Artikel

Ball­kul­tur und Bau­kul­tur
Der Standard

Ra­pid Wien be­kommt ein neu­es Sta­di­on. Der Ar­chi­tekt ist hier­zu­lan­de bis­her un­be­kannt, ei­nen Wett­be­werb gab es nicht. Die Wie­ner Ar­chi­tek­ten fürch­ten um die Qua­li­tät, der Sta­dio­ner­bau­er ver­tei­digt sich.

17. Juli 2016 - Maik Novotny
Jetzt wird schon wie­der was an­ge­pfif­fen! Nicht ein­mal ei­ne Wo­che Er­ho­lung blieb dem Fuß­ball­fan nach die­ser kau­gum­mi­zä­hen EM, die so lang dau­er­te, dass sie über­haupt nie­mals mehr auf­zu­hö­ren schien. Doch nach dem Spiel, das wuss­te schon Trai­ner­le­gen­de Sepp Her­ber­ger, ist eben vor dem Spiel, und heu­te, Sams­tag, geht die wich­tigs­te Haupt­sa­che der Welt in die näch­ste Run­de. Wenn die Spie­ler von Ra­pid Wien ge­gen den FC Chel­sea mit des­sen frisch ein­ge­kauf­tem ita­lie­ni­schem Rum­pel­stilz­chen-Trai­ner­ge­nie An­to­nio Con­te an­tre­ten, tun sie es im Na­men der Ar­chi­tek­tur: zur Er­öff­nung des neu­en Sta­di­ons in Wien-Hüt­tel­dorf.

Of­fi­ziell All­ianz-Sta­di­on ge­tauft, ist die Na­mens­ge­bung bit­te­rern­ste Glau­bens­sa­che. Für die ei­nen wird es im­mer St. Ha­nap­pi blei­ben, für die spon­so­rens­kep­ti­sche Fan­ab­tei­lung pro­pa­giert das „West­sta­di­on“, der Streit um die Na­mens­ho­heit wird auf al­len ver­füg­ba­ren Wän­den um das Sta­di­on gra­fit­ti­in­ten­siv aus­ge­foch­ten. Für die All­ianz ist es schon das sech­ste Sta­di­on­brand­ing, das be­kann­tes­te da­run­ter zwei­fel­los die Are­na in Mün­chen, ent­wor­fen von den Schwei­zer Ar­chi­tek­turs­tars Her­zog und de Meu­ron.

Ernst­haft dis­ku­tiert wur­de ei­ne bau­li­che Ver­än­de­rung des 1978 er­rich­te­ten Ha­nap­pi-Sta­di­ons erst­mals 2012, da­mals noch mit der Op­ti­on ei­nes Um­baus. An­fang 2014 star­te­te der neue Prä­si­dent Mi­cha­el Kram­mer das Bie­ter­ver­fah­ren für ei­nen Neu­bau, als Sie­ger ging die Stra­bag ge­mein­sam mit dem deut­schen Ar­chi­tek­ten Gui­do Pfaff­hau­sen her­vor. Von den 53 Mil­lio­nen Eu­ro Bau­kos­ten steu­ert die Stadt Wien et­was we­ni­ger als die Hälf­te bei. 28.600 Plät­ze (bei in­ter­na­tio­na­len Spie­len 24.000), Event­lo­gen, VIP-Be­reich und Fans­hop wa­ren un­ter­zu­brin­gen.

Ba­lan­ce mit Brat­wurst

Der Ba­lan­ce­akt zwi­schen Lach­shäpp­chen und Brat­wurst, zwi­schen zah­lungs­kräf­ti­gen VIP-Gäs­ten und ein­ge­schwo­re­nen Fans, zwi­schen Sitz­platz und Steh­platz ist dem zwei­ge­teil­ten Sta­dion­ent­wurf an­zu­se­hen, der in das eng be­mess­ene Grund­stück ein­ge­passt wur­de: die um 90 Grad zum Vor­gän­ger­bau ge­dreh­te Are­na selbst, in stan­des­ge­mä­ßes Grün ein­ge­hüllt, für den bo­den­stän­di­gen Zu­gang, da­ne­ben nimmt ei­ne hin­ter die west­li­che Tri­bü­ne ge­klemm­te, et­was schwer­ge­wich­ti­ge Röh­re, de­ren Stirn­sei­te voll­flä­chig mit dem Ver­eins­wap­pen aus­ge­füllt ist, die Lo­gen­plät­ze auf.

