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Die Geschichte des Aufzugs: Immer wieder rauf und runter
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Von der Wohltat, sich das Stiegensteigen zu ersparen, zur Erfindung des Penthouse. Der Aufzug: über die Geschichte der vertikalen Urbanisierung – und wie sie das Gefüge unserer Städte veränderte.

14. März 2018 - Peter Payer
Ein jeder von uns hat seine ganz speziellen. Wir begegnen ihnen regelmäßig, oft mehrmals am Tag. Sie sind vertraute Begleiter durch unseren Alltag, jahre-, oft jahrzehntelang. Der gewohnte Blick zur Aufzugstür, der Eintritt in die Kabine, das Betätigen der Tasten, das Geräusch beim Türenschließen und Fahren, all dies sind uns zutiefst verinnerlichte Handlungen und Wahrnehmungen.

Aufzüge sind zu unentbehrlichen Verkehrsmitteln der Stadt geworden, ein symbolträchtiges Abbild derselben, immer in Bewegung, ein ständiges Auf und Ab. Mehr als 13 Millionen Fahrstühle sind derzeit weltweit unterwegs. Und wie sonst kein anderes Fahrzeug ist dieses ohne große Vorkenntnisse zu benützen, ohne Bewilligungen oder gar „Führerschein“. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit, wie ein Blick in die Geschichte der vertikalen Urbanisierung zeigt. Wobei nicht immer gleich an die bisweilen mythenverklärten Wolkenkratzer US-amerikanischer Metropolen zu denken ist. Auch in einer mitteleuropäischen Stadt wie Wien wurde die sukzessive Implementierung des Personenlifts zu einem wichtigen Entwicklungsfaktor – mit weitreichenden baulichen, sozialen und mentalen Auswirkungen.

Wiens erster moderner Personenaufzug entstand mitten in der Stadt. Im Jahr 1869 ließ Baron Johann von Liebig eine neuartige Hebemaschine in sein Palais, Wipplingerstraße 2, einbauen. Die Kabine konnte zwei Fahrgäste aufnehmen, der Antrieb erfolgte hydraulisch. Konstrukteur war der junge Ingenieur Anton Freissler, der derartige Aufzüge in Paris kennengelernt hatte.

War dies noch eine rein private und weitgehend unbemerkt gebliebene Initiative gewesen, so folgte kurz danach der erste öffentlichkeitswirksame „Auftritt“ eines Personenaufzugs. Das mondäne Grand Hotel eröffnete im Mai 1870 am Kärntner Ring seine Pforten. Beachtliche 200 Zimmer wies es auf, ausgestattet war es mit modernster Technik. Dazu gehörten neben Sprachrohr und Telegraf auch ein Personenaufzug, dessen Betrieb sogleich Furore machte. Die Zeitungen berichteten begeistert von der neuen Einrichtung, die sich besonders für alle „Feinde des Treppensteigens“ anböte. Es war ein völlig neuartiges Fahrgefühl, das die Gäste erwartete, so die „Neue Freie Presse“: „Durch Anziehen einer Schnur kommt der Apparat in Bewegung. Sanft und rasch, wie von Geisterhänden gehoben, steigt der kleine Salon, welcher sechs Personen zu fassen vermag, empor. In 55 Sekunden ist selbst der vierte Stock des Hotels erreicht, wieder ein Zug an der Leine, und der Apparat steht still.“

Nicht zufällig war es der damals auch in anderen Städten Europas expandierende Typus des Grand Hotels, der hier neue Maßstäbe bei der Haustechnik setzte und sich als Schrittmacher eines urbanen Modernisierungsschubs erwies. Innovative Hotelbetreiber versuchten ihren Gästen das Maximum an Großzügigkeit und Komfort zu bieten, Luxus durch modernste Technik, hieß ihr Motto. Und dabei war es insbesondere der Lift, der zum technischen Aushängeschild dieser Premiumklasse avancierte.

Luxushotels und Weltausstellung

Zahlreiche andere Wiener Luxusetablissements folgten in den nächsten Jahren diesem Beispiel, vom Hotel Métropole und Hotel Imperial bis hin zum Hotel Sacher und Hotel Bristol. Voll Stolz hieß es in ihren Werbeinseraten „Aufzug in alle Stockwerke“. Ein weiterer entscheidender Schritt zur Popularisierung der neuen Beförderungstechnik erfolgte im Zuge der Wiener Weltausstellung des Jahres 1873. Im Inneren der damals neu errichteten Rotunde befanden sich gleich zwei ebenfalls hydraulisch betriebene Aufzüge. Sie führten auf die rundum laufende Galerie, von wo die Besucher zu Fuß nach außen auf das Dach gelangen konnten und über Steigleitern zur Laterne direkt unter der Kuppel. Hier winkte als Höhepunkt ein beeindruckender Blick auf die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt. Insgesamt mehr als 130.000 Menschen wagten sich, gegen Entgelt, auf die beiden Hebevorrichtungen, die sich damit als besonders begehrte Attraktion erwiesen.

