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„Wir reißen uns den Hintern auf und verbluten“
Der Standard

Teil 2 des Architekten-Streitgesprächs zu den Themen Stadtplanung, Vergabe- und Bauherrenkultur, moderiert von Ute Woltron.

10. November 2001 - Ute Woltron
Die heimische Architekturszene kracht. Das ALBUM bat die Architekten András Pálffy, Elsa Prochazka, Heinz Neumann, Kammerpräsident Peter Scheifinger sowie den Leiter der ÖBB-Bahnhofsoffensive, Norbert Steiner, zur Diskussion, um die Gründe dafür auszuloten: Fortsetzung der Diskussion. (Teil 1 ist über http://derStandard.at abrufbar.)

ALBUM: Man hört, dass die Unterschreitung der GOA (Gebührenordnung für Architekten), die sich in den vergangenen Jahren zwischen 7 und 30 Prozent eingependelt hat, mittlerweile bis auf 50 Prozent geht.

Neumann: Selbstverständlich.

Scheifinger: Nochmals: Städtebauliche Wettbewerbe beeinflussen auf das Äußerste die Wirtschaftlichkeit und Prosperität einer Kommune, eines Viertels. Früher haben solche Verfahren noch den Geist geatmet, dass Städtebau nicht etwas ist, was man in den nächsten drei oder fünf Jahren realisiert. Sie haben langfristige Perspektiven einer Stadt aufgezeigt. Da war es klar, dass der Realisierungsanspruch von den Teilnehmern nicht gestellt werden konnte. Die Preisträgerprojekte haben dazu gedient, Ideen zu liefern, und es gab entsprechende Preisgelder.

Prochazka: Die zehnfach so hoch waren wie die heutigen.

Scheifinger: Klar. Es gab Preisgelder von 600.000 Schilling, obwohl der Sieger nicht gebaut hat. Bei Projekt- und Realisierungswettbewerben hingegen ist es infam, wenn hinterher nicht gebaut wird. Da ist Schadenersatz evident. Allerdings sind nicht alle Verfahren dieser Vergabe-Rechtsnorm unterworfen und bevorzugen den Auslober aus der privatwirtschaftlichen Gestion heraus. Wenn der Blöde, Arme, Finanzschwache findet, die da mittun, dann wird er die noch weiter ausbluten lassen, vernichten und in der Folge Mangelprodukte bekommen.

Ein Verfahren steht und fällt mit dem Auslober?

Scheifinger: Solange die Auftraggeber, sowohl privater als auch öffentlicher, das nicht erkannt haben, werden wir weiterhin gequält werden, weil wir Architekten sind, weil wir bauen wollen, weil das unser Beruf ist.

Offenbar war die Situation einmal deutlich besser. Hat ein Niedergang in der Architekturkultur stattgefunden?

Scheifinger: Nicht in der Architektur-, sondern in der Auftraggeberkultur.

Prochazka: In der Bauherrenkultur, würde ich sagen.

Steiner: Es ist aber auch so, dass selbst gute Architekten freiwillig wirklich viel an Honorar nachlassen, also es sind nicht immer nur die Auftraggeber die Bösen.

Neumann: Die Auftraggeber verlangen andererseits unseriöserweise städtebauliche Studien als Eintrittskarten für Projekte und bezahlen dafür gar nichts. Das ist eine Zumutung.

Steiner: Es ist für Auftraggeber legitim zu sagen: Wir wollen eine erste Idee, eine Skizze, wie ihr ein Problem städtebaulich lösen würdet.

Prochazka: Das ist eine völlige Fehleinschätzung einer Aufgabenstellung.

Neumann: Städtebaulich zum Beispiel den Praterstern einzubetten, wie das die ÖBB gerade in einem Wettbewerb verlangen - wissen Sie überhaupt, was das für eine unglaubliche Arbeit ist?

Pálffy: Das ist so, als ob ein Arzt eine Ferndiagnose aus ein paar Dutzend Metern macht und meint: Sie könnten vielleicht Bauchweh oder Halsweh haben. Was kann man mit einer Skizze seriös darstellen?

Steiner: Ich will das ja nicht fein durchgearbeitet haben, sondern gute Ideen bekommen.

