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„Das hat man jetzt so“: Sentimentale Österreich-Reise zu den „Häuselbauern“
Der Standard

Jägerzaun, Gartenzwerg und Hollywood-Schaukel: Das Architektur Zentrum Wien lockt seine Kundschaft in die Ausstellung „Wir Häuslbauer. Bauen in Österreich“.

19. Juni 1998 - Gert Walden
Wie weiland Hänsel und Gretel werden die Besucher im Architektur Zentrum Wien behandelt. Statt Lebkuchen gibt es allerdings Sentimentales: Da sind sie wieder - die Hollywood-Schaukel der Kindheit und der gelbe Mega-Gartenzwerg hinter dem so herrlich naturbelassene Jägerzaun in den eigens für die Schau konstruierten Vorgärten des Museumquartiers. Und selbstverständlich gehen wir (fast) alle auf den Leim der Ausstellungsmacher, weil wir wieder einmal im staatlich subventionierten Kulturbetrieb dem bedenkenlosen Sentiment huldigen können: Also schaukeln, auf dem Rasen spazieren und mit gemischten Gefühlen die Gartenzwerge begutachten. Wobei nicht ganz klar ist, wer mehr zu lachen hat - die Kunststoffmasse oder der Besucher.

Es ist ja eigentlich ziemlich gemein, was das Architektur Zentrum mit den armen, gebildeten Besuchern macht: Ein Köder der verklärenden Kindheitserinnerung wird ausgeworfen und (ganz gern) geschluckt. Ausstellungsbesucher und die Objekte der Betrachtung - Österreichs Häuslbauer - haben etwas gemeinsam: Sie reagieren auf Lockstoffe. Entweder auf die sentimentalen der Erinnerung oder die illusionären von der Freiheit in den eigenen vier Wänden. Auf jeden Fall gehen die Geschäfte der Anbieter gut. Bei der Eröffnung stauten sich die Menschen zwischen den Heraklithwänden der Ausstellungsräume, wie sich im täglichen Geldverkehr die Häuslbauerzinsen bei den Banken ansammeln. Schließlich haben sich die Österreicher mit 976.000 Exemplaren ihre Wunschwohnform realisiert.

Vor Beginn der Ausstellung ist die urbane Spezies der Architekten, Theoretiker, Raumplaner und Historiker in die längst nicht mehr freie Wildbahn der Häuslbauer-Gegenden gezogen und hat die meist noch ländlich gestimmten Objekte ihres Interesses mit der Videokamera studiert.

Das Ergebnis relativiert die heile Welt der Fertighausanbieter und Finanzierungsinstitute. Denn eines kommt ganz klar in den Gesprächen zum Ausdruck: Häuslbauen bedeutet Blut, Schweiß und Tränen. Sei es, man legt selbst Hand an oder tilgt die Zinsen, was zur Folge hat, daß die erhoffte größere Wohnfläche teilweise als „Fremdenzimmer“ über Jahre vermietet werden muß. Ergo, die nächsten Generationen haben - noch vor der Erfindung von Schengen-Land - sich wieder ein „Häusl“ als Grenzfestung der selbstgebastelten Identität errichtet. Und damit sind wir schon bei einer Stilgeschichte des alltäglichen Bauens. In den fünf Einzelkojen der Ausstellung werden die vergangenen fünfzig Produktionsjahre aufgerollt. Von der Ära des frühen Resopal über das mittlere Eternit bis zur späten Hochwärmedämmung läßt sich das Prosperieren der Wirtschaft und der reproduzierten Konsumklischees verfolgen. Was also von Bregenz bis Bruck an der Leitha entsteht, ist ein Spiegelbild zwanghaft-harmonisierender Ortsbildkommissionen, dem jeweiligen Angebot der Fachmärkte und jener unbegreifbaren Konvention, die sich in dem einen verbindlichen Satz ausdrückt: „Das hat man jetzt so“.

Zur Zeit „hat“ man allenthalben Krüppelwalmdächer, Kachelöfen, zwei Garagen, zwei Gehälter und einen wesentlichen Bruch in der „Häuslbauer“-Tradition. Das selbstgefertigte Eigenheim wird abgelöst vom Haus als Verbrauchsgut, das ebenso rasch die Wohnbedürfnisse befriedigt, wie Banken und Bausparkassen ihre Darlehen herausrücken. Die Villa im Westentaschenformat hat ihre Tücken nicht nur für ihre Benützer. Fast eine Million Häuser bedeutet eine ernstzunehmende ökologische und raumplanerische Belastung. Gerade dieser wesentliche, weil jeden Menschen hierzulande betreffende Aspekt, wird in der Ausstellung kaum angesprochen. Mit einem an Karl Marx erinnernden linearen Geschichtsdenken wird der Weg Österreichs in das kommende Jahrtausend vorgezeichnet. Bauen bedeutet künftig die reale Reproduktion der aus ökonomischen Interessen geschaffenen Klischees, wie sie Walt Disney und etwas ästhetisch überhöht die Postmodernen zu basteln wußten. Die Apotheose des Gemütlichkeit, der Sentimentalität und Zersiedelung läßt sich also nicht mehr aufhalten.

Dietmar Steiner legt im Katalogbuch noch ein Schäufelchen verbalen Mörtels nach. Alle jene, die sich gegen die Bauflut stemmen, werden schlichtweg als akademische Zivilversager apostrophiert. Vor allem die Architekten würden sich den „wahren“ Bedürfnissen der großen Masse verschließen. Denn der Direktor des Architektur Zentrums weiß, wie das Österreich des 21. Jahrhunderts aussehen wird. Das Land wird dann nur noch ein „dicht besiedeltes Land mit naturbedingten Restflächen“ innerhalb des europäischen Landschaftsgarten sein. Ein solches Negativ-Konstrukt, das allein eine normative Kraft des Faktischen vorwegnimmt, erinnert an das skurril-bedrohliche Horrorszenario der Touristenkultur im vierten Teil der Alpensaga von Felix Mitterer. Während aber der Tiroler Regisseur noch die Option der Veränderbarkeit für die Zukunft offen läßt, übt sich Steiner in Resignation, die in ihrer überspitzten Formulierung auch noch der Stronach-Kugel in Ebreichsdorf das Wort sprechen könnte. Als Ausgangspunkt für eine vollkommen veränderte Diskussionsebene, wie sie Steiner in der Pressekonferenz anläßlich der Eröffnung gefordert hat, eignet sich sein Zynismus kaum.

Schließlich ist die „Häuslbauer“-Kultur nicht erst in den vergangenen fünfzig Jahren entstanden, sondern auch ein Produkt der konservativen Lebensvorstellungen seit der Industrialisierung, das die Bevölkerung an den Besitz binden wollte. Allein schon die absehbare Überschuldung der heutigen Häuslbauergeneration wird künftig diese Wunschwohnform in Frage stellen und ihre mechanistische Expansion relativieren, weil heute bereits das Eigenheim nicht mehr innerhalb einer Generation abbezahlt werden kann. Auch das teilweise Versagen der Architekten, wie es Steiner zu Recht kritisiert, bedarf einer genaueren und breiter angelegten Betrachtungsweise. Denn der Bilder-Versorgungsapparat politischer und ökonomischer Provenienz ist ohne Zweifel mächtiger als das Häuflein der österreichischen Architekten.

Die Vorarlberger Bauschule, einzelne - und zu wenige - Politiker sowie die durchaus vorhandene Suche nach architektonischen Alternativen von Seiten der „Häuslbauer“ verweisen auf ein mögliches Umdenken bis 3. August.

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