Und Großausstellungen sollten auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Fahrstuhls spielen. Denn zehn Jahre später wurde auf der „Internationalen Elektrischen Ausstellung“, ebenfalls in der Rotunde, Wiens erster elektrisch betriebener Aufzug feierlich – vor den Augen von Kronprinz Rudolf – in Betrieb genommen. Im Jahr 1898 schließlich, anlässlich der Jubiläumsausstellung für Kaiser Franz Joseph, errichtete man eine 30 Meter hohe Aussichtswarte, auf die ebenfalls ein moderner, elektrisch betriebener Aufzug führte. Auch diesmal lockten die prächtige Aussicht von der Spitze des Turmes und die Neuartigkeit des Fahrerlebnisses unzählige Neugierige an. Bis sich der elektrische Aufzug nennenswert verbreitete, sollte es allerdings noch einige Zeit dauern. Erst eine ausreichende Stromversorgung und die Kombination mit der ebenfalls neu entwickelten Treibscheibe sorgten für den Durchbruch – und natürlich die immer höher werdenden Gebäude der Stadt.

Denn die Anzahl der Gebäude hatte sich in Wien seit Ende des 19. Jahrhunderts rasant vermehrt, zahlreiche mehrgeschoßige Neubauten wurden errichtet, Altbauten so weit wie möglich aufgestockt. Die Bauordnung und ein vom Gemeinderat verabschiedeter Bauzonenplan legten erstmals gestaffelte Gebäudehöhen für das gesamte Stadtgebiet fest. Diese reichten vom innerstädtischen Bereich mit maximal fünf Geschoßen bis zur Peripherie mit drei Geschoßen, wobei – als Wiener Besonderheit – das Parterre zusätzlich unterteilt werden konnte, was die Geschoßanzahl de facto nochmals erhöhte.

Aufschwung durch Elektrizität

Voraussetzung für diese vertikale Expansion war die leichte Erreichbarkeit der einzelnen Stockwerke und somit eine deutliche Vermehrung der Aufzugsanlagen. Hatte man 1885 festgestellt, dass der Personenaufzug in Wien „noch immer eine sehr bescheidene Rolle spielt“, so zeigte sich mit dem Aufkommen des elektrischen Antriebs ein nachhaltiger Aufschwung. Ein 1889 erlassenes Aufzugsgesetz regelte Herstellung und Betrieb der Fahrstühle. Da der elektrische Antrieb bedeutend billiger als der hydraulische war, setzten sich die Aufzüge zur Jahrhundertwende auch im Wohnhausbau endgültig durch. Ab dem Jahr 1900 finden sich erstmals statistische Erhebungen. So gab es Ende dieses Jahres insgesamt 412 Personenaufzüge in Wien, pro Jahr kamen in der Folge rund 80 Neuanlagen hinzu, später steigerte sich die jährliche Zuwachsrate auf mehr als 100, zuletzt sogar über 300 Anlagen pro Jahr. Ende des Jahres 1913 zählte man bereits 2586 Personenaufzüge in der Stadt.

Ein Zeitgenosse proklamierte euphorisch: „Lift, Ascenseur, Aufzug, Fahrstuhl – das aufwärtsstrebende Vehikel, das uns mühelos in die vierten und fünften Stockwerke bringt, hat sich bei uns in Wien bereits in allen Sprachen eingebürgert und auch in allen Systemen: Man fährt bald hydraulisch, bald elektrisch, zuweilen combinirt. Ueberall jedoch empfindet man die Wohltat der wohl nicht mehr neuesten, so doch immer neueren Einrichtung, deren ,Entdecker‘ zu den Wohltätern der Menschheit gezählt werden sollte und indirect auch zu den Wohltätern der vier- und fünffach verstockten Hausherren. Denn wenn schon seit mehreren Jahren eine Wohnung der obersten Regionen sehr oft unter dem üblichen Preise vermiethet werden mußte, gilt dieselbe in den Häusern ,mit Lift‘ als vollkommen standesgemäß und ist sogar wegen der reineren Luft gesucht.“