Scheifinger: Ich würdige den Anspruch, den Aufwand papiermäßig zu verringern, aber der geistige Input geht über die Skizze weit hinaus, wenn man nicht nur ein paar Striche abgeben will.

Neumann: Ich kann ja auch gleich ein Comic liefern.

Steiner: Was soll ein Auftraggeber wie die ÖBB also tun?

Scheifinger: Die Antwort muss von der Stadt Wien kommen. Die Stadtplanung muss prinzipiell dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen für Projekte geklärt sind.

Steiner: Darauf warte ich ja schon seit zwei Jahren.

Neumann: Und jetzt sollen das die Architekten kostenlos liefern, wenn's die G'moa nicht bringt?

Scheifinger: Die ÖBB muss Schnittstellen zur Stadt vorfinden. Ich habe schon vor drei Jahren Klotz und Görg darauf angesprochen, als die Bahnhofsoffensive noch gut in Fahrt war, und gefragt: Was tut ihr zur Vorbereitung, um der Bahn entgegenzukommen? Die städtebaulichen Rahmenbedingungen hat die Stadt selbst zu schaffen.

Was tut die Gemeinde eigentlich wirklich?

Pálffy: Sie will, dass privates Kapital in der Stadt Fuß fasst. Die Staatskassen sind leer, doch dann wäre es auch Aufgabe der Gemeinde, diese Prozesse zu moderieren. Das beginnt bei Wettbewerben und geht bis hin zur begleitenden Kontrolle, dass alles ordentlich umgesetzt wird. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, nicht nur für Investoren, sondern auch für die Stadt.

Steiner: Eine vorbereitende Flächenwidmung gibt es nicht mehr, es gibt nur eine anlassbezogene. Auch werden keine Anreize für Investoren geschaffen, du musst immer selbst als solcher auftreten, damit überhaupt etwas geschieht.

Prochazka: Richtig, und das Anlassbezogene ist natürlich immer das Schwächste. Ich will aber noch etwas dazu sagen: Ich bin entsetzt darüber, dass Sie als wichtiger Bauherr offenbar keine Ahnung von bestimmten Aufgabenbildern, wie etwa dem Städtebau, haben. Das ist ein Problem für uns Architekten, dass wir nicht vermitteln können, was wir als Input zu leisten haben. Es gibt zum Beispiel eine schöne Skizze von mir zu einem 35 Hektar großen Baugrund, die Vorarbeit dazu hat aber drei Monate beansprucht.

Scheifinger: Und die Vorleistungen werden von der Stadt einfach nicht erbracht. Die Stadtplanung ist zahnlos geworden, weil sie kein Geld hat.

Neumann: In Wien findet überhaupt keine Stadtplanung statt.

Pálffy: In der Wiener Innenstadt sind etwa zwei Tiefgaragen geplant, die ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in die Altstadt bringen werden. Da geht es um grundlegendes Verständnis, was Stadt- und Verkehrsplanung ist. Ein übergeordnetes Verkehrskonzept ist in seinen Konturen nicht erkennbar.

Die Architektur scheint also eine verfahrene Szene zu sein, in die man sich als junger Mensch besser nicht begibt?

Scheifinger: Im Gegenteil. Wegdenken, Wegschauen ist nicht zulässig. Daher sitzen wir jetzt hier, sitzen in unseren Büros, reißen uns den Hintern auf für die Thematik und verbluten langsam irgendwann einmal. Und am Ende haben wir nicht wenig, sondern weniger als nichts am Konto.

Neumann: Bravo. So ist es.

Scheifinger: Es gibt bereits Beispiele, wo die Banken über bankrotte Kollegen sagen: Das ist ein wichtiger Mann in der Stadt. Ein paar intervenieren auch für ihn, dann gibt es irgendwann einfach einen Schuldennachlass oder Konkurse.

Neumann: Schuld daran sind die GOA-Abschläge und die unseriösen Wettbewerbe. Auch für die Verfahren muss es die Gebührenordnung spielen. Wenn das Projekt dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht umgesetzt wird, so ist das ebenfalls zu bezahlen. Es gibt für einen Bauherrn, der uns Architekten in Hundertschaften fordert, kostenlos Millionen hinzutragen, keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Der sitzt für mich am Spieltisch wie ein Croupier, und er muss auch auszahlen. Der kann nicht aufstehen, hinausgehen und sagen: Heute ist nix.

