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„Ein­bruch ist ein ar­chi­tek­to­ni­sches Ver­bre­chen“
Der Standard

Wie be­nut­zen Ein­bre­cher die Stadt? Wel­ches räum­li­che Vor­stel­lungs­ver­mö­gen braucht man als Meis­ter­dieb? Der Au­tor und Ar­chi­tek­turt­heo­re­ti­ker Geoff Ma­naugh hat für sein Buch „The Burg­lar’s Gui­de to the Ci­ty“ die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Ver­bre­chen und Stadt­raum un­ter­sucht.

19. März 2016 - Maik Novotny
Geor­ge Cloo­ney, der als Meis­ter­dieb in Oce­an’s Ele­ven ein Mo­dell des Rau­mes baut, in dem die zu er­beu­ten­den Ka­si­no­mil­lio­nen lie­gen. Sher­lock Hol­mes, der neb­li­ge Gas­sen und das Them­se-Ufer ent­lang­eilt und uns so ein ak­ku­ra­tes Bild des vik­to­ria­ni­schen Lon­don ver­mit­telt. Die im­mer wie­der schei­tern­den Pan­zer­kna­cker, die in ih­rem un­still­ba­ren Drang, Da­go­bert Ducks Geld­spei­cher zu kna­cken, zu in­ge­ni­eur­tech­ni­schen Höch­stleis­tun­gen ge­trie­ben wer­den: Das Hand­werk der Ein­bre­cher ist ein eng mit Ar­chi­tek­tur und Stadt ver­wo­be­nes.

Der Ame­ri­ka­ner Geoff Ma­naugh, Ar­chi­tek­turt­heo­re­ti­ker, Au­tor und seit 2004 Be­trei­ber des re­nom­mier­ten Blogs BLDGBLOG, hat sich für sein neus­tes Buch The Burg­lar’s Gui­de to the Ci­ty mit ge­nau die­sen ar­chi­tek­to­ni­schen Aspek­ten der Kri­mi­na­li­tät be­schäf­tigt. Dem STAN­DARD er­klär­te er, wie Ein­bre­cher räum­li­ches Wis­sen für ih­re Zwe­cke be­nut­zen, wel­che Städ­te am be­sten für Tun­nels ge­eig­net sind und was Ar­chi­tek­ten da­von ler­nen kön­nen.

Stan­dard: Wie kommt man auf die Idee, ein Buch über die Ar­chi­tek­tur aus Sicht von Ein­bre­chern zu schrei­ben?

Ma­naugh: Ich ha­be mich schon im­mer für Ar­chi­tek­tur au­ßer­halb der Ar­chi­tek­tur in­te­res­siert. Das The­ma Kri­mi­na­li­tät ist be­son­ders fas­zi­nie­rend, weil es zeigt, wie Ge­bäu­de an­ders be­nutzt wer­den. Ein­bre­cher sind ja im Grun­de Ar­chi­tek­turt­heo­re­ti­ker. Sie den­ken da­rü­ber nach, wie man ein Haus be­tre­ten kann, in­dem man nicht die Tür be­nutzt, son­dern durch Wän­de, Fens­ter oder von un­ten kommt. Ein­bruch ist im­mer ein ar­chi­tek­to­ni­sches Ver­bre­chen.

Stan­dard: Sie ha­ben Exein­bre­cher in­ter­viewt und wa­ren mit Po­li­zis­ten un­ter­wegs. Wie ge­hen die­se mit Ar­chi­tek­tur um? Rea­gie­ren sie auf­ein­an­der?

Ma­naugh: Ja, es ist ein klas­si­sches Katz-und-Maus-Spiel. Die Po­li­zei kennt die Diebs­tahl­tech­ni­ken; die Ein­bre­cher wie­der­um sind ei­nen Schritt wei­ter und wis­sen, was zu tun ist, wenn sich ein Po­li­zei­hub­schrau­ber nä­hert: Sie ver­ste­cken sich in Müll­ton­nen. Von dort aus boh­ren sie dann Lö­cher in die Haus­wand. Ich bin in Los An­ge­les in ei­nem die­ser Hub­schrau­ber mit­ge­flo­gen und mir wur­de klar, wie die Po­li­zis­ten die Stadt se­hen: Sie ken­nen die Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Stadt­vier­teln und die be­vor­zug­ten Fluch­trou­ten. Sie wis­sen, wo die Schwach­stel­len von Ge­bäu­den sind und er­mah­nen die Haus­be­sit­zer, ihr Dach zu re­pa­rie­ren oder den Hin­ter­hof frei­zu­räu­men. In Groß­bri­tan­nien wie­der­um ist die Po­li­zei selbst ar­chi­tek­to­nisch ak­tiv und er­rich­tet seit 2007 so­ge­nann­te „cap­tu­re hou­ses“, kom­plett ein­ge­rich­te­te Woh­nun­gen, die als Fal­len für Ein­bre­cher die­nen.

Stan­dard: Sie ha­ben Bei­spie­le aus 2000 Jah­ren ge­sam­melt: Was sind die frü­hes­ten Bei­spie­le der Ein­bruch­sar­chi­tek­tur?

Ma­naugh: Ich ha­be mich mit dem Me­cha­nis­mus von Tür­schlös­sern be­schäf­tigt, von Me­so­po­ta­mien bis zu den elek­tro­ni­schen An­la­gen von heu­te. An der Art und La­ge der Schließ­me­cha­nis­men er­kennt man, wie die Zir­ku­la­ti­on durch das Ge­bäu­de kon­trol­liert wird, wel­che Räu­me im Haus pri­vat sind und ge­schützt wer­den müs­sen. Ein His­to­ri­ker aus Cam­brid­ge er­klär­te mir, dass es in den Rui­nen von Pom­pe­ji tie­fe Ge­wöl­be gibt, de­ren Wän­de Spu­ren von Ein­bruchs­ver­su­chen auf­wei­sen. Im al­ten Rom wa­ren die Die­be vor al­lem wäh­rend der gro­ßen Wa­gen­ren­nen ak­tiv, weil die Bür­ger al­le im Zir­kus wa­ren, was wie­der­um da­zu führ­te, dass spe­zi­a­le Po­li­zei­ein­hei­ten ein­ge­rich­tet wur­den. Das heißt: Das Ver­bre­chen be­ein­flusst die Funk­ti­ons­wei­se ei­ner Stadt.

Stan­dard: Welt­weit wer­den ab­ge­schloss­ene Ga­ted Com­mu­ni­ties er­rich­tet, und auch in Wien gibt es ein Pi­lot­pro­jekt un­ter dem Mot­to „Si­cher woh­nen“. Das The­ma Si­cher­heit ist heu­te ak­tu­el­ler denn je. Sind wir al­le ängst­li­cher ge­wor­den?

Ma­naugh: Na­tür­lich. In den USA ist das The­ma seit dem 11. Sep­tem­ber sehr prä­sent. In New York be­merkt man die­ses Up­gra­de an Si­cher­heits­maß­nah­men über­all. Das In­te­res­san­te ist aber, dass all die­se Maß­nah­men, die von Ar­chi­tek­ten und Po­li­ti­kern ge­plant wer­den, im­mer wie­der ent­ge­gen ih­rem Zweck be­nutzt wer­den – auf ei­ne Art und Wei­se, die nie­mand vor­her­ge­se­hen hat.

Stan­dard: Das heißt, Ein­bre­cher sind im Grun­de krea­ti­ve An­ti­ar­chi­tek­ten?

Ma­naugh: Vie­le von ih­nen. Et­wa der Dieb, der wert­vol­le Bü­cher aus der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Los An­ge­les stahl, in­dem er durch nicht mehr be­nutz­te Trans­port­schäch­te klet­ter­te. Oder der Leh­rer aus Straß­burg, der 2002 auf ei­ner al­ten Kar­te des Klos­ters Mont Sain­te-Odi­le in den Vo­ge­sen ei­nen längst ver­ges­se­nen Ge­heim­gang ent­deck­te, der in die dor­ti­ge Bi­blio­thek mün­de­te. Aber na­tür­lich gibt es auch die dum­men Ein­bre­cher, die in Ka­mi­nen und Lüf­tungs­schäch­ten ste­cken blei­ben und von der Feu­er­wehr be­freit wer­den müs­sen.

Stan­dard: Hat je­de Stadt ihr ei­ge­nes „Mar­ken­pro­fil“, was die Ar­ten des Diebs­tahls be­trifft?

