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Ein Dä­ne er­obert New York
Der Standard

Mit ge­ra­de 42 Jah­ren macht er sich da­ran, Man­hat­tan um­zu­krem­peln. Sein er­ster dort rea­li­sier­ter Bau ge­wann vor kur­zem den In­ter­na­tio­na­len Hoch­haus­preis. Sein Bü­ro heißt BIG, und so denkt er auch. Wer ist Bjar­ke In­gels?

19. November 2016 - Maik Novotny
Wenn je­mand weiß, wie ein Hoch­haus aus­sieht, dann sind das mit Si­cher­heit die New Yor­ker. Si­cher, sti­li­stisch gab es im­mer Aus­rei­ßer, aber das Prin­zip ist das­sel­be: Zur Mit­te des Stra­ßen­blocks hin so viel Bau­vo­lu­men auf­sta­peln, wie es das be­währ­te New Yor­ker Bau­ge­setz er­laubt. Ganz klar: In Sa­chen Wol­ken­krat­zer geht es in der Re­gel sehr ver­ti­kal zu. Doch das, was da den Stra­ßen­block am Hud­son Ri­ver aus­füllt, dürf­te ei­ni­gen New Yor­kern ein „What the-?“ ent­lockt ha­ben. Zu zwei Sei­ten ei­ne glat­te Stra­ßen­front, die sich zum Eck hin von bei­den Sei­ten auf 142 Me­ter Hö­he auf­schwingt, und zum Fluss­ufer, dort wo De­ve­lo­per sich für ge­wöhn­lich die be­gehr­te Aus­sicht sta­pel­wei­se zu Im­mo­bi­lien­gold ver­wan­deln, ist es ge­ra­de mal zwei Stock­wer­ke hoch. Von oben wie­der­um äh­nelt es ei­nem ge­bläh­ten Se­gel, durch des­sen Mit­te man ei­nen Am­boss hat fal­len las­sen, und über die Fra­ge, was an die­sem Ge­bäu­de ei­gent­lich Dach und was Fass­ade ist, kann man sehr lan­ge nach­den­ken.

Das Bau­werk nennt sich VIA57West, stammt vom dä­ni­schen Ar­chi­tek­ten Bjar­ke In­gels und wur­de ge­ra­de in Frank­furt mit dem pres­ti­ge­träch­ti­gen In­ter­na­tio­na­len Hoch­haus-Preis aus­ge­zeich­net. Wenn man In­no­va­ti­on als Kri­te­ri­um her­an­zieht, über­trifft es sei­ne Kon­kur­ren­ten in der Tat bei wei­tem. Da­bei ist die Idee ganz ein­fach: Ei­ne eu­ro­päi­sche Blo­ckrand­be­bau­ung, ge­kreuzt mit ei­nem New Yor­ker Hoch­haus, dann Rich­tung Ufer ge­dreht. Mit dem Er­geb­nis: ein Stück Hud­son-Pa­no­ra­ma für al­le, nicht nur für die, die es sich leis­ten kön­nen. Ein Stück dä­ni­sche So­zi­al­de­mo­kra­tie im mo­ne­tä­ren Man­hat­tan.

Wer ist die­ser Bjar­ke In­gels, der hier trans­at­lan­ti­sche Fu­si­ons­ar­chi­tek­tur be­treibt? Mit 42 ist der Dä­ne in Ar­chi­tek­ten­jah­ren zwar ei­ne Wel­pe, doch spielt er schon in der er­sten Li­ga und wirkt da­bei wie ein Stu­dent, der zu­fäl­lig auf ei­ne Par­ty von Sta­rar­chi­tek­ten ge­ra­ten ist. Nach Mit­ar­beit bei Rem Ko­ol­haas grün­de­te er 2001 in Ko­pen­ha­gen sein Bü­ro PLOT, das er 2005 in BIG (Bjar­ke In­gels Group) um­be­nann­te. Mit gro­ßen Di­men­sio­nen scheint er wahr­lich kei­ne Pro­ble­me zu ha­ben. Er äh­nelt da­rin sei­nem Lehr­meis­ter, doch wo bei Rem Ko­ol­haas’ Bau­ten im­mer ein von il­lu­si­ons­lo­sem Rea­lis­mus durch­wirk­ter Kom­men­tar zur Ge­samt­ge­gen­wart mit­schwingt, der sagt: „So sieht es eben nun mal aus auf der Welt, Leu­te!“, um­strahlt Bjar­ke In­gels die Au­ra des groß­äu­gi­gen Idea­lis­ten, der sagt: „Es könn­te aber auch ganz an­ders aus­se­hen, und es geht ganz leicht.“

Die Idee der Fu­si­on von un­ge­wöhn­li­chen Kom­po­nen­ten in gro­ßem Maß­stab zieht sich durch sein Werk: Sein Wohn­bau „Moun­tain Dwel­ling“ ver­bin­det Ter­ras­sen­woh­nun­gen mit ei­nem da­run­ter­lie­gen­den Park­haus zu ei­nem po­part­bun­ten Dri­ve-in-Ge­bir­ge. Das Dach sei­ner Müll­ver­bren­nungs­an­la­ge im dä­ni­schen Flach­land wird auch als Ski­pis­te fun­gie­ren. Und sein 8 Hou­se, der größ­te pri­va­te Wohn­bau al­ler Zei­ten in Dä­ne­mark, nimmt mit sei­ner Form des räum­lich ver­zerr­ten Su­per­blocks die Idee für das New Yor­ker Hoch­haus schon vor­weg.

Ne­ben die­sen Spie­len mit dem Kon­zept be­herrscht In­gels auch ei­nen der wich­tigs­ten Ak­kor­de der heu­ti­gen Ar­chi­tek­turk­la­via­tur per­fekt, näm­lich die me­dia­le Ober­flä­che. Sei­ne Bau­ten sind bei al­ler geo­me­tri­schen Kom­ple­xi­tät ver­füh­re­risch fo­to­gen. Sein schwung­voll ver­schach­tel­ter Lon­do­ner Ser­pen­ti­ne Pa­vil­lon war im Som­mer 2016 ei­ner der po­pu­lärs­ten in der lan­gen Ge­schich­te die­ser il­lus­tren Rei­he. Er sah aus al­len Blick­win­keln gut aus und fand sich folg­er­ich­tig hun­dert­tau­send­fach auf In­stag­ram-Fo­tos wie­der. Selbst­ver­ständ­lich ist Bjar­ke In­gels auch selbst dort un­ter­wegs und pos­tet Bau­stel­len­fo­tos eben­so wie Ur­laubs­bil­der, die der jun­gen Ge­folg­schaft ver­mit­teln: „Ar­chi­tek­tur ist für mich kei­ne Selbst­aus­beu­tung, ich kann mir auch ein Pri­vat­le­ben leis­ten!“ Wie vie­le nai­ve Ab­sol­ven­ten da­durch ins Ver­der­ben ge­lotst wer­den, weiß nur die Zu­kunft.

Er­klärt die­ses Er­folgs­re­zept schon sei­nen Sie­ges­zug durch New York? Viel­leicht ist es tat­säch­lich, wie sein deut­scher Bü­ro­part­ner Kai-Uwe Berg­mann sagt, ei­ne Mi­schung aus skan­di­na­vi­schem So­zi­al­ge­dan­ken, me­di­ter­ra­nem Ver­ve und ame­ri­ka­ni­schem Al­les-ist-mög­lich. Für sei­nen näch­sten Schritt braucht er al­le drei, denn Bjar­ke In­gels wagt sich an den schwie­rigs­ten Ort der gan­zen Stadt: den in je­der Hin­sicht kon­ta­mi­nier­ten Ground Ze­ro. Die­ser hat sich nach 2001 zu so et­was wie ei­ner Schlan­gen­gru­be für Sta­rar­chi­tek­ten ent­wi­ckelt. Zu­erst fiel ihm Da­ni­el Li­be­skind zum Op­fer, des­sen fer­ti­ger Ent­wurf für One World Tra­de Cen­ter dem von Da­vid Childs geo­pfert wur­de, wel­cher dann den von mons­trö­ser Lang­wei­lig­keit ge­präg­ten Free­dom To­wer bau­en durf­te. San­tia­go Ca­la­tra­vas wie­der­um konn­te zwar sei­nen WTC-Bahn­hof rea­li­sie­ren, des­sen fi­li­gra­ne Schwa­nen­flü­gel­op­tik brach al­ler­dings un­ter dem Ge­wicht un­zäh­li­ger Si­cher­heits­vor­keh­run­gen und vier Mil­li­ar­den Dol­lar Bau­kos­ten schier zu­sam­men.