Steiner: Dann wird es nicht mehr lange Wettbewerbe geben.

Neumann: Das wäre ohnehin das Klügste, wenn die sittliche Reife der Auslober fehlt. Der Wettbewerb ist eine moralische Instanz, die von beiden Seiten wahrgenommen werden muss.

Prochazka: Ich bin ergebnisorientiert und frage mich, ob volkswirtschaftlich nicht enorme Summen vergeudet werden.

Neumann: Wir haben nicht mehr das Kapital, jedes Projekt in der Tiefe, Schärfe, Genauigkeit zu führen, weil wir das gesamte Geld in nicht gebaute Wettbewerbe stecken.

Das alles ist bekannt, aber wie kommt man aus der Situation heraus? Warum berechnet die Kammer nicht, welche Summen verschleudert werden und wie teuer die Körperschaften letztlich schlecht umgesetzte Wettbewerbe kommen?

Scheifinger: Ich habe genau das vor Jahren mit Hannes Swoboda besprochen, der gemeint hat: Na, rechnet das einmal aus. Aber wir haben nicht den Apparat der Magistrate hinter uns. Die haben die Beamten und die Rechenstifte, warum soll das delegiert werden? Die Körperschaften müssen das selbst nachrechnen.

Sie tun es aber offensichtlich nicht.

Scheifinger: Dann muss man sie zwingen.

Prochazka: Die Kammer wäre schon ein Instrument, so etwas zu machen. Wir zahlen ja schließlich Beiträge.

Scheifinger: Ich leide schon darunter, den Normalbetrieb aufrechtzuerhalten. Ich kann es nicht machen, weil das Geld nicht da ist. Der Magistrat hat die Beamten, was tun die bitte?

Es geschieht aber nicht, weshalb wir nicht aus dem Problem herauskommen. Wie schaut also die Strategie aus?

Scheifinger: Dann muss es die öffentliche Meinung verlangen. Es geht schließlich um viel Geld. Ein städtebaulicher Wettbewerb, der schlecht ausgeht, kostet unter Umständen Milliarden. Schlechte Architektur produziert enorme Folgekosten.

Das wissen die Architekten, aber sonst kein Mensch.

Scheifinger: Der Souverän, der mit öffentlichen Geldern jongliert, muss rechnen. Nehmen wir nur aus aktuellem Anlass Karlsplatz und Künstlerhaus her.

Pálffy: Da werden um mindestens 23 Milliarden Schilling U-Bahn-Erweiterungen aus dem Zentrum an die Peripherie gebaut, es gehen täglich mindestens 50.000 Personen in dieser Station rein und raus. Das gesamte Areal liegt als großartiges Verkehrsbauwerk brach. Wenn man drüberfährt, glaubt man am Verkehrsverteiler Süd zu sein, nur statt dem Horr-Stadion steht der Musikverein dort. Das sind die Realitäten. Um eins komma irgendwas Prozent der genannten Summe könnte man die gesamte Situation dort tadellos in Ordnung bringen und die Lebensqualität Tausender Menschen aufwerten. Es handelt sich um einen der wichtigsten Orte in einer Stadt, die sich eigentlich als Kulturstadt versteht. Das geht aber alles nicht, weil die U-Bahn keinen Lift auf die unteren Geleise führen kann - denn das sind die Argumente, bei denen wir als Architekten, die den Ort verbessern wollen, landen.

Prochazka: Dieses Projekt ist ein klassisches Beispiel: Hier hat ein Gutachterverfahren mit erstklassigen Architekten stattgefunden, das Büro Jabornegg-Palffy hat es gewonnen, baureif geplant, jetzt ist das Projekt abgestürzt, und sie kämpfen um ihr Honorar. Ein Symptom der allgemeinen Situation.

Offenbar mangelt es an gescheiter Organisation architektonisch-städtebaulicher Prozesse, und es gibt einen eklatanten Mangel an Wertschätzung gegenüber der Arbeit, die Architekten zu erbringen imstande sind. Wie steuert man dem entgegen?