Die Lobpreisung bringt eine der wesentlichen sozialen Folgen des Lifteinbaus zum Ausdruck: Die oberen Geschoße, einst oft nur mühsam durch eine enge Dienstbotentreppe zu erreichen, verloren ihre benachteiligte Stellung, während die im ersten Stock angesiedelte „Beletage“ ihren von Aristokratie und Großbürgertum bevorzugten Rang einbüßte. Der Aufzug egalisierte die Geschoße und änderte damit die soziale Stratigrafie des Gebäudes. Sämtliche Stockwerke waren nun technisch gleichwertig ausgestattet und somit bequem erreichbar. Bald ergab sich ein neues Ranking, denn aufgrund ihrer besseren Licht- und Luftverhältnisse und auch des Ausblicks wegen wurden die obersten Geschoße sozial besonders aufgewertet. In sie zogen nunmehr die begüterten Schichten, das „Penthouse“ entstand. Die Benützung und der Betrieb eines Fahrstuhls erfolgten im Wesentlichen entlang zweier Kriterien: Sicherheit und Bequemlichkeit. Insbesondere der Schutz vor Unfällen oder gar Abstürzen stand bei allen beteiligten Personen und Institutionen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Behörden, Techniker, Architekten, Hauseigentümer und -bewohner waren angehalten, den richtigen Umgang mit dem neuen Fahrzeug zu finden, ein Lernprozess, der mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen sollte.
Der Aufzugswärter als zentrale Figur

Schon beim Einbau des Aufzugs waren ganz zentral Aspekte der Feuersicherheit zu beachten, ebenso die obligatorische Anbringung einer Fangvorrichtung und eine ausreichende Sicherung des umgebenden Treppenhauses. Die Ingangsetzung und Abstellung des Aufzugs besorgte eine eigens dazu befugte Person: der Aufzugswärter, der in den Wohnhäusern vom Hausmeister, in den Hotels vom Liftboy gestellt wurde – somit eine zentrale Figur, die erst mit der Verbreitung der elektrischen Druckknopfsteuerung überflüssig wurde.

Doch trotz der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen kamen immer wieder Unfälle vor, bei den Passagieren blieb stets ein Rest an Unbehagen. Dies lag nicht zuletzt an den zunächst noch ungewissen psychischen und physischen Folgen der Liftbenützung. Immer wieder war in den Zeitungen von einer „Aufzugskrankheit“ die Rede, die der Seekrankheit ähnlich sei.

Die Ausstattung der Kabine war orientiert am Einrichtungsgeschmack des (groß)bürgerlichen Zimmers, was in seiner Maximalvariante bedeutete: weicher Teppich, gepolstertes Sofa oder zumindest lederbezogene Sitzbank, getäfelte Wände, Griffe und Beschläge aus Messing, formschöner Beleuchtungskörper, geschliffener Spiegel, geätzte Glasscheiben. Die verwendeten Materialen sollten Ruhe und Gediegenheit ausstrahlen. Ein kleiner Salon im Treppenhaus.

Der Insasse verlor seine Souveränität

Doch egal, welche Stilrichtung man bevorzugte, ob elegant oder einfach, für den Fahrgast war der Aufenthalt im Inneren der Kabine in jedem Fall eine besondere Erfahrung. Sobald der Lift sich in Bewegung setzte, wurde über den Insassen verfügt, verlor er seine Souveränität. Der Raum war eng und unausweichlich, und es gab keine Kontrolle darüber, wer sich noch darin befand oder eventuell zustieg. Einer, der sich in diesem künstlichen Transitraum nur schwer zurechtfand, war der Schriftsteller Peter Altenberg. Die soziale Spannung in der Kabine schien ihm unerträglich: „Grässlich ist es, mit einem fremden Menschen hinaufzufahren. Man glaubt die Verpflichtung zu haben, ein Gespräch zu entrieren, und überlegt es sich krampfhaft von einem Stockwerke zum anderen. Es ist eine verlegene Spannung wie bei der Maturitätsprüfung.“

Heute gibt es rund 44.000 Personenaufzüge in Wien, pro Jahr kommen etwa 1000 neue Anlagen hinzu. Die Dienstbarmachung der Vertikalen wird zweifellos auch die künftige Stadtentwicklung in hohem Maß begleiten.
Buchtipp
Peter Payer: Auf und Ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien. Brandststätter Verlag; 34,90 Euro

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