Ma­naugh: Al­ler­dings! Die Spe­zi­al­ität von Los An­ge­les sind so­ge­nann­te „stop and robs“: Vie­le Bank­fi­lia­len lie­gen an Au­to­bahn­aus­fahr­ten, weil die au­to­fah­ren­den Kun­den so schnell et­was ab­he­ben kön­nen, was sie na­tür­lich eben­so at­trak­tiv für Bank­räu­ber macht, weil die­se schnell flüch­ten kön­nen. Auch die Geo­lo­gie kommt ins Spiel: Städ­te mit san­di­gem Un­ter­grund wie Ber­lin sind ide­al für Tun­nel, was in New York, das auf Gra­nit ge­baut ist, un­mög­lich ist. Mia­mi mit sei­nen Lu­xus­wohn­tür­men er­for­dert akro­ba­ti­sche Fä­hig­kei­ten, weil man von Bal­kon zu Bal­kon klet­tern muss, oder so­zia­le Fä­hig­kei­ten, wenn man den Por­tier über­re­det, ei­nen hin­ein­zu­las­sen.

Stan­dard: Was kön­nen Ar­chi­tek­ten da­von ler­nen? Kann man ei­ne si­che­re Stadt, ein si­che­res Ge­bäu­de pla­nen?

Ma­naugh: Man kann na­tür­lich Fens­ter und Tü­ren si­che­rer ma­chen, aber ein ein­bruch­si­che­res Haus gibt es nicht. Man könn­te aber auch ler­nen, dass al­le Men­schen Räu­me ger­ne fle­xi­bel be­nut­zen und mit ih­rer Um­ge­bung spie­le­risch in­ter­agie­ren wol­len. Ar­chi­tek­ten könn­ten sich fle­xi­ble­re Ar­ten aus­den­ken, wie man von ei­nem Raum in den an­de­ren kommt.

Stan­dard: „Heist Mo­vies“ sind ein klas­si­scher Hol­ly­wood-To­pos, und als Zu­schau­er sym­pa­thi­siert man nicht sel­ten mit den Die­ben. Wa­rum fas­zi­niert uns das The­ma so sehr?

Ma­naugh: Viel­leicht weil es ei­ne an­de­re Art be­schreibt, wie man mit Ar­chi­tek­tur um­ge­hen kann. Die­be zei­gen uns un­ge­ahn­te Ab­kür­zun­gen durch Räu­me – wie in ei­nem Com­pu­ter­spiel, in dem uns je­mand ei­nen ge­hei­men Trick ver­rät, wie man ins näch­ste Le­vel kommt. Das hat et­was Ma­gi­sches, bei­na­he wie Scien­ce-Fic­ti­on.

Stan­dard: Sie ha­ben meh­re­re Jah­re für das Buch re­cher­chiert. Se­hen Sie Städ­te jetzt mit an­de­ren Au­gen? Stel­len Sie sich manch­mal vor, Sie wä­ren Ein­bre­cher?

Ma­naugh: Ich glau­be nicht, dass ich auf die schie­fe Bahn ge­ra­ten wer­de! Aber mir fal­len jetzt öf­ter klei­ne De­tails auf, die zei­gen, wo Ge­bäu­de Schwach­stel­len ha­ben. Und die hat je­des Ge­bäu­de, au­ßer man be­fin­det sich auf ei­ner Mi­li­tär­ba­sis oder in ei­nem Ge­fäng­nis. Wir ent­wer­fen Ar­chi­tek­tur in dem Wis­sen, dass wir un­se­ren Nach­barn in ge­wis­sem Maß ver­trau­en kön­nen. Un­se­re so­zia­len Kon­ven­tio­nen sind al­so an den Häus­ern ab­les­bar.

Stan­dard: Be­fürch­ten Sie, dass das Buch Ih­re Le­ser zu ei­ner kri­mi­nel­len Kar­rie­re ver­führt?

Ma­naugh (lacht): Viel­leicht schon! Aber mir wür­de es ge­nü­gen, wenn es sie da­zu bringt, mehr über die Städ­te nach­zu­den­ken, in de­nen sie le­ben.
[ Geoff Ma­naugh lebt in New York, ist Au­tor meh­re­rer Bü­cher über Ar­chi­tek­tur, Land­schaft und Tech­no­lo­gie und be­treibt seit 2004 den Blog BLDGBLOG. ]

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