Neumann: Das beginnt damit, dass nicht der Architekt nachweisen muss, die finanzielle Potenz für einen Auftrag zu haben - das geht so weit, dass man aufgefordert wird, Bankgarantien vorzuweisen - sondern der Bauherr müsste die Bankgarantie legen, dass er sich das Haus überhaupt leisten kann.

Prochazka: Ich gebe eines zu bedenken: Die Diskussion über Wettbewerbe suggeriert, wenn alles ordnungsgemäß abgehandelt würde, wäre die Welt in Ordnung. Doch Wettbewerbe können nie objektiv sein und stellen ruinöse Verfahren dar: ein Roulette, das die Architekten immer wieder zu spielen gezwungen sind. Sie sind das einzige gesellschaftlich akzeptierte Glücksspiel, das es in Österreich gibt.

Neumann: Wobei im Kasino definiert ist, wievielfach was ausbezahlt wird. Wir wissen hingegen nicht, ob der Croupier überhaupt ausbezahlt. Das ist für mich der Grund, warum ich lieber in ein Kasino gehe, als einen Wettbewerb zu machen. Am Wettbewerb Kulturinstitut New York haben 260 Architekten teilgenommen, die haben insgesamt mehr hineingesteckt, als der schließlich mit dem Bau beauftragte Wettbewerbssieger Raimund Abraham an Honorarsumme bekommen hat.

Scheifinger: Dabei war bei diesem Wettbewerb, wie bei anderen auch, eigentlich von vornherein klar, wer letztlich ganz vorne mitmischen würde. Alle anderen sind verheizt worden.

Prochazka: Jeder, der die Szene ein bisschen kennt, weiß, dass das natürlich stimmt. Die Botschaft in Berlin ist auch so ein Fall. Warum kann Hans Hollein nicht direkt beauftragt werden?

Scheifinger: Das ist anders gelaufen, da war die Wirtschaft beteiligt. Stahl- und Steinfassade haben hinter den Kulissen miteinander gerungen.

Wer wäre Stahl gewesen?

Scheifinger: Man zwinge mich bitte nicht, vor laufender Kamera die Hosen herunterzulassen.

Prochazka: Wir sind keine Neidgenossenschaft. Bei manchen Projekten ist es natürlich sinnvoll, direkt ohne Wettbewerb zu vergeben.

Scheifinger: Die Architektur muss es schaffen, mit den richtigen Gesprächspartnern am Diskussionstisch zu sitzen. Ich will nicht mit einem Leiter einer MA verhandeln, sondern mit dem Stadtrat. Die Handschlagqualität ist abhanden gekommen, alle verstecken sich hinter Verordnungen und Gesetzen.

Gab es diese Handschlagqualität denn wirklich einmal?

Scheifinger: Natürlich, keine Frage, und es ist noch nicht allzu lange her.

Pálffy: Noch etwas: Für rund 1300 Wiener Kammermitglieder gab es heuer genau einen öffentlichen Wiener Wettbewerb, und das war die Katharinengasse.

Scheifinger: Das war kein Wettbewerb, das war ein Massaker. Und das nächste Massaker folgte mit Schönbrunn.

Pálffy: Für mich heißt das, dass eine Moderation der Stadt einfach hergehört. Eine gewisse Breite, eine qualitative Auseinandersetzung - und das entsprechende Klima könnte gefördert werden. Revolutionen passieren nicht von einem Tag auf den anderen. In Basel, um ein Beispiel zu nennen, ist aufgrund eines engagierten Beamten eine architektonische Blüte entstanden. Es gibt auch weitere Beispiele, in Spanien, Holland usw. Da gibt es Qualitätsbegriffe, die unangefochten sind, und wenn man die respektiert, dann funktioniert es. Das illustriert, dass neben einem angebrachten Regelwerk eine der Grundlagen für gute Architektur vor allem der Wille dazu sowie eine gewisse Kompetenz in der Materie ist. Wenn man die nicht hat, muss man sich um ein Umfeld bemühen, muss sich lokale und durchaus auch externe Experten holen, um Qualitätsarchitektur bewirken zu können.

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