Artikel

Auf Biegen und Brechen
Neue Zürcher Zeitung

Münchens legendäres Olympiastadion als Fussballarena?

22. Dezember 1998 - Claudia Schwartz
Anfang der siebziger Jahre war Günter Behnischs Olympiastadion ein geflügelter Bau. Mit seinem weltberühmten transparenten Zeltdach, mit Fernsehturm, Grünflächen und See verkörperte es landschaftsarchitektonisch und stadträumlich die olympische Idee: die Anordnung der Wege, Plätze und Gebäude suchte die offene, weltgewandte Geste. Nicht zuletzt war das sanft in seine Umgebung eingepasste, für die Sommerspiele im Jahr 1972 errichtete Monument ein spätes Zeichen gegen den Nationalsozialismus und Hitlers schwülstige Olympia-Inszenierung im Berlin von 1936. Es stand als Symbol für Frieden und Freiheit, war Ausdruck eines neuen politischen Bewusstseins und wurde – «Wunder von München» – gefeiertes Wahrzeichen. Die Arena dient heute noch sportlichen Veranstaltungen, während andere zu ähnlichem Zweck gebaute, jüngere Hallen längst ausrangiert wurden.

Aber Gott, wie man weiss, ist in Deutschland rund und der FC Bayern Hauptkunde der Olympiapark München GmbH. Vereinspräsident Franz Beckenbauer soll denn schon öffentlich dafür plädiert haben, dass der «ganze Krampf» weggerissen werde für ein «richtig schönes», «fussballgerechtes» Stadion. Auf Druck des Starvereins versucht man die Quadratur des olympischen Kreises. Dem bayrischen Fussballkaiser kann seine Ignoranz in denkmalpflegerischer Hinsicht wohl kaum verübelt werden. Schon eher verwundert, wie leichtfertig die Landeshauptstadt ein architektonisches Kunststück opfert, das einst nicht nur zum internationalen Renommee Münchens beigetragen hat, sondern darüber hinaus den Ruf deutscher Architektur in die Welt brachte.

Das Münchner Kommunalparlament hat sich nun für das Umbauprojekt ausgesprochen und die Bereitstellung von 140 Millionen Mark zugesagt. Den Rest müssten die Fussballvereine aufbringen. Trotzdem ist laut Rathaussprecher Florian Sattler ein Ende der heftigen Diskussionen um das 400-Millionen-Vorhaben noch nicht abzusehen. Er rechnet mit einem Bürgerentscheid, mit dem die Münchner sich gegen den Umbau stellen könnten. Denn auch die geplanten baulichen Veränderungen – darüber sind sich die unterschiedlichen Parteien vom Architekten bis zu den Fussballfans einig – werden aus der Leichtathletik- Arena kein ideales Fussballstadion machen. Das Projekt ist ein Kompromiss, der das Alte nicht mehr will und das Neueste nicht haben kann. Von einer «untauglichen» Lösung, die «alles kaputtmacht», spricht der Architekturprofessor Fritz Auer, der das Stadion einst zusammen mit Günter Behnisch und Frei Otto konzipierte. Die Realisierung der Wunschvorstellungen, wie sie den Fussball-Mächtigen vorschwebt, kommt einer Zerstörung des Kulturdenkmals gleich.

Seit der Präsentation der ersten Umbaupläne vor drei Jahren steht das Projekt im Kreuzfeuer der Kritik. Ökonomische Forderungen nach einem profitablen Zweckbau auf der einen stehen gegen ästhetisch-kulturelle Interessen zur Erhaltung des wichtigen Bauwerks der Nachkriegsmoderne auf der anderen Seite. Eine zwiespältige Rolle spielt dabei nicht zuletzt Günter Behnisch, der nach eigenen Worten sein ursprünglich «bewusst nicht in erster Linie am Profit orientiertes» Werk am liebsten so lassen möchte, wie es ist, gleichwohl aber – sein Urheberrecht geltend machend – die Vorschläge für die baulichen Veränderungen hin zur Kommerzialisierung gleich eigenhändig entworfen hat. Dabei treibt ihn freilich nicht nur der Ehrgeiz des Architekten, sondern auch die Sorge des Schöpfers um sein Werk.

Die Fussballclubs möchten ein «unter Einnahmebedingungen optimales Stadion». Die geplanten Eingriffe – Erweiterung der Sitzplätze auf 70 000, Einbau von Logen und zusätzlichen Flächen für VIP-Bereiche, Presse und Restaurants – stellen denn eine zunehmende Entfremdung vom ursprünglichen Konzept dar. Die Pläne, die Stadt, Architekt und Fussballvereine Anfang September vorstellten, sehen eine Absenkung des Spielfeldes zwecks Gewinnung von 5000 zusätzlichen Sitzplätzen vor, eine Verengung des Ovals und neue, steilere Tribünen an der Ostseite, die näher ans Spielfeld rücken. Vorrangiger Stein des Anstosses sind die Tribünen, die als harter Riegel die Anlage durchschneiden, sowie ein die Sitzplätze überdeckendes Dach. Beides würde die Transparenz des Baus gegen die Grünanlagen und innerhalb des Stadions einschränken. Das berühmte Dach wäre vom Park her kaum mehr zu sehen.

Die Massnahmen stellen einen massiven Eingriff in das «sensible Umfeld» (Behnisch) mit den feinen Kurven und luziden Konstruktionen aus Pylonen und Luftstützen dar. Sicherlich handelt es sich hierbei kaum um die Art von Lösung, die Denkmalschützer als Kunst des minimalen Eingriffs hochhalten würden. Keine Frage, das Olympiastadion ist nicht der Pantheon, und die Anforderungen an einen Zweckbau, wie sie die Sportarena nun einmal ist, ändern sich mit der Zeit und mit den Ansprüchen der Benutzer. Hinzu kommt, dass die Erhaltung im ursprünglichen Zustand eine teure Lösung wäre, die neue Nutzungskonzepten verlangen würde. Tatsache ist aber auch, dass der Olympiapark ein wichtiges Erholungsgebiet ist und die Fussballer nur einen Teil der Benutzer ausmachen. Ob den Sportlern mittelfristig das umgebaute Stadion genügen wird oder ob man am Ende nicht doch lieber ein «richtig schönes» Fussballstadion in Form eines neuen (etwa 100 Millionen Mark teureren) Gebäudes hätte, wird sich weisen. Bis dahin aber werden dem Olympiastadion vermutlich die Flügel schon gebrochen sein.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: