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Kulturbürger, Kettenraucher
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Ob Weltausstellungspavillon, Espresso-Bar oder Zigarettenpackung: Oswald Haerdtl, 1899 bis 1959, nahm sich auch scheinbar nebensächlicher Dinge der visuellen Kultur an. Adolph Stiller präsentiert in einer Wiener Ausstellung die Breite von Haerdtls Werk.

17. Juni 2000 - Walter Zschokke
Dem Wiener Architekten und Designer Oswald Haerdtl, 1899 bis 1959, ist im Vergleich zu Josef Hoffmann, Adolf Loos oder selbst Josef Frank nicht dieselbe internationale Beachtung zuteil geworden. Fast drei Jahrzehnte jünger als sein mittlerweile weltbekannter Lehrmeister Josef Hoffmann, war er in den zwanziger Jahren als Nachfolger von Max Fellerer zum Büroleiter aufgerückt und wurde in den dreißiger Jahren Atelierpartner Hoffmanns, von dem er sich aber 1939 trennte.

Studiert hatte Haerdtl bei Oskar Strnad. Zur Architektur war er über die Graphische Lehranstalt, eine Tischlerlehre und das Studium der Malerei gekommen. Seine Begabung für visuelle Wahrnehmung war somit mehrfach geschult, und von einem feinsinnigen Tastgefühl zeugen die zahlreichen, angenehm zu besitzenden Möbel aus seiner Hand.

Diese Kultiviertheit versuchte er unablässig auf seine Umgebung zu übertragen. Tatmensch und manischer Arbeiter, der er war, hielt er tief in die Nächte hinein zeichnend seine Gedanken fest und bereitete den Mitarbeitern die Arbeit für den nächsten Tag vor. Während seiner beruflichen Entfaltung geriet Oswald Haerdtl in die kulturellen Umbrüche der zwanziger und dreißiger Jahre, hielt aber Distanz zur totalitären Entwicklung und lavierte, wohl auch mit Glück, durch Naziherrschaft und Weltkrieg, um danach mit Energie und größtem Einsatz zur kulturellen Wiederbelebung beizutragen.

Während Josef Hoffmann - auch - edle Zigarettenetuis entworfen hatte, befaßte sich Kettenraucher Haerdtl - auch - mit dem graphischen Design von Zigarettenpackungen. Daran zeigt sich nicht zuletzt die Breite seiner Begabung und sein Anliegen, auch scheinbar nebensächlichen Dingen der visuellen Kultur Interesse zu schenken.

Zählen in den dreißiger Jahren die Pavillons auf den Weltausstellungen in Brüssel 1935 und Paris 1937 zu seinen herausragenden Werken, so sind es in den fünfziger Jahren der Messepavillon für Felten & Guilleaume, eine Schule am Czerninplatz, ein Druckereigebäude in Wien-Margareten und das Historische Museum der Stadt Wien sowie unzählige Ladenlokale, Kaffeehaus-Einrichtungen und Espresso-Bars, die sein Schaffen vergegenwärtigen.

Besonders für letztere wirkte er als Kenner der norditalienischen Cafékultur positiv erneuernd, Plüsch und kalten Mief durch Italianitá und mediterrane Leichtigkeit ersetzend. Als wahrscheinlich einziges verbliebenes Beispiel gilt die Milchbar im Volksgarten.

Haerdtls Architektur zeichnet sich durch proportionale Klarheit und disziplinierte Sachlichkeit aus. Mit exakt gesetzten Maßnahmen erreicht er architektonische Wirkung. So gelingt ihm mit dem Pavillon für Felten & Guilleaume auf dem Wiener Messegelände eine perfekte Inszenierung von Luftigkeit und Transparenz, eine nahezu sakrale Interpretation des Vierstützentypus mit abgesetzter klimatischer Trennebene, die räumlich kaum zu existieren scheint.

Natürlich half ihm dabei die Einfachverglasung, die weniger spiegelt als heute die doppelten Scheiben, aber architektonisch-konstruktiv und von den Proportionen her war er souverän. Die ruhige, ausgewogene Fassade der Schule am Czerninplatz zeigt, wie er mit geringster Instrumentierung sensibel umgehen konnte. Seine „Einfachheit“ war nicht dominant plakativ, sondern nobel.

Daß das Historische Museum in mancher Beziehung etwas verkrampft wirkt, hängt wohl eher mit der Einmischung des Juryvorsitzenden und damals in Wien sehr mächtigen, in politisch-moralischer Hinsicht fragwürdigen Professorenkollegen an der Akademie für angewandte Kunst, Franz Schuster, zusammen als mit einem etwaigen Knick in Haerdtls Gestaltungsvermögen. Daß Haerdtl edel wirkende Formen beherrschte, bewies er mit einer Inneneinrichtung für das kriegsbeschädigte Bundeskanzleramt. Eindrücklich ist auch seine Fähigkeit zu perfekter Integration von Schrift in Architektur, was nur wenige außer ihm beherrschten.

Dem universalen Architekten und Kulturbürger Haerdtl wurde nun die verdiente Würdigung zuteil. Leider für viele seiner Werke zu spät, wie aus dem kommentierten Werkverzeichnis hervorgeht. Der Wiener Architekturwissenschaftler Adolph Stiller hat in jahrelangen Forschungen den Nachlaß Haerdtls aufgearbeitet, der von den Erben sorgsam bewahrt und äußerst verantwortungsbewußt an das „Architektur Zentrum Wien“ übergeben wurde.

Es gab nämlich ein lukratives Angebot aus Übersee . . . In einer von Stiller gestalteten Ausstellung ist ein kleiner, aber eindrücklicher Teil aus Haerdtls Schaffen im Ausstellungszentrum der Wiener Städtischen Versicherung am Ringturm zu sehen.

Zahlreiche sorgfältige Architekturphotographien in Schwarz- weiß; Originalpläne in Bleistift, oft mit Aquarellfarben farblich und atmosphärisch verstärkt, sowie einige Modelle, die vor Jahren für eine von Johannes Spalt angeregte und gestaltete erste Ausstellung gebaut worden waren, geben einen gehaltvollen Überblick.

Der wissenschaftliche Katalog in Buchform von Adolph Stiller enthält zusätzliche Beiträge von kompetenter Seite. Es handelt sich um einen Glücksfall, daß Stiller, der an der HTL Mödling Matura und Tischlermeisterdiplom erwarb und an der Akademie der bildenden Künste und in Paris Architektur studierte, gerade diesen Nachlaß bearbeitet hat, denn versehen mit längerer Auslandserfahrung in universitären Forschungszirkeln in Paris, Genf, Mailand und Zürich, erweist er sich als kompetenter und kongenialer Analytiker und Interpret von Oswald Haerdtls Schaffen.

Mit seiner Arbeit setzt er die Kultur des Erinnerns auf hohem Qualitätsniveau fort, die etwa Friedrich Achleitner und Otto Kapfinger seit Jahrzehnten pflegen. Diese spät und quasi privat, mit Unterstützung der Kunstsektion des Bundeskanzleramts, erfolgte wissenschaftliche Aufbereitung der wichtigen Wiener Architektenfigur Oswald Haerdtl läßt allerdings ein gravierendes Defizit in der heutigen universitären Forschung aufklaffen, das durch nichts entschuldbar ist.

Noch bis 15. September ist die Ausstellung „Oswald Haerdtl - Architekt und Designer 1899 bis 1959“ im Ausstellungszentrum im Ringturm (Wien I, Schottenring 30; Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr) zu sehen.

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