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Der Architekt mit dem Kärcher
Der Standard

Das slowakische Architekturbüro Gutgut sagt mit seinen Projekten klassischen Immobilieninvestoren und Developern den Kampf an. Das revitalisierte Zementwerk Mlynica in Bratislava wird heute bei einem Vortrag in Wien vorgestellt.

9. März 2019 - Wojciech Czaja
An den eckigen Pfeilern haftet noch die Patina der letzten Jahrzehnte: Kratzer, Löcher, Markierungen in Weiß und Neonpink. Die dicke Rippendecke erzählt Geschichten von schweren Lasten und rüttelnden Maschinen. Und die Kabeltrassen an den Wänden sind geführt, als wäre mitten im Betrieb das Geld ausgegangen. Schauplatz ist die sogenannte Mlynica, eine aufgelassene Zementfabrik in der Turbinová am nordöstlichen Stadtrand von Bratislava.

„Die Fabrik wurde Anfang der Siebzigerjahre in Betrieb genommen, als der Kommunismus in seiner Blüte war und der Wohnbedarf in der ČSSR traditionsgemäß mit Plattenbauten gedeckt wurde“, erzählt Architekt Štefan Polakovič. „In der Mlynica wurden Stein und Zement gemahlen. Die daraus gegossenen Betonplatten prägen bis heute das Stadtbild in vielen osteuropäischen Städten.“ Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde das staatlich geführte Werk mangels privater Investitionen geschlossen. Seit damals stand die Anlage leer. „Der Zustand, als wir uns das Werk vor ein paar Jahren angesehen haben, war erbärmlich. Doch dann kamen wir ins Spiel.“

Postkommunistische Zeitgeschichte

Im Auftrag des slowakischen Developers ISE, der offenbar keine Angst vor Abgefucktheit hatte, sollte die ehemalige Mlynica in eine Eventlocation mit vermietbaren Büroflächen und stylishen, rough belassenen Lofts umgebaut werden. „In der Regel werden solche Gebäude so lange renoviert, bis von der alten Atmosphäre fast nichts mehr übrig ist“, erzählt Polakovič. „Doch das ist langweilig. Das interessiert uns nicht. Wir wollten das Gebäude in seinem ursprünglichen Charakter erhalten und nur dort reparieren, konstruktiv verstärken und mit neuen architektonischen Implantaten befüllen, wo dies für die Funktion notwendig war. Ansonsten ist das Gebäude unverändert. Nicht einmal die Wände haben wir ausgemalt.“ Kurze Pause. „Ach ja, den Schmutz haben wir natürlich mit dem Kärcher abgewaschen.“

Das Resultat dieses ungewöhnlichen Ansatzes ist eine dreidimensionale Collage aus Stahl, Beton, Ziegel, Bauholz und Profilitglas, die mitten im Industrieviertel, umgeben von Baumärkten, Chemiewerken und dem zentralen Bratislavaer Heizkraftwerk, eine Art lesbare, nonverbal konsumierbare Lektüre postindustrieller, postkommunistischer Zeitgeschichte formiert. Zugleich ist das Projekt, das man in seiner Unverfrorenheit in Berlin, London, New York, gewiss aber nicht in der Slowakei erwarten würde, eine Kampfansage an Privatisierung und an die Unkultur gewerblicher Investoren und Developer, die das Stadtbild von Bratislava seit 1989 massiv verändert haben.

Heute, Samstag, hält Štefan Polakovič gemeinsam mit seinem Kollegen Tomaš Vrtek einen Vortrag im Rahmen des Architekturfestivals Turn on. Ziel des Kongresses, der zum 17. Mal im großen Sendesaal im ORF-Radiokulturhaus ausgerichtet wird, ist die Vernetzung von Architektur, Politik und Bauindustrie. „Architektur ist eine ästhetische Qualität, die sich auf unterschiedliche Weise manifestieren kann“, sagt die Initiatorin und Organisatorin Margit Ulama. „Das Festival präsentiert vielfältigste thematische Facetten, wie die gebaute Umwelt das Leben auf positive Weise beeinflussen kann.“ Zum Beispiel auch so.

„Historische Identität tut jeder Stadt gut“, sagt Polakovič, der mit seinem Partner Lukáš Kordík das Architekturbüro Gutgut in einem stillen Wohnviertel am Rande der Innenstadt leitet. „Aber im Fall von Bratislava, die zu den am schnellsten wachsenden und sich am stärksten verändernden Hauptstädten Europas zählt, sind Rettung und Erhalt der Geschichte anhand der von ihr produzierten Gebäude nicht nur eine Kür, sondern eine Pflicht. Das Immobilienspiel, das die Investoren und Projektentwickler hier spielen, ohne sich für räumliche und historische Qualität zu interessieren, ist ein rasantes und ein brutales. Dem müssen wir dringend etwas entgegensetzen. Das ist unsere Aufgabe als Architekten.“

Mehr als nur gut

Polakovič, der mit seinem Auftritt und seinem offenen, einsichtigen Arbeitsatelier in der Auslage eine neue, nonchalante Lockerheit verkörpert, tunkt sein Supermarktsemmerl in den Mayonnaisesalat und macht ein paar Bissen lang Pause. Die Architektur wird nicht wegrennen. Zumindest nicht in den nächsten paar Minuten. „Wir sind ein kleiner Fisch. Ein kleines Büro, das Projekte bis zu 5000 Quadratmetern Nutzfläche abwickelt. Aber immerhin, wir leisten unseren Beitrag.“ Warum das Büro Gutgut heißt? „Früher hießen wir Gelb, dann Rot, dann Blau. Aber dann haben wir gemerkt, dass wir auch Farbe bekennen können, ohne bunt zu sein. Und ganz ehrlich? Wir sind mehr als nur gut. Wir sind echt gutgut.“

Wie können Qualität und Innovation in der Architektur unser Leben verbessern? Das ist die Grundfrage des Architekturfestivals Turn on, das heuer zum 17. Mal stattfindet. Auf dem Programm stehen die Themen Wohnbau, Hotels, Kulturbauten, Gesundheitsimmobilien und Quartiersentwicklung. Einleitende Worte von Christian Kühn (Architekturstiftung Österreich) und der Wiener Frauen- und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál. Mit Vorträgen von Feld72, Einszueins Architektur, Baumschlager Hutter, Alison Brooks Architects, Robertneun, Hermann Czech, Königlarch, Werner Neuwirth, Pool Architektur, Bevk Perović Arhitekti, Fasch & Fuchs, Franz & Sue, Dietger Wissounig, Erich Strolz, Dietrich Untertrifaller, Walter Angonese und dem slowakischen Büro Gutgut. Ergänzt wird der Vortragsnachmittag von einer Podiumsdiskussion mit der Wiener Architektin Bettina Götz (Artec), Bernhard Steger, Abteilungsleiter der MA 21A, sowie dem ehemaligen Direktor des Amtes für Städtebau der Stadt Zürich, Patrick Gmür.

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