Rückseite des lange leer stehenden Baudenkmals durch eine Turnhalle aus DDR-Zeiten gestört. Nach deren Abriss kam unter dem Zementputz die zart-schöne Ziegelfassade wieder zum Vorschein, die anschließend aufwendig instandgesetzt und ausgebessert wurde.

Doch um attraktiven Lebensraum zu schaffen, der derzeitigen Ansprüchen gerecht wird, galt es zudem, die neuen Wohnungen jeweils mit Balkonen oder Terrassen auszustatten. Der einzige historische Balkon befand sich an der Schauseite des Verwaltungsgebäudes im 1. OG. Allerdings war er ursprünglich nur als architektonisches Gliederungselement gedacht, ohne Zugang. Um ihn nutzbar zu machen, senkten AFF die Brüstungshöhe ab und verwandelten das Fenster in eine Tür. Die größten Veränderungen erfuhr der Baukörper jedoch an seiner nach Süd-Westen orientierten Rückseite, hinter der sich die ehemaligen Zellenzeilen anschließen: Mithilfe mehrerer Eingriffe gelang es den Architekten, sehr gut nutzbare und gestalterisch hochwertige Außenräume für die Bewohner zu schaffen.

Den beiden Einheiten im Hochparterre lagerten sie eine treppenartige Stahlkonstruktion vor. Sie dient als Terrasse und verbindet zugleich die höher gelegene Wohnebene mit dem anschließenden Gartenraum. Seitlich jeweils von Hecken eingefasst, werden die beiden Gärten zur Karl-Wilker-Straße hin schließlich durch zwei neue, langgestreckte Gartenhäuser abgeschlossen. Mit ihrem terrakottarot durchgefärbten Beton, der durch schmale Stege in der Schalung ein reizvolles Relief erhielt, und den großen Glasflächen zur Haus- und Straßenseite, erweisen sie sich als charakteristisch für die Arbeit von AFF. Eine verwandte Haltung zeigte schon ihre Beton-Schutzhütte am Fichtelberg (2010).

Die Rummelsburger Gartenhausriegel schaffen einerseits eine gewisse Privatheit des Gartens und bieten anderseits eine räumliche Fassung des Grundstücks zur Straße. Zur konventionellen Gartenmauer stellen sie eine kluge Alternative dar, die für die Bewohner zudem einen attraktiven Nutzraum als Mehrwert bietet.

Im 1. OG hängten die Architekten dem historischen Gebäude auf beiden Seiten des Treppenhausrisalits jeweils in der Mittelachse einen Balkon aus Stahl vor, der konstruktiv mit der Holzbalkendecke verbunden ist und mit seinem dunklen Braunton die farbliche Anbindung an den Backstein findet. Diese Balkone liegen vor vier Fensterachsen der Wohnungen und bieten mit rund 20 m² eine beinahe luxuriöse Größe. Für optimale Zugänglichkeit wurden die alten Fensteröffnungen zu -türen vergrößert. Neben der Erschließung des Balkons wird auf diese Weise außerdem die Belichtung der Wohnungen deutlich verbessert. Vom historischen Fensterbestand des Hauses konnten ohnehin lediglich zwei Kastenfenster als Belege erhalten werden, energetisch optimiert durch Isolierverglasungen.

Im 2. OG verbot es sich, die gleiche Lösung wie in der darunterliegenden Etage zu wählen. Zum einen wäre dadurch der umlaufende und historisch wertvolle Zierfries gestört worden, zum anderen wären die Proportionen des Hauses ins Ungleichgewicht geraten. Stattdessen fiel die unkonventionelle Entscheidung, die beiden Wohnungen als Maisonette bis ins DG weiterzuführen. Dadurch entstanden im komplett erneuerten Dachraum an der sonnigen Gebäuderückseite großzügige Terrassen, die über einen »Atelierraum« an die Wohnungen angebunden sind. Mit ihrem Holzbodenbelag und den grau gefassten Wänden bilden sie einen großzügigen Außenraum mit Blick über das Gelände der ehemaligen Arrestanstalt bis zum Rummelsburger See.

Einen beachtenswerten Ansatz hält schließlich die einzige reine Dachgeschosswohnung bereit: Sie ist um einen L- förmigen, nahezu komplett introvertierten, Außenraum organisiert. Lediglich ein schmaler Terrassenstreifen führt bis an die Dachkante heran, der in einer Achse mit dem historischen Wachturm liegt. Nur vom »Himmel über Berlin« aus einsehbar, ist eine noch privatere Dachterrasse kaum vorstellbar. Großzügige Glasflächen, grau verputzte Wände und der Holzboden vervollständigen den besonderen Charakter dieses patioartigen Außenraums.

Geschichtsfragmente

Nicht zuletzt aufgrund des langen Leerstands ist im Innern des Kaiserlichen Arbeitshauses heute nur noch wenig ursprüngliche Bausubstanz vorhanden. Am dauerhaftesten erwiesen sich die Granitstufen und Solnhofener Platten im Treppenhaus, die als Nutzungs- und Zeitzeugen mit ihren Gebrauchsspuren und Beschädigungen erhalten blieben. Original ist auch das Treppengeländer, zwischen dessen hölzerne Baluster allerdings – aufgrund allmählich ins Unsinnige ausufernder deutscher Sicherheitsvorschriften – zusätzliche Stäbe eingefügt werden mussten. Im EG ist es den Architekten gelungen, den bauzeitlichen Dielenboden zu bewahren und aufzuarbeiten.

Die Wohnungsgrundrisse des einstigen Verwaltungsgebäudes wurden in enger Abstimmung mit den Eigentümern ausgeführt. Wenn möglich, hinterließen die Architekten aber auch dort ihre Gestaltungspuren, etwa durch die Zweitverwendung alter Zimmertüren aus anderen Gebäuden.

Mit der Umnutzung des Kaiserlichen Arbeitshauses haben AFF ein denkmalgerechtes Konzept verwirklicht, das die sieben neuen Wohnungen um qualitätvolle und bemerkenswert differenziert gestaltete Außenräume ergänzt – deutlich jenseits der üblicherweise lieblos »vorgeknallten« Balkonkonstruktionen aus Stahl. Die sich besonders aus der Fernsicht abzeichnende Dachskulptur mit den beiden negativen Ecken und dem mittigen Einschnitt ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Und auch wenn man sich vielleicht wünschen würde, das Dach hinterließe einen einheitlicheren – monolithischeren – optischen Gesamteindruck, so überzeugt die gefundene Lösung sowohl in ihrer Nutzung als auch in der zugrunde liegenden Idee. Den »AFF-Clou« aber liefern die beiden neu eingefügten Gartenhausriegel, die einen reizvollen Kontrapart zum Altbau bilden und sich als ästhetischer und räumlicher Gewinn für das Kaiserliche Arbeitshaus erweisen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: