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Paläste für Sonnenhungrige aus dem Norden
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung zur Hotelarchitektur in Lugano

8. März 1999 - Roman Hollenstein
Die Italiensehnsucht der West- und Mitteleuropäer manifestierte sich früh schon im «Grand Tour». Die Kunstschätze von Antike, Renaissance und Barock standen zunächst im Mittelpunkt. Doch bald schon richtete sich das Augenmerk auch auf die Natur: Kaum hatte man sich am Parthenopäischen Golf und am Vesuv satt gesehen, da entdeckte man an den oberitalienischen Seen das einmalige Zusammenspiel von südlicher Szenerie und Hochgebirge. Rousseau stellte sich seine Julie zunächst am Verbano vor, und Jean Paul pries das niegesehene Land.

Keiner aber zeigte sich so berauscht wie Stendhal, der - ein Jahrzehnt nachdem Napoleon sich auf der Isola Bella aufgehalten hatte - die Ufer der Seen als Inbegriff des Schönen feierte. Zu Gast war er auf Landsitzen, denn komfortable Unterkünfte wie die 1873 zum Palasthotel umgebaute Villa d'Este in Cernobbio gab es im frühen 19. Jahrhundert noch nicht. Das erste noble Haus an den Seen war das 1851-55 vom Mailänder Architekten Luigi Clerichetti für den Unternehmer Giacomo Ciani in klassizistischem Stil errichtete Albergo del Parco in Lugano, das im Fin de siècle zum Grand Hôtel Palace erweitert wurde und heute als Ruine vor sich hin dämmert (NZZ 7. 3. 98). Ausgerechnet dieses geschundene und extrem gefährdete Meisterwerk bildet den Auftakt zu einer kleinen, von einem attraktiven Katalog begleiteten Ausstellung zur Hotelarchitektur Luganos in der Villa Saroli, dem historischen Museum der Stadt.

Neben alten Bauplänen, die die Hotelarchitektur hauptsächlich als Fassadenproblem und Organisationsaufgabe ausweisen, sind vor allem Postkarten und Gemälde, aber auch Geschirr und Mobiliar zu sehen. Sie evozieren die architektur- und wirtschaftsgeschichtlich bedeutende Hotelkultur der Stadt von den Anfängen bis hin zur grossen Tourismuskrise am Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Beschränkung auf Lugano und seine Vororte von Paradiso bis Castagnola macht durchaus Sinn, denn kaum ein anderer Ort der Schweiz kann mit einer derart vielfältigen Typologie des Hotelbaus aufwarten wie die «Perle des Ceresio» - einst der glanzvollste Ferienort des oberitalienischen Seengebiets.

Entstand das «Palace» aus dem 1848 aufgelösten Minoritenkloster, dessen Renaissancekreuzgang noch heute das Herzstück der Ruine bildet, so resultierten andere Hotels aus dem Umbau alter Villen und Gasthöfe oder wurden völlig neu konzipiert. Parkresidenzen und Stadthäuser, See- und Aussichtshotels, kleine Pensionen und mondäne Paläste finden sich auf kleinstem Raum. Das «International», das «Splendide», das «Victoria», die «Villa Castagnola» oder das «Walter» pflegen noch heute ihre Tradition, andere wie etwa das «Europa» wurden in den sechziger Jahren stark verändert. In Apartmenthäuser umgewandelt wurden beispielsweise «Adler», «Bristol» oder «Croce Bianca», während «Beaurivage», «Bellevue» und «Eden» - um nur einige grosse Hotels zu nennen - der Spitzhacke zum Opfer fielen.

Gewiss, nicht alle diese Bauten waren erhaltenswert, und wohl kaum jemand wird heute noch dem alten «Eden» oder «Du Lac» eine Träne nachweinen. Doch mit der Zerstörung des durch seine pompöse Fassadenarchitektur beeindruckenden «Du Parc», dessen gründerzeitliche Pracht jeder Metropole zur Ehre gereicht hätte, wurde deutlich, wohin mangelnder Geschichtssinn und Profitgier in den Jahren der Hochkonjunktur führten. Seither hat sich das Bewusstsein gewandelt, und die opulenten Bauten des späten 19. Jahrhunderts werden längst als Teil des Patrimoniums anerkannt. Dies belegt in der Ausstellung vor allem der Katalog, der nahezu 100 alte Hotels minuziös dokumentiert. Damit allein ist es allerdings nicht getan. Entscheidend ist nun, dass auch am Ceresio die aus der goldenen Zeit des Tourismus noch erhaltenen Baudenkmäler so wie anderswo gehegt und gepflegt werden. Zunächst einmal betrifft dies das «Palace», das nach dem Willen kurzsichtiger Politiker einem Kasino-Neubau weichen soll. Obwohl zumindest die Fassaden und der Kreuzgang sakrosankt sein müssten, fordert allen voran die Lega tabula rasa. Wohin das führen kann, zeigt das neue, just von dieser Partei mitgetragene Kasino von Mendrisio. Dass dieses mit einer falschen Säulenfassade einen Hauch Las Vegas an die Autobahn zaubern will, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie.

[Die Ausstellung in der Villa Saroli ist bis zum 2. April jeden Nachmittag ausser sonntags und montags offen. Katalog (ital.): Lugano Hôtels, Alberghi, Storia, Architettura. Hrsg. Antonio Gili. Edizioni Città di Lugano, 1998. S. 347, Fr. 35.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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