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Ele­fan­ten und an­de­re Luft­schlös­ser
Der Standard

Ele­phant & Cast­le ist das neue Hoff­nungs­ge­biet der In­ves­to­ren. Hier ent­ste­hen bis 2025 5000 Woh­nun­gen und gro­ße Re­tail­flä­chen. Doch wel­che Fol­gen hat die Gen­tri­fi­zie­rung auf das letz­te noch leist­ba­re Lon­do­ner Stadt­vier­tel?

1. August 2015 - Wojciech Czaja
Krä­ne und Bag­ger, so weit das Au­ge reicht. Vom al­ten Ima­ge des Lon­do­ner Quar­tiers Ele­phant & Cast­le, frü­her be­kannt für Pubs, La­ger­hal­len und Be­ton­wohn­bur­gen aus den Sech­zi­ger- und Sieb­zi­ger­jah­ren, ist kaum noch et­was zu spü­ren. Nach­dem ein Groß­teil der be­ste­hen­den Ge­bäu­de, oft so­zia­le Ghet­to-Schmelz­tie­gel mit tech­ni­schen und bau­li­chen Män­geln, in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ab­ge­ris­sen wur­de, to­ben sich nun pri­va­te Bau­trä­ger aus, um das Are­al in ein „le­ben­di­ges, pul­sie­ren­des Wohn­vier­tel in Cen­tral Lon­don“ zu ver­wan­deln, „in dem es je­der liebt, da­zu­zu­ge­hö­ren“, wie Rob He­as­man, Pro­ject Di­rec­tor von Ele­phant & Cast­le, dies aus­drückt.

Nach ei­ni­gen klein­eren Wohn­haus­an­la­gen von der Stan­ge, die be­reits zwi­schen 2003 und 2009 er­rich­tet wur­den, war der 2010 fer­tig­ge­stell­te Stra­te To­wer die er­ste ar­chi­tek­to­nisch auf­fal­len­de Land­mark, die das Stadt­ent­wi­cklungs­ge­biet Ele­phant & Cast­le erst­mals auf die Land­kar­te der In­ves­to­ren ka­ta­pul­tier­te. Der Pro­jekt­ent­wi­ckler Brook­field Mul­ti­plex schuf nicht nur ein Wohn­hoch­haus mit 408 Wohn­ein­hei­ten, son­dern auch ein Wind­kraft­werk mit ins Ge­bäu­de in­te­grier­ten Wind­rä­dern in den letz­ten Eta­gen.

Kaum so­zia­ler Wohn­bau

Es reg­net und win­det an die­sem Tag, die Rä­der ste­hen still, doch der Ver­mark­tung des Ob­jekts hat das High-Tech-Gim­mick Rü­cken­wind be­schert, von dem vie­le Kon­kur­ren­ten nur träu­men kön­nen. Die ober­sten Woh­nun­gen wa­ren be­reits nach 24 Stun­den ver­kauft, die rest­li­chen konn­ten bin­nen vier Ta­gen kom­plett ver­wer­tet wer­den. Ein Vier­tel der Woh­nun­gen fir­miert als „af­for­da­ble hou­sing“, was dem so­zia­len Wohn­bau, wie er in Ös­ter­reich de­fi­niert ist, aber nur va­ge ent­ge­gen­kommt.

Die Mie­ten für ei­ne durch­schnitt­li­che Drei-Zim­mer-Woh­nung lie­gen bei 300 bis 500 Pfund, al­so rund 400 bis 700 Eu­ro – pro Wo­che, wohl­ge­merkt.

Zu den ak­tu­el­len In­ves­to­ren, die ihr Geld höchst lu­kra­tiv ver­be­to­nie­ren, ge­hö­ren Oak­may­ne, De­lan­cey, APG und Ma­ce & Es­sen­ti­al Li­ving. Ein paar Wohn­tür­me mit 30 bis 40 Stock­wer­ken und frei­fi­nan­zier­te Woh­nun­gen um 8000 Pfund (rund 11.300 Eu­ro) auf­wärts sind eben­falls da­bei. Den Lö­we­nan­teil je­doch trägt das aus­tra­li­sche Bau­un­ter­neh­men Lend Lea­se. Auf ei­ner Flä­che von knapp zehn Hek­tar, wo frü­her die Hey­ga­te and Rod­ney Es­ta­tes stan­den, sol­len bis 2025 rund 2500 Woh­nun­gen in un­ter­schied­li­chen Preis­klas­sen ent­ste­hen. Das Fi­lets­tück von Lend Lea­se ist der 37-stö­cki­ge „One Ele­phant“ mit 284 Woh­nun­gen. Die Ar­bei­ten sind voll im Gan­ge. Die Fer­tigs­tel­lung des Turms ist für 2016 ge­plant.

