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Extravagante Interieurs
Neue Zürcher Zeitung

Der italienisch-schweizerische Designer Riccardo Blumer

Der Architekt Riccardo Blumer ist in der Schweiz vor allem durch seinen Stuhl «Laleggera» bekannt geworden, für den er 1997 den Design-Preis Schweiz bekam. Der Schweizer, der in Italien lebt, ist aber auch ein Spezialist für ungewöhnliche Interieurs.

5. März 1999 - Irene Meier
Sein Ziel sei, Innenräume von all dem zu befreien, was den Fluss des Tageslichtes behindere, erklärt Riccardo Blumer. Er findet dafür so ungewöhnliche Lösungen wie das elipsenförmige Badezimmer mit Wänden aus ineinandergestellten U-Glas-Teilen, die er bis dreiviertel der Höhe mit zerkleinertem Rezyklierglas füllt. So behält das Bad, das im Zentrum der Wohnung steht, Sichtschutz, lässt das Licht jedoch durch den Raum strömen. Seine Vorliebe für den Werkstoff Glas kommt auch in der Umstrukturierung des Atriums eines Kulturzentrums in Bergamo zum Tragen. Halbkreisförmige, satinierte Glasteile hat er zur wellenartig geschwungenen Wand zusammengesetzt, die nun den Saal zweiteilt, ohne den Lichtfluss zu unterbrechen. Ihre Basis besteht aus einem Holzsockel, und die im Deckenabschluss eingelassenen Leuchten verleihen ihr einen szenographischen Effekt. Geschwungene Linien geben auch einem Haus bei Como, das Blumer umgebaut hat, ein extravagantes Flair. Eine ellipsenförmige Treppe windet sich von der doppelgeschossigen Eingangshalle ins Obergeschoss mit den Wohnräumen. Die übereinandergesetzten Fenster des Eingangsbereichs hat der Architekt an der Aussenwand mit diagonal gesetzten wellenförmigen Sonnensegeln verkleidet, die die Halle in ein stets wechselndes Licht tauchen.

Die erste eigenständige architektonische Arbeit des 1959 geborenen Blumer, der am Polytechnikum in Mailand Architektur studiert hat und, nach längerer Tätigkeit bei Mario Botta, seit 1989 ein eigenes Studio in Morosolo bei Varese hat, sind zwei Bürotürme im östlich von Mailand gelegenen Industriequartier. Die unattraktive Lage an zwei sich kreuzenden Autobahnen brachte Blumer auf die Idee, die zeichenhaften Bauten vor allem durch Oberlichtöffnungen mit Tageslicht zu versehen. Die prägnanten quadratischen Elemente, die sich aussen schräg aufwärts vom runden Gebäude abheben, geben diesem ein ungewöhnliches und auffallendes Aussehen. Dieses hat jedoch nicht Selbstzweck, sondern ist von Blumers Devise des Tageslicht-Flusses im Innenraum bedingt. Nicht die reine Form, sondern die Funktionalität sei ihm in Architektur und Design oberstes Anliegen, betont Blumer. Nie dürfe die äussere Form eine Eigendynamik entwickeln.

Die Freude am Experiment - mit der Form wie mit dem Material - gibt seinen Werken, Möbeln wie Interieurs, etwas Spielerisches. Für das luxuriöse Appartement einer alten Dame hat er Glas mit unregelmässiger Oberfläche mit einer Spiegelfolie hinterlegt und damit die Wände des Badezimmers ausgekleidet. Dem Bett hat er ein muschelförmiges Kopfteil gegeben. Und der geräumige Wandschrank besitzt eine handorgelartig gefaltete Front, in der sich Spiegelglas mit satiniertem Glas abwechselt. Die theatralische Wirkung wäre des Boudoirs eines Hollywood-Stars aus der Stummfilmzeit würdig! Auch der berühmte, für Alias kreierte Stuhl «Laleggera», für den Blumer neben dem Design-Preis Schweiz 1998 in Italien auch den «Oscar» der Designpreise, den «Compasso d'oro», bekommen hat, geht auf seine Freude am Materialexperiment zurück. Nur gerade 3,390 kg wiegt der stapelbare Stuhl dank einer Konstruktion, wie sie ähnlich im Segelflugzeugbau eingesetzt wird. In das aus einem Stück bestehende Gestell aus Holz wird eine Einlage aus Polyurethan eingelassen. Der Stuhl ist längst ein Grosserfolg und bewährt sich auch in öffentlichen Gebäuden - etwa dem Versammlungssaal von Bottas Synagoge in Tel Aviv.

Auch Blumers Lampe «Helios» für Lumina basiert auf einem «zweckentfremdeten» Einsatz eines Materials: Der hinterleuchtete Kranz aus der Bürste eines Kaminfegers gibt die Strahlen ab. Wie der Untertitel «Intersezioni» des jetzt erschienenen Buches zeigt, interessiert Blumer die Beziehung zwischen Architektur und Design, wie sie in Umstrukturierungen von Wohnungen und Wohnhäusern zum Tragen kommt, ganz besonders. Seine Umbauten zeichnen sich nicht nur durch die Neudefinition der Räume aus, sondern weit mehr durch prägnante Einbauten - Treppen, Regale, Schränke usw. In solchen Objekten kann sich Blumers spielerischer und experimenteller Umgang mit Form und Material am besten entfalten. - Das neue Buch, das sechs Umbauten aus den Jahren 1994 bis 1998 zeigt, wurde Mitte Februar im Centro Culturale Svizzero in Mailand vorgestellt. Gleichzeitig war in einer leider nur eine Woche dauernden Ausstellung ein Querschnitt durch Riccardo Blumers vielfältiges Schaffen zu sehen.

[Riccardo Blumer. Intersezioni. Hrsg. Gabriele Cappellato. Skira editore, Mailand 1999. 64 S., 58 Abb., Lit. 38 000.]

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