Nicht al­le wa­ren mit den Plä­nen zu­frie­den, und der Dis­sens be­schränk­te sich nicht auf Bal­les­te­rer­krei­se. Schon beim Bie­ter­ver­fah­ren pro­tes­tier­te die Ar­chi­tek­ten­kam­mer, dass für ei­ne so wich­ti­ge Bau­auf­ga­be kein of­fe­ner Wett­be­werb aus­ge­schrie­ben wur­de. Heu­te, da das Sta­di­on nach rund 20 Mo­na­ten Bau­zeit er­öff­net wird, hat sich da­ran nichts ge­än­dert, wie Bern­hard Som­mer, Vi­ze­prä­si­dent der Kam­mer der Ar­chi­tek­ten und In­ge­ni­eu­re für Wien, Nie­de­rös­ter­reich und Bur­gen­land, auf An­fra­ge des STAN­DARD er­klärt: „Es ist trau­rig und ver­wun­der­lich, dass ei­ne Bau­auf­ga­be, die in an­de­ren Län­dern als er­stran­gi­ge bau­kul­tu­rel­le Auf­ga­be ge­se­hen wird, oh­ne of­fe­nen Wett­be­werb ver­ge­ben wur­de. Vor al­lem, wenn man be­denkt, wel­ches Po­ten­zi­al in die­ser Bau­auf­ga­be steckt.“

Ver­ga­be­recht­lich sei die Vor­gangs­wei­se oh­ne­hin nur denk­bar ge­we­sen, weil der Er­rich­ter mei­ne, pri­vat zu sein, ob­wohl öf­fent­li­che Gel­der im Spiel sei­en. Die recht­li­che Fra­ge sei je­doch zwei­tran­gig, so Som­mer: „Es gibt fast kei­ne öf­fent­li­che­re Bau­auf­ga­be als ein Sta­di­on; und ein sol­ches un­ter Aus­schluss der Pla­ner-Öf­fent­lich­keit zu ent­wi­ckeln, zeugt von ei­nem un­glau­bli­chen Aus­maß an Ig­no­ranz und feh­len­dem Sen­dungs- und Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein der Ver­ant­wort­li­chen.“ Ei­ne Kri­tik, die auch den Stadt­ri­va­len Aus­tria mit ein­be­zieht, denn auch für die bis 2018 lau­fen­de Sa­nie­rung der Ge­ne­ra­li-Are­na gab es kei­nen Ar­chi­tek­tur­wett­be­werb.

In die glei­che Ker­be schlägt Ro­bert Te­mel, Spre­cher der Platt­form für Bau­kul­tur­po­li­tik: „Wäh­rend je­de an­de­re be­deu­ten­de Stadt die Chan­ce ei­nes Sta­di­on­baus da­zu nüt­zen wür­de, ei­ne ar­chi­tek­to­ni­sche Land­mark zu er­hal­ten und ei­nen po­si­ti­ven Bei­trag für das städ­ti­sche Um­feld zu leis­ten, ist es in Wien schlicht wurscht, wie das aus­schaut. Das Pro­blem ist nicht, dass ge­gen Ge­set­ze ver­sto­ßen wor­den wä­re, son­dern dass Ba­sis der Ent­schei­dung Kul­tur­lo­sig­keit war. Beim ge­för­der­ten Wohn­bau ach­tet die Stadt bei je­dem noch so klei­nen Haus streng auf Qua­li­täts­kri­te­rien – und das ist auch gut so. Aber ge­ra­de bei ei­nem Sta­di­on­bau, der die um­ge­ben­de Stadt mas­siv be­stimmt, ist Qua­li­tät of­fen­sicht­lich egal.“

Nun könn­te man sich als Laie fra­gen: Was hat die Bau­kul­tur in ei­nem Sta­di­on zu su­chen? Geht es nicht vor al­lem um die Fo­kus­sie­rung auf das Spiel, um At­mo­sphä­re und Stim­mung? Und ste­hen an­de­re Län­der wirk­lich bes­ser da? Ei­ne kur­ze Sport­schau durch die letz­ten Jah­re: in der Cham­pi­ons Lea­gue mul­ti­funk­tio­na­le Me­gaa­re­nen wie das 2007 er­rich­te­te neue Wem­bley-Sta­di­on von Nor­man Fos­ter ge­mein­sam mit den glo­ba­len Sta­dien­bau­ern vom Bü­ro Po­pu­lous, die auch das Emi­ra­tes Sta­di­um des FC Ar­se­nal ver­ant­wort­eten.

