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Mozart oder die Kugel?
Mozart oder die Kugel?
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Im nachfolgenden Beitrag wird versucht, die Trends und Strategien bezüglich großer Freizeit- und Vergnügungsparks in der Region Wien-Süd zu hinterfragen und ein paar offene Fragen aus Sicht der Raumplanung aufzuwerfen.

30. März 1998 - Anita Frank
Im nachfolgenden Beitrag wird versucht, die Trends und Strategien bezüglich großer Freizeit- und Vergnügungsparks in der Region Wien-Süd zu hinterfragen und ein paar offene Fragen aus Sicht der Raumplanung aufzuwerfen.

Im Großraum Wien sind derzeit vier „Entertainment Center“ in Planung:
Das UFO (Unbeschränktes Freizeit- Objekt) bzw. der Freizeit- und Erlebnispark „Prater World“: Auf 100.000 m² sollen am Wiener Messegelände unter anderem ein Sportzentrum, ein Multiplex-Kino und ein fixer Spielort für den Cirque du Soleil sowie ein Einkaufs- und Unterhaltungszentrum entstehen. Die Stadtplanung hat sich allerdings eine selbst auferlegte Nachdenkpause verordnet, man will nicht Anlaßplanung für InvestorInnen machen, sondern ein Stadtteilleitbild „Prater Neu“ mit groben Rahmenbedingungen als Entscheidungsgrundlage erarbeiten.
Ein „Urban Entertainment Center“ am Bahnhof Wien Mitte: Auf 40.000 m² sollen ein 3D-Kino, ein „Lego Imagination Center“, Showbühnen, Fitneßeinrichtungen, virtuelle Erlebnisreisen und Geschäfte (Flagship-Stores) um rund drei Milliarden Schilling errichtet werden.
„Ultrapolis 3000“: In Erweiterung der SCS bei Vösendorf auf dem Gemeindegebiet von Wr. Neudorf (IZ-Nord-Gründe) soll auf 400.000 m² eine ober- und unterirdisch angelegte virtuelle Erlebniswelt mit Parkcharakter (6 Milliarden Schilling) errichtet werden.
Der „Vienna Globe Resort Park“ des Magna-Konzerns in Ebreichsdorf: Auf einer Fläche von 250 ha ist neben der 140 m hohen Weltkugel (Restaurants, Geschäfte, Erlebniswelt, Theater, Kino) eine Trabrennbahn, Ställe für 800 Pferde, ein Wohnpark und ein Konferenzhotel geplant (7 Milliarden Schilling).

Magna Globe

Zum Magna Globe-Projekt im zwanzig Kilometer südlich von Wien gelegenen, 10.000 EinwohnerInnen zählenden Ebreichsdorf liegen zur Zeit die meisten Daten bezüglich der Nutzung vor, gleichzeitig wird die Diskussion auch sehr emotional geführt, sodaß hier im besonderen auf diesen Vergnügungspark eingegangen werden soll.
Hier einige Eckdaten:
In der Kugel soll die sogenannte „World of Wonder“ (WOW) entstehen, ein „Museum als Freizeitpark, wo die Besucher das Drama der Evolution, die Erforschung des Weltraums, Science Fiction, Technologie der Zukunft und den unermeßlichen Einfluß des mächtigen Pferdes auf die Geschichte der Menschheit erleben können“ (Magnabroschüre WOW). Die Gesamtfläche der von Magna gekauften Liegenschaft beträgt 250 ha, von denen 9,8 ha bebaut werden sollen. Die Investitionen werden mit sieben Milliarden, das Gesamtsteueraufkommen mit 9 Mrd. ATS beziffert. Direkt vor Ort sollen 3.000 bis 3.500, in der Region rund 10.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die erwartete Besucherfrequenz liegt bei durchschnittlich 10.000 bis 15.000 pro Tag, die Spitzenbelastungen werden mit rund 28.000 BesucherInnen pro Tag berechnet. Jährlich werden von den BetreiberInnen drei bis sechs Millionen BesucherInnen erwartet (derzeit hält Schönbrunn mit 2,2 Millionen BesucherInnen pro Jahr Rang 1 der österreichischen Tourismusziele). Zur Bewerkstelligung dieses Verkehrsaufkommens sind neben den 5.000 Parkplätzen am Kugelgelände weitere Autobahnabfahrten, Ortsumfahrungen, der Ausbau der Fahrspuren der A2 und A3 und der Pottendorfer Bahnlinie geplant. Unter der Kugel befindet sich ein Empfangsbereich mit Wasserfällen und Aquarium, ein Musiktheater mit 1.800 Plätzen und zwei IMAX-Kinos mit je 800 Plätzen. In der Kugel wird es zwei thematische Schwerpunkte geben, eine Fahrt in die Vergangenheit und eine in die Zukunft, unter Einsatz modernster Unterhaltungstechnologien wird eine virtuelle Realität aufgebaut. Neben der Kugel ist ein ökopädagogisches Zentrum mit Labor und Wiesenlehrpfad geplant, um die botanisch und faunistisch wertvollen Gebiete der „Welschen Halten“ einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen und so zur Umwelterziehung beizutragen.