„Wir le­gen gro­ßen Wert da­rauf, dass hier ein neu­er, at­trak­ti­ver Stadt­teil mit ei­ner ge­wis­sen so­zia­len Durch­mi­schung ent­steht“, er­klärt Ale­xan­der Do­na­do, Se­ni­or Sa­les Con­sul­tant De­ve­lop­ment, in sei­nem Bü­ro mit Blick auf die um­lie­gen­den Bau­stel­len. Die An­ge­stell­ten, dicht an dicht an ih­ren Schreib­ti­schen ge­drängt, sind um­ge­ben von Ele­fan­ten, grü­nen Blät­tern und al­ler­lei an­de­ren in­spi­rie­ren­den Ele­men­ten. „Aus die­sem Grund wer­den wir un­ter­schied­li­che Ty­po­lo­gien wie ,af­for­da­ble‘, ,in­ter­me­dia­te‘ und ,pri­va­te hou­sing‘ auf dem ge­sam­ten Are­al mit­ein­an­der kom­bi­nie­ren.“ Hin­zu kom­men ei­ne gro­ße Par­kan­la­ge mit so­zia­len und kul­tu­rel­len Ein­rich­tun­gen so­wie knapp 17.000 Qua­drat­me­ter Re­tail­flä­che.

Die Wohn­mie­ten wer­den bei 500 Pfund (rund 700 Eu­ro) pro Wo­che lie­gen, die Kauf­prei­se bei et­wa 1000 Pfund (14.000 Eu­ro) pro Qua­drat­me­ter. Mit Stolz ver­wei­sen Im­mo­bi­lie­nex­per­ten wie An­to­nio Ma­rin-Ba­tal­ler, zu­stän­dig für UK Re­si­den­ti­al In­vest­ments bei der deut­schen Pa­tri­zia Im­mo­bi­lien AG, auf die güns­ti­ge La­ge: „Das ist das ein­zi­ge Vier­tel in­ner­halb der Ver­kehrs­zo­ne 1, in dem sich der Mit­tel­stand noch das Woh­nen leis­ten kann.“

Wunsch und Wirk­lich­keit

Al­lein, nicht al­le sind mit der Ent­wi­cklung von Ele­phant & Cast­le zu­frie­den. „Ich le­be schon seit 20 Jah­ren in Lon­don, und Ele­phant & Cast­le war mit sei­nen La­ger­hal­len, In­dus­trie­bra­chen und sei­nen schä­bi­gen Wohn­bau­ten so et­was wie das so­zia­le Ab­stell­gleis im Her­zen der Stadt“, er­zählt Se­bas­ti­an De­an. Er be­treibt die Long­wa­ve Bar, ei­nen mit Holz­bret­tern be­hübsch­ten Bau­con­tai­ner am Ran­de des Bau­stel­len­are­als. Sein Miet­ver­trag läuft in vier Jah­ren aus. „Das war zwar ei­ner­seits pro­ble­ma­tisch, an­de­rer­seits aber auch ei­ne Art Hin­ter­tür für je­ne, die zwar zen­tral le­ben woll­ten, sich aber hoch­prei­si­ge Woh­nun­gen nicht leis­ten konn­ten. Das ist jetzt vor­bei.“

Die Woh­nun­gen, die am Markt an­ge­bo­ten wer­den, wür­den im­mer teu­rer, die Ge­schäf­te im­mer ex­klu­si­ver, die Res­tau­rants im­mer hoch­prei­si­ger, kri­ti­siert De­an, Lo­cken, Bart und Tat­toos am Kör­per. „Für Rand­grup­pen, für un­te­re Ein­kom­mens­schich­ten, für Leu­te wie dich und mich wird Ele­phant & Cast­le in ei­ni­gen Jah­ren tot sein. Ich wer­de weg­zie­hen müs­sen. Das war’s dann.“ Es spre­che nichts ge­gen wirt­schaft­li­che Ent­wi­cklung, so De­an. „Aber hier geht die Gen­tri­fi­zie­rung dann doch ein biss­chen schnell.“

In acht bis zehn Jah­ren wer­den die­se Sor­gen ver­ges­sen sein. Glaubt man den Ren­de­rings, wer­den glü­ckli­che Men­schen Arm in Arm durch die Stadt spa­zie­ren, Kin­der­wa­gen vor sich her­schie­ben und ge­nüss­lich Lat­te Mac­chia­to schlür­fen. Dass die ar­chi­tek­to­ni­sche Qua­li­tät des neu­en Wohng­het­tos zu wün­schen üb­rig lässt, dass die an­ge­peil­te so­zia­le Durch­mi­schung nach heu­ti­ger Ein­schät­zung mehr Wunsch als Wirk­lich­keit zu sein scheint und dass das ge­sam­te Are­al trotz sei­ner Grö­ße oh­ne Mas­ter­plan und Wett­be­werb ab­ge­wi­ckelt wer­den konn­te, wird dann nie­man­den mehr küm­mern.

„Echt? In Ös­ter­reich braucht man Stu­di­en und Wett­be­wer­be, muss die Pro­jek­te von Bei­rä­ten ab­seg­nen las­sen und städ­te­bau­li­che Ver­trä­ge mit der Stadt ein­ge­hen?“, fragt ein Ken­ner der Lon­do­ner Im­mo­bi­lien­bran­che, der nicht ge­nannt wer­den möch­te, er­staunt. „Aber das ist ziem­lich kom­pli­ziert für In­ves­to­ren, oder?“

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