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Pilze am Dach
zolltexte
1. Juli 1998 - Manfred Gollner
Dachbegrünungen werden aus ökologischen und ästhetischen Gründen immer populärer. Auf diesen Extremstandorten treten vor allem Probleme mit dem Pflanzenwachstum auf. Durch die Beimpfung der Substrate mit Mykorrhizakulturen könnte – wie Laborversuche zeigten – die Wasser- und Nährstoffaufnahmekapazität der Pflanzen auf natürliche Weise verbessert werden. In der Praxis sind aber noch viele Fragen offen.


Als Mykorrhiza (griechisch = „Pilzwurzel“) bezeichnet man die symbiotische bzw. durch wechselseitigen Parasitismus gekennzeichnete Lebensgemeinschaft zwischen den Wurzeln von mehr als achtzig Prozent der höheren Landpflanzen mit circa 6.000 Pilzarten am jeweiligen Standort. Der Begriff „Mykorrhiza“ wurde bereits 1885 von Professor Frank, einem Forstpflanzenpathologen der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, geprägt. Vertreter einiger Pflanzenfamilien, wie z.B. der Sauergräser, Gänsefußgewächse und Kreuzblütler, zeigen keine oder nur schwache Ausbildung einer Mykorrhiza. Die beteiligten Pilze erhalten von ihren Wirtspflanzen Kohlehydrate aus der Photosynthese, während die Wirtspflanzen im Austausch dafür von den Pilzen mit Nährstoffen (v. a. Phosphor, Stickstoff und Mineralsalze) und verschiedenen Wirkstoffen (Antibiotika und Hormone) versorgt werden.

Der allgemein positive Einfluß der VAM (endotrophe Mykorrhiza) auf die Pflanzenernährung und -gesundheit – insbesondere auf Extremstandorten – ist seit längerer Zeit bekannt. Es wurden verschiedene Verfahren der Produktion von Beimpfungskulturen (INOKULUM) entwickelt, um VAMF (Vesikuläre Arbuskuläre Mykorrhiza-Pilze) in der Produktion von Kulturpflanzen einzusetzen. Erfolge in Laborversuchen (in vitro) sind aber in Freilandversuchen (in vivo) und in der Praxis nicht immer reproduzierbar. Bedingt durch die Veröffentlichungen von Versuchsergebnissen über den Einsatz von VAM im Gartenbau bieten die Substrathersteller jedoch immer häufiger „geeignete“ Präparate am Markt an.

Dachbegrünungen

Begrünte Dächer werden durch ihre ökonomischen und ökologischen Vorteile gegenüber versiegelten Flächen immer populärer, wobei aus Kostengründen vor allem Dachbegrünungen in extensiver Ausführung angelegt werden. Eine begrünte Dachfläche ist aber, selbst bei optimaler Ausführung, ein vom Umgebungsboden isolierter Standort, wodurch die optimale Wasser- und Nährstoffversorgung die elementaren Probleme der Bepflanzung darstellen.

In der Praxis unterscheidet man extensive Dachbegrünungen mit kleinen Aufbauhöhen, relativ geringen Auflasten, humusarmen Substraten mit robusten, regenerationsfähigen Stauden und Gräsern, und intensive Dachbegrünungen mit Aufbauhöhen über 20 cm, höheren Auflasten, Substraten mit höheren Anteilen an organischer Substanz und anspruchsvollen Stauden, Kräutern und Gehölzen, wobei die Übergänge zwischen den beiden Begrünungsformen fließend sind.

Wasser- und Nährstoffversorgung

Eine Grundvoraussetzung für begrünte Dächer ist die absolute Abdichtung und die Wurzelfestigkeit zum darunter liegenden Baukörper. Das Vegetationssubstrat hat die Aufgabe, auftretendes Niederschlagswasser zu binden und pflanzenverfügbar zu speichern. So ist z.B. ein Extensivsubstrat bei einer Schütthöhe von rund 10 cm in der Lage bis zu 45 Liter Wasser pro m2 zu binden. In den Sommermonaten besteht für die Vegetationsschicht auf dem Dach häufig eine Wassermangelsituation, wodurch Pflanzen mit einem gut ausgeprägtem Wurzelsystem, Speicherorganen im Sproß oder in der Wurzel und Schutzfunktionen, wie z.B. einer gut ausgeprägten Mykorrhiza eindeutig besser an diesen Extremstand-ort angepaßt sind. Gräser sind bei Dachbegrünungen hinsichtlich gestalterischer Aspekte durch ihre strukturbildende Funktion sehr beliebt, ihre Wasseransprüche sind aber höher als die der meist verwendeten Dachpflanzen, der Sedum-Arten. Hohe Nährstoffgehalte der Dachbegrünungssubstrate sind aufgrund der Auswaschungsgefahr und der damit verbundenen Belastung der Vorfluter sowie der Verminderung der Winterhärte der darin wachsenden Stauden und Gehölze nicht erwünscht. Die bei einer extensiven Dachbegrünung verwendeten Stauden weisen niedrige Ansprüche hinsichtlich der Nährstoffversorgung auf, die nach der Aussaat und Auspflanzung jedoch nur für einen begrenzten Zeitpunkt durch das frische Ausgangssubstrat ausreichend abgedeckt werden. In der Praxis werden zur Pflege der Dachbegrünung ummantelte Depotdünger verwendet, die Pflanzennährstoffe in geringen Mengen möglichst konstant über einen längeren Zeitraum abgeben. Regional kann auch der Eintrag von Stickstoff aus der Luft sehr hoch sein, z.B. in Gebieten mit Intensivtierhaltung, und ist dann zu berücksichtigen.