Die „Welschen Halten“

Die „Welschen Halten“, ein Teil des Magna-Geländes, umfassen Lebensgemeinschaften und Arten von „prioritärer gemeinschaftlicher Bedeutung“ und waren ursprünglich als „Natura 2000“ -Gebiet der EU, sowie als „Important Bird Area“ ausgewiesen und unterliegen somit dem Verschlechterungs- und Verkleinerungsverbot der EU-Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH). Kürzlich wurden 25 ha dieses Gebietes zum Naturdenkmal erklärt (im Gutachten der Naturschutzbehörde waren anfangs 60 ha vorgesehen). Die Naturdenkmalflächen sparen säuberlich genau die Gebäude, Parkplätze und Straßenflächen des Magnaprojektes aus. Es stellt sich die Frage, inwieweit dieses Umgehen der FFH-Richtlinie und das Verschweigen der vorkommenden Vogelarten nach der EU-Vogelschutzrichtlinie gegen geltendes EU-Recht verstößt und zu einem Beschwerdeverfahren seitens der EU führen kann (siehe Ennstalbundesstraße). Im Bereich Energie-Abfall-Abwasser-Wasser ist ein integriertes Konzept vorgesehen. Wasserwirtschaftlich relevant ist die Errichtung von drei Grundwasserseen im Nahbereich des Globus mit einer offenen Wasserfläche im Gesamtausmaß von 9,5 ha. Für die Anlagen und Infrastruktursysteme des „Resort Parks“ wird eine Rodung im Ausmaß von 8,5 ha notwendig sein, für die im Nahbereich Ersatzaufforstungen vorgenommen werden (ab 10 ha Rodungsfläche wäre eine UVP notwendig). Das geplante Hotel wird mit 499 Betten angegeben (ab 500 Betten wäre UVP-Pflichtigkeit gegeben.

Positive Auswirkungen
werden von seiten der Gemeinde und der regionalen Wirtschaft gesehen. Erhofft werden vor allem Arbeitsplätze, ein höheres Lohnniveau, eine stärkere Kaufkraft, ein Ankurbeln des Tourismus und erhöhte Steuereinnahmen sowie allgemein starke Impulse und Imagegewinne für die ganze Region „Industrieviertel Niederösterreich-Süd“.

Negative Auswirkungen sind aufgrund der derzeitigen Konzeption vor allem im Verkehrsbereich zu erwarten, aber auch die Fragen der Energie-, Abfall- und Wasserver- und entsorgung sind großteils ungelöst. Trotz der Zielsetzung von 30 % werden nach Schätzungen von ExpertInnen nur 10 % der BesucherInnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und 90 % mit einem motorisierten Individualverkehrsmittel anreisen. (Eurodisney bei Paris wird trotz direktem Metro-Anschluß nur von 15 % der BesucherInnen öffentlich erreicht.) Ungeklärt ist auch noch inwieweit die Bauarbeiten die unter Schutz gestellten Feuchtbiotope beeinträchtigen werden.

Offene Fragen

Aus raumplanerischer Sicht sind meines Erachtens folgende Gesichtspunkte noch offen bzw. näher zu betrachten:

• Inwieweit kann ein Großprojekt dieses Ausmaßes umweltverträglich sein? Herr STRONACH möchte nach eigenen Angaben ein ökologisches und ökonomisches Musterprojekt schaffen, das „grün, grün und nochmals grün“ ist. Hierzu wäre eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig, die im konkreten Fall allerdings nicht verpflichtend ist bzw. sogar eine großräumig angelegte Raumverträglichkeitsprüfung (RVP), da das Projekt enorme Auswirkungen auf den gesamten Südraum von Wien und auf Wien selbst hat.

• Daran schließt sich die Frage an, ob eine Entscheidung mit derart großräumigen Nebeneffekten von einer Gemeinde allein entschieden werden kann (die Landesregierung ist nur Aufsichtsbehörde im Umwidmungsverfahren). Ausdruck fand dieses Unbehagen auch in einer Resolution, die von 18 der 20 Bürgermeister des Bezirkes Mödling einstimmig beschlossen wurde und in der unter anderem an die NÖ Landesregierung appelliert wird, „keines der geplanten Freizeitprojekte zu genehmigen, solange nicht die notwendigen Verkehrseinrichtungen realisiert sind“ (Resolution vom 25.11.1997). In der Gemeinde Münchendorf fand am 23. November 1997 eine Volksbefragung statt, bei der sich 74,2 % gegen die Errichtung der Magna-Kugel in Ebreichsdorf aussprachen. 76,3 % der Befragten erwarten negative Auswirkungen auf die Gemeinde Münchendorf.

• Ungeklärt sind großteils noch die Lösungen der Verkehrsfrage, des Energiekonzeptes, der wasserwirtschaftlichen Belange sowie der ökonomischen Auswirkungen auf Betriebe und Branchen, die in Konkurrenz zu Magna-Einrichtungen stehen (Kinos, Theater, Trabrennbahnen, Restaurants etc. in der Umgebung und in Wien).

• Völlig offen ist auch die Frage der Nach- oder Umnutzungsmöglichkeiten, sollte die Konkurrenz der anderen derzeit geplanten Freizeitgroßprojekte zu stark sein oder die ökonomische Rentabilität in einigen Jahren abnehmen. „Von den vier Großprojekten in Wien und Umgebung werden wohl zwei übrig bleiben“ diagnostizierte kürzlich Peter ZELLMANN vom Boltzmann-Institut für angewandte Freizeitwissenschaft (Falter 7/1998). Seitens der Gemeinde wurde laut Bürgermeister Pilz zwar eine Fertigstellungsgarantie ausverhandelt, aber meines Wissens keine Mindestnutzungsdauer. Um nicht auf einer „Kommerz-Ruine“ (ebd.) sitzenzubleiben, kann dies aber durchaus interessant werden, da derartige Objekte schnell hohe Renditen versprechen, dann aber leichter bzw. billiger geschlossen und an anderer Stelle neu errichtet anstatt modernisiert zu werden.

• Kritisch zu betrachten ist meines Erachtens auch die Sinnhaftigkeit von Planung im allgemeinen, wenn langfristige Ziele durch kurzfristige Wünsche torpediert werden. Gemäß NÖ ROG darf ein Flächenwidmungsplan nur wegen „wesentlicher Änderungen der Grundlagen“ revidiert werden. Der Verfassungsgerichtshof spricht in diesem Fall von „erhöhter Bestandsgarantie“, gemeint ist die Verläßlichkeit von Planungen mit längerfristiger Zielsetzung im Gegensatz zur sogenannten „Anlaßplanung“.

• Kritisch zu hinterfragen sind sicherlich auch die Angaben bezüglich der versprochenen Arbeitsplätze, die direkt und indirekt geschaffen werden sollen (3.000 bis 3.500 bzw. 10.000). Das Arbeitsplatzargument ist in Zeiten von Sparpaketen und steigender Arbeitslosigkeit immer das gewichtigste und schwer zu entkräften. Allerdings gibt es noch kaum wissenschaftliche Arbeiten über die Arbeitsplatzzusammensetzung und -schaffung von Freizeit- bzw. Erlebniswelten und noch weniger plausible Daten über die indirekt vernichteten Arbeitsplätze in der Region, da Kaufkraft nicht beliebig vermehrbar ist, also woanders abfließt. Hier können nur vage Vergleiche mit Eurodisney angestellt werden, das täglich ca. 40.000 Personen besuchen. Hier wurden vor Baubeginn 12.000 direkte und 25.000 indirekte Arbeitsplätze versprochen. Mittlerweile beschäftigt Eurodisney 8.000 Leute direkt und ca. 12.000 indirekt, es blieb also bei rund der Hälfte der angekündigten Jobs.

• Neben einer ästhetischen Diskussion (die Kugel wäre das größte Bauwerk der Region und hätte mit ihren 900.000 m³ mehr als den doppelten Rauminhalt des neuen Regierungsviertels in St. Pölten), die von fachlicher Seite noch nicht angegangen wurde, ist auch der prinzipiellen Frage nachzugehen, ob Österreich sich einem offensichtlichen weltweiten Trend zu Vergnügungsparks, Themenparks, Disneylands und Skidomes öffnen oder auf touristisch bewährten Wegen wie Mozart, Schönbrunn und Großglockner bleiben soll. Konkrete Pläne liegen derzeit für acht weitere Erlebnisparks in Österreich vor. Stünde die Kugel allerdings einige Kilometer weiter östlich über der Landesgrenze, könnten nicht einmal Auflagen oder Rahmenbedingungen reklamiert werden.

Wo beginnt die Diskussion?

So sehr dieses Projekt kritisch hinterfragt werden muß und alle offenen Punkte, wie oben genannt, auf ihre zufriedenstellende Lösbarkeit zu prüfen sind, greift die mediale Diskussion um dieses bzw. ähnliche Projekte oftmals zu kurz. Die Argumentation bezüglich „Verblödung“ und „kollektiver Schizophrenie“ virtueller, künstlicher Welten und die fehlende „Authentizität“ des Freizeiterlebnisses ist die eingeschränkte Sicht einer kleinen Schicht Intellektueller, die eben diese Freizeitbedürfnisse nicht verspüren, weil sie vielleicht das Glück haben, sich in einer zufriedenstellenden Arbeits- und Wohnsituation zu befinden. Müßte die Diskussion über Freizeit- und Vergnügungsparks nicht beim Auseinanderfallen von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit einerseits sowie Freizeit und Urlaub andererseits beginnen?
Positiv aber ist, daß überhaupt diskutiert wird, daß sich Bürgerinitiativen und Plattformen bilden und plötzlich über ein übergeordnetes Leitbild für die Region nachgedacht wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: zolltexte

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