Für das Hoch­haus World Tra­de Cen­ter 2 war schließ­lich Alts­tar Lord Nor­man Fos­ter im Ren­nen, die­ser be­kam aber ur­plötz­lich Kon­kur­renz, als In­ves­tor Lar­ry Sil­ver­stein ei­nen zwei­ten Ent­wurf bei ei­nem jun­gen Dä­nen in Auf­trag gab – ge­nau Bjar­ke In­gels. Der Ver­su­chung, hier von ei­ner Wa­cha­blö­se der Ge­ne­ra­ti­on zu re­den, zu wi­ders­te­hen, ist kaum mög­lich. Da­bei un­ter­schei­den sich die bei­den kon­kur­rie­ren­den Turm­ent­wür­fe nicht nur im Aus­se­hen, son­dern auch im Um­gang mit der Stadt New York. Wäh­rend Fos­ters von sti­li­sier­ten Dia­man­ten ge­krön­ter Sky­scra­per si­cher­lich gut funk­tio­nie­ren wird, aber eben­so auch in Du­bai oder Shenz­hen ste­hen könn­te, prä­sen­tiert Bjar­ke In­gels ein Hoch­haus, das es in New York noch nie ge­ge­ben hat, das aber ge­nau nach New York passt: Ein wie mit leich­ter Hand hin­ge­wor­fe­ner Sta­pel ver­glas­ter Bo­xen von fas­zi­nie­ren­der Ja­nus­köp­fig­keit. Ru­hig und gra­vi­tä­tisch zum tra­gi­schen Ort Ground Ze­ro, und me­trop­oli­tan-le­ben­dig zum quir­li­gen Vier­tel Tri­be­ca im Nor­den.

Wie bei al­len Bau­ten des Dä­nen hat das Gro­ße auch hier et­was er­staun­lich Mü­he­lo­ses, als wä­re es das Nor­mal­ste der Welt, in Man­hat­tan bis zu 400 Me­ter Hö­he ein paar gläs­er­ne Qua­der auf­ein­an­der­zu­stel­len. Das Ren­nen zwi­schen dem 81-jäh­ri­gen Bri­ten und dem 42-jäh­ri­gen Dä­nen ist noch nicht ent­schie­den, im Ju­ni die­ses Jah­res ver­kün­de­te Lar­ry Sil­ver­stein je­doch, Bjar­ke In­gels blei­be der Fa­vo­rit. Wer weiß, viel­leicht wird der Ground Ze­ro für ihn aus­nahms­wei­se zum Ge­burts­ort ei­nes neu­en Stars. Falls er den kür­ze­ren zeiht, hat er schon das näch­ste Pro­jekt in Man­hat­tan in Ar­beit: Sein Kon­zept „The Big U“, das er zur­zeit mit der Stadt­re­gie­rung ent­wi­ckelt, soll das Ufer von Man­hat­tan vor stei­gen­dem Mee­res­spiegel und Hur­ri­ka­nen schüt­zen. Ganz der so­zia­le Dä­ne, will Bjar­ke In­gels New York eben nicht nur er­obern, son­dern gleich auch noch ret­ten.

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