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Architektur des Neubeginns
Neue Zürcher Zeitung

Baukunst und Urbanistik der fünfziger Jahre in Mannheim

4. März 1999 - Mathias Remmele
Für die Baugeschichte Mannheims spielen die fünfziger Jahre eine kaum zu unterschätzende Rolle. Denn nach den verheerenden Zerstörungen des Weltkrieges erhielt die nordbadische Industriemetropole in jener Wiederaufbauzeit – wie andere deutsche Grossstädte auch – ein neues Gepräge, das ihr Erscheinungsbild bis heute nachhaltig bestimmt. Eine Veranstaltungsreihe zur Kunst und Kultur der fünfziger Jahre im Rhein- Neckar-Dreieck bietet nun die Gelegenheit, Architektur und Städtebau dieser Zeit in einer Ausstellung zu thematisieren. Die Ausstellungshalle der Mannheimer Handwerkskammer, eines qualitätvollen Beispiels der Nachkriegsarchitektur, ist ein passender Ort für die von Andreas Schenk und Sandra Wagner im Auftrag des Stadtarchivs Mannheim und des Mannheimer Architektur- und Bauarchivs zusammengestellte Schau. Sie dokumentiert mit Hilfe von Zeichnungen, Photographien und Modellen das Baugeschehen des Jahrzehnts in all seinen Facetten und beweist einmal mehr, dass die lange Zeit verbreitete Geringschätzung der Epoche einer differenzierteren Betrachtungsweise Platz gemacht hat.

Von gravierenden Eingriffen in die überkommene Stadtstruktur, wie sie während der Nachkriegszeit vor allem unter verkehrsplanerischen Gesichtspunkten in vielen deutschen Städten vorgenommen wurden, blieb Mannheim trotz der weitgehenden Zerstörung seiner Innenstadt verschont. Die rationalistische, aus der Barockzeit stammende Stadtanlage mit ihrem charakteristischen schachbrettartigen Strassenraster liess sich mit den urbanistischen Idealen der Zeit vereinbaren. Die kleinteilige Parzellierung der als «Quadrate» benannten innerstädtischen Baublöcke freilich gab man zugunsten von einheitlich gestalteten Grossformen auf.

Zu den dringendsten Bauaufgaben der Epoche zählte zweifellos der Wohnungsbau. Während hier die Linderung der Wohnungsnot im Vordergrund stand und gestalterischen Aspekten meist eine untergeordnete Bedeutung zukam, zeigt sich die vielgerühmte Eleganz der Fünfziger-Jahre- Architektur an einigen Geschäfts- und Verwaltungsbauten. Die von Gustav Geyer erbauten ÖVA-Passagen etwa legen davon noch heute Zeugnis ab, während das von Hans Soll entworfene, von einem Flugdach bekrönte Hansa-Kaufhaus leider bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde. Künstlerisch ambitionierten Architekten bot in der Wiederaufbauphase vor allem der Sakralbau ein Betätigungsfeld. Zwei Schüler Egon Eiermanns, die auch in der Folgezeit die jüngere Mannheimer Baugeschichte entscheidend mitprägten, setzten in diesem Bereich neue Massstäbe: Carlfried Mutschlers Pfingstbergkirche und Helmut Striffler Trinitatiskirche fanden zu Recht auch überregionale Beachtung.

Gar internationales Aufsehen hätte Mannheim mit der prestigeträchtigsten Bauaufgabe, die es in den Jahren nach dem Weltkrieg zu vergeben hatte, erregen können. Kein geringerer als Ludwig Mies van der Rohe beteiligte sich 1952 an dem Wettbewerb für den Neubau des traditionsreichen Nationaltheaters. Sein Entwurf, eine ebenso elegante wie gewagte Glas-Stahl-Konstruktion, würde heute zweifellos zu den Ikonen der Moderne zählen und der Stadt am Zusammenfluss von Rhein und Neckar Scharen von Architekturtouristen bescheren. Doch den Stadtvätern fehlte es damals an Mut, und der Auftrag ging an den vergleichsweise unbekannten Architekten Gerhard Weber aus Frankfurt. Sein Theater vermag seither weder die Mannheimer noch ihre Gäste so recht zu begeistern. (Bis 13. März)

[Andreas Schenk, Sandra Wagner: Eine neue Stadt muss her! Architektur und Städtebau der fünfziger Jahre in Mannheim. Lukas-Verlag, Berlin 1999. 120 S., DM 25.]

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