Eine Optimierung der Substrate für Dachbegrünungen hinsichtlich der Nährstoffversorgung der darin wachsenden Pflanzen ist also von vorrangigem Interesse für den Aufbau.

Eine gut ausgeprägte Mykorrhiza kann aufgrund der intensiveren Bodenerschließung durch die Pilzhyphen eine Erhöhung der Aufnahme an Phosphor um bis zu 50 Prozent und der Aufnahme an Stickstoff um bis zu 25 Prozent bewirken. Die Länge des gebildeten Myzels außerhalb der Pflanzenwurzel kann je nach Art des Mykorrhizapilzes bis zu 55 m/g Bodenmasse betragen. Die äußeren Hyphen haben einen Durchmesser von 2-8 mm und dadurch in Relation zur Pflanzenwurzel eine relativ große Oberfläche. Die Pilzhyphen können somit wesentlich kleinere Bodenporen erschließen als die Pflanze durch ihre Wurzelhaare mit einem Durchmesser von 10-20 mm.

Substrate für extensive Dachbegrünungen

Extensive Dachbegrünungen lassen sich u.a. durch folgende Verfahren realisieren:
- Trockenaussaat,
- Naßansaat eines Gemisches aus Samen, Kleber und Wasser,
- Sproßansaat,
- Flachballenpflanzung und
- vorkultivierte Vegetationsmatten.

Durch diese Verfahren soll den verwendeten Pflanzen in Kombination mit den Dachgartensubstraten eine geeignete Lebensgrundlage geschaffen werden, wobei folgende Faktoren nachteilige Auswirkungen haben können:
- hohe Salzgehalte im Substrat,
- ungeeignete pH-Werte,
- zu niedrige Wasserkapazität,
- zu geringe Luftkapazität und
- biologische Inaktivität der industriell hergestellten Substrate.

Bei extensiven Dachbegrünungen sind die Substrate im Regelfall durch sehr geringe Gehalte an organischer Substanz gekennzeichnet. Einschichtige Begrünungen, bei denen die Substratschüttung die Aufgabe der Dränung, der Wasserspeicherung und der Vegetationstragschicht übernimmt, enthalten kaum organische Bestandteile. Die pH-Werte dieser Substrate liegen, bedingt durch die Zusammensetzung aus mineralischen Ausgangskomponenten, um 7,0. Die Salz- und damit die Nährstoffgehalte können je nach Ausgangskomponente relativ hoch sein, die Konzentration an löslichen Salzen sollte aber nicht über 1,5 g/l liegen. Auf die Anwendung von Klärschlammpräparaten sowie von möglicherweise verunreinigtem Recycling-Splitt wird aus vorhergenannten Gründen abgeraten. Dachgartensubstrate werden heute in industriellem Fertigungsmaßstab wegen der Infektionsgefahr für die bei der Dachbegrünung verwendeten Pflanzen durch phytopathogene Mikroorganismen aus nahezu sterilen Ausgangsprodukten hergestellt, wodurch das fertige Substrat zum Ausbringungszeitpunkt biologisch sehr inaktiv ist. Neben den vorhergenannten Vorteilen für die Wirtspflanzen stellt eine gut ausgebildete Mykorrhiza auch einen nachgewiesenen Schutzmechanismus gegenüber phytopathogenen Mikroorganismen dar.

Die Anwendung von Mykorrhizapilzen bei der Dachbegrünung

Viele Fragen bezüglich der Anwendung von Mykorrhizakulturen bei Dachbegrünungen sind wissenschaftlich noch nicht erfaßt. Zu ihrer Klärung sind Forschungsarbeiten im Grundlagen- und Praxisbereich nötig. Dabei sollte erörtert werden:
Welche bei Dachbegrünungen verwendeten Pflanzenarten bilden an ihren natürlichen Standorten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Symbiose mit autochtonen Mykorrhizapilzen, und welche Pflanzenarten könnten zusätzlich zu den bekannten verwendet werden?
Kann ein Universal-Mykorrhiza-Inokulum (Beimpfungskultur) den Anwuchs und das Wachstum der bei Dachbegrünungen verwendeten Pflanzen durch eine Erhöhung ihrer Nährstoff- und Wasseraufnahmekapazität bzw. ihrer Trockenstreßtoleranz nachhaltig verbessern?
Kann ein geeignetes Universal-Mykorrhiza-Inokulum in Kombination mit einem Naßsaatverfahren flächendeckend in konstanter Sporen-Konzentration kostengünstig ausgebracht werden und ist eine Nachbehandlung nach bestimmten Zeiträumen notwendig?
Reicht es aus, Pflanzmaterial von Standorten mit einer gut ausgeprägten Mykotrophie, z.B. aus Baumschulen und Gartenbaubetrieben, mit einer bestimmten Menge an Mutterboden ohne zusätzlicher Anwendung eines Inokulums in das Ausgangssubstrat auszubringen?
Ist eine nachträgliche Anwendung von Mykorrhiza-Beimpfungskulturen bei bereits ausgeführten Dachbegrünungen, vor allem an problematischen Standorten, ökonomisch und ökologisch sinnvoll?

Der Einsatz von Mykorrhizapilzen scheint durch die offensichtlichen Nutzwirkungen für die bei der Dachbegrünung verwendeten Pflanzenarten ein lange Zeit vernachlässigter, potentiell wichtiger Beitrag zu diesem Thema zu werden. Viele wichtige Fragen bezüglich des Einsatzes dieser „neuen natürlichen Technologie“ in der Praxis sind noch zu beantworten und einfache, ökonomisch und ökologisch sinnvolle Verfahren zu entwickeln.

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