Ele­gant sind die­se auf­ge­pump­ten Fuß­ball­ver­wer­tungs­ma­schi­nen sel­ten, ih­re bau­li­che Qua­li­tät liegt eher in der kons­truk­ti­ven Fle­xi­bi­li­tät. Ih­nen ste­hen die rei­nen Fuß­ball­sta­dien ge­gen­über, da­run­ter ar­chi­tek­to­ni­sche Glanz­stü­cke wie je­nes, das Pritz­ker­preis­trä­ger Edu­ar­do Sou­to de Mou­ra für die EM 2004 in Por­tu­gal in den roh be­haue­nen Fels von Bra­ga setz­te. Ein Ni­veau, das sonst sel­ten er­reicht wur­de. Es do­mi­nie­ren sach­li­che Funk­ti­ons­bau­ten in deut­schen Mit­tel­städ­ten wie Mainz, Aa­chen und Augs­burg, de­ren Ver­ei­ne nicht in bay­ern­mün­chen­haf­tem Reich­tum schwim­men. Dort gilt das Prin­zip „back to ba­sics“: stei­le Tri­bü­nen nah am Spiel­feld, in­sze­nier­te In­ten­si­tät, nach au­ßen leuch­tet es ger­ne in der je­wei­li­gen Ver­eins­far­be. Die Bau­kul­tur wird ge­le­gent­lich als Jo­ker ein­ge­wech­selt. In Grö­ße und Bud­get spielt das neue Wie­ner Sta­di­on in ge­nau die­ser Li­ga, und ar­chi­tek­to­nisch darf man es dort im obe­ren Mit­tel­feld an­sie­deln.

Grü­ner Edel­stein

Für Sta­di­on-Ar­chi­tekt Gui­do Pfaff­hau­sen ist es das er­ste Pro­jekt in Ös­ter­reich, bis­her hat er vor al­lem Mul­ti­funk­ti­ons­hal­len in Deutsch­land rea­li­siert. Im Ge­spräch mit dem Stan­dard rückt er die Ver­hält­nis­se zu­recht: „Die Mün­chner All­ianz-Are­na kos­te­te sie­ben­mal so viel und hat drei­mal so vie­le Plät­ze. Wir ha­ben ver­sucht, mit dem knap­pen Bud­get so viel wie mög­lich zu rea­li­sie­ren.“ In be­schei­de­nem Stolz ver­weist er da­rauf, dass der Ent­wurf ge­nau so ge­baut wur­de wie ge­plant und fast kei­ne Idee dem Rot­stift zum Op­fer fiel.

Er freue sich, so Pfaff­hau­sen, dass sei­ne spon­ta­ne Idee, das Ra­pid-Wap­pen in den Bau zu in­te­grie­ren, über­nom­men wur­de, und dass es ge­lang, das Sta­di­on in das en­ge Kor­sett der Res­trik­tio­nen ei­nes städ­ti­schen Um­felds ein­zu­pas­sen: „Die Hö­he der Fass­ade war mit 20 Me­tern be­grenzt, des­we­gen ha­ben wir die Trä­ger über dem Dach an­geord­net.“ Die et­was sta­che­li­ge Wehr­haf­tig­keit, die da­raus re­sul­tiert, sei durch­aus ge­wollt: „Man darf dem Sta­di­on ru­hig an­se­hen, dass es nicht so leicht ein­zu­neh­men ist.“ We­ni­ger mar­tia­lisch da­für die grü­ne Hül­le aus Ma­kro­lon-Plat­ten, die nachts in die Hüt­tel­dor­fer Um­ge­bung hin­aus leuch­ten wird: „Wie ein grü­ner Edel­stein!“

Spiel­ana­ly­se: ei­ne ver­pass­te Chan­ce auf die Qua­li­fi­ka­ti­on zur ar­chi­tek­to­ni­schen Cham­pi­ons Lea­gue, oder ein an­ge­mess­ener Rah­men für Brot, Brat­wurst und Spie­le? Ganz un­par­tei­isch: Das Geld gibt den Rah­men vor, der Rest ist Ehr­geiz und der Wil­le zum schö­nen Spiel­zug. So­wohl bei der Ball­kul­tur als auch bei der Bau­kul­tur.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: