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Die Schweiz als labyrinthischer Klangkörper
Neue Zürcher Zeitung

Der Auftritt der Schweiz an der Expo 2000 in Hannover

Der Schweizer Architekt Peter Zumthor zeichnet für den Auftritt der Schweiz an der Weltausstellung im Jahr 2000 in Hannover verantwortlich. Der Baumeister inszeniert keine Leistungsschau im herkömmlichen Sinn, sondern zeigt die Schweiz mit ihren Klängen, Worten und ihrer Gastronomie. Die Besucher erwartet ein Labyrinth aus Holzstapeln, in dem sie sich genüsslich verlieren sollen.

15. April 1999 - Roderick Hönig
Wer je an einer Weltausstellung war, weiss, wie überbordend die Länder und internationalen Organisationen um die Aufmerksamkeit der Besucher buhlen. Leuchtschriften, Multimediaspektakel und Spezialitätenrestaurants werben schrill um die Gunst der von Reizen überfluteten und überforderten Besucher. Der Schweizer Auftritt in Hannover soll nach den Plänen Zumthors anders werden: Nicht augenfällig und laut, sondern dezent und geheimnisvoll will sich die Eidgenossenschaft präsentieren. Zumthors sogenannter «Klangkörper Schweiz» soll eine erholsame Antwort auf die Reiz- und Informationsflut einer Weltausstellung werden: In einem Labyrinth aus gestapelten Lärchenholzbalken sollen Schweizer Klänge, Wörter und Gaumenfreuden die Gäste verführen. Der Architekt will mit seinem Bau in erster Linie die Sinne der Besucher ansprechen. Die reine Informationsvermittlung tritt dabei in den Hintergrund.


Labyrinthisches Holzlager

Auf einer Fläche von rund 50 mal 60 Metern plant Zumthor eine verwinkelte Raumstruktur aus gestapelten Holzwänden. Die Strenge der rechtwinkligen Anordnung bricht er durch einen subtilen Trick: Der Architekt stellt alle Holzwände senkrecht auf eine auf zwei Seiten leicht abfallende schiefe Ebene. Keine Nägel halten die Balken zusammen, alle Hölzer liegen, durch kleine Schifthölzer getrennt, lose aufeinander und werden nur durch Stahlseile zusammengehalten. Nach der Expo sollen sie unversehrt abgebaut und wiederverwertet werden. Etwa 100 dieser knapp neun Meter hohen Balkenstapel bilden das unregelmässige rechtwinklige Gassenmuster. Es entsteht eine exakt ausgewogene Horizontal- Vertikalkomposition, die der Bündner Bauingenieur Jürg Conzett berechnet hat. Über 70 schmale Gänge, 3 nach oben offene Höfen und 8 überdachte Innenräume formen das labyrinthische Holzlager. In die verbleibenden Resträume setzt der Architekt 3 Servicecontainer.

In den dreigeschossigen Holzkörpern aus farbigen Mehrschichtplatten sind Infrastrukturräume wie Küche, Toiletten, Buchladen, Informationsbüro, Administration oder VIP-Lounges untergebracht.


Duftende Gassen und klingende Höfe

Was erlebt der Besucher des «Klangkörpers Schweiz»? Wer eine der 1,80 Meter breiten und 6,30 Meter hohen Gassen betritt und sich ins Innere des Pavillons vortastet, landet dank der ausgeklügelten Wegführung zunächst in einem der drei offenen Innenhöfe. Sie wirken als Drehscheibe und sind ein Ort der Orientierung. Hier stellt sich beispielsweise die Frage: Will man seinem Appetit folgen, der sich wegen des verführerischen Dufts aus einer der drei Häppchenbars bemerkbar macht, und ein Glas Weisswein und eine Walliser Randenwurst geniessen? Oder soll man sich von der geheimnisvollen Musik in einen der fünf Klanghöfe locken lassen? Zumthor will, dass sich die Besucher von ihrer Stimmung leiten lassen und sozusagen sinnlich flanierend den Pavillon entdecken. An die Wände projizierte Schriftzüge und Wörter, die gleichzeitig auch Lichtquelle sind, säumen diese Reise der Sinne durch Schweizer Klänge, Wörter und Gastronomie.

Durch den Fokus auf Literatur, Musik und Gastronomie werden grossen Teile der Schweizer Kultur ausgeblendet. Peter Zumthor, der gleichzeitig auch künstlerischer Leiter ist und somit auch für den Inhalt des Pavillons verantwortlich zeichnet, will nicht mit geschriebenen oder audiovisuellen Beiträgen über die Schweiz informieren. Am Ort nicht vorhandene Wirklichkeit soll nicht mit Bildern nachgestellt werden. Alles, was in Hannover ausgestellt wird, ist echt. Die rund 40 Angestellten, die den Pavillon täglich betreuen werden, sollen im persönlichen Gespräch informieren. Vier kleine Ausstellungskataloge zur Architektur, Musik, Gastronomie und zu den Wortcollagen liefern weiterführende Informationen. Wer noch mehr wissen will, der wird ans Auskunftsbüro verwiesen, wo eine umfassende Dokumentation bereit liegt und der Zugriff aufs Internet möglich ist.

Der Schweizer Auftritt in Hannover ist mutig, unkonventionell und dennoch gefahrlos. Denn der Verführer Zumthor verzichtet zugunsten sinnlicher Erlebnisse in einer hochästhetischen Welt aus Holz auf eine umfassende Informationsvermittlung und Leistungsschau, die ohnehin nie allen Ansprüchen gerecht werden kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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