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Ein Haus auf Abwegen
Spectrum

Da war doch so eine Disco, in Neunkirchen, in einem Haus, wo wir uns die Nächte um die Ohren schlugen. Jahre später fand ich heraus, dass es sich dabei um das einzige von Günther Domenig konzipierte Einfamilienhaus handelte – das nie als solches diente. Nachschau in Niederösterreich.

28. Dezember 2019 - Ute Woltron
Wer in den 1980er-Jahren im südlichen Niederösterreich jung und unternehmungslustig war und die Abende weder auf Garagenpartys verbringen noch vor der Glotze mit J. R. Ewing verplempern wollte, hatte bedauernswert wenige Alternativen. Entweder kannte man jemanden, der über die Gnade eines Automobils verfügte und den weiten Weg nach Wiesen ins Jazzpub auf sich nahm. Oder man setzte sich in die Bahn nach Wien und verbrachte die Nacht bis zum ersten Zug heim im U4. Lediglich eine einzige Disco mit ordentlicher Musik lag in Moped-Distanz: Das sogenannte „Top Dancing“ in Neunkirchen war das Jugendmekka der weiteren Umgebung, bis es irgendwann in den späten 1990ern zumachte.

Der Tanzschuppen war in einem Solitärgebäude untergebracht und lag inmitten eines ruhigen Wohngebiets. Da man sich der Lokalität prinzipiell nur in abendlicher Finsternis näherte und sie höchstens in der Morgendämmerung wieder verließ, konnte man für die äußeren, zudem hinter einer Mauer versteckten Kubaturen des Gebäudes kein Gefühl entwickeln. Auch dem groß dimensionierten skulpturalen Betonkamin am Rand der Tanzfläche schenkte kaum jemand Beachtung, obwohl man sich doch hätte fragen können: Was macht der da?

Heute, Jahrzehnte später, steht das Gebäude leer und ist straßenseitig betrachtet so unscheinbar wie eh und je. Zwei kubische Baukörper mit Flachdach und übermaltem Sichtbeton, ein schmaler Einschnitt wie eine Schlucht dazwischen, der zum Eingang leitet. Wohl niemandem von uns, die wir Hunderte Male hier aus und ein spaziert sind, wäre es je in den Sinn gekommen, in diesem Gebäude ein architektonisches Schmuckstück zu vermuten. Das ändert sich jedoch in der Sekunde, wenn man die Angelegenheit heute bei Tageslicht von außen und von seiner Hauptseite, dem Garten, aus betrachtet. Kubisch zu einer L-Form verschachtelte Betonkörper bilden ein stattliches Einfamilienhaus. Bekrönt wird das fein austarierte Gebäude von einer mächtigen Sichtbetonattika. Unter den Betonrippen, die sich auch nach außen in die Vordächer ziehen, liegt ein zweiseitig vollverglaster Raum mit ebendiesem großen Kamin. Tatsächlich befinden wir uns vor dem – wahrscheinlich – einzigen Einfamilienhaus, das Günther Domenigs Handschrift trägt, entstanden aus dem Geist des Brutalismus und entworfen in der Anfangszeit der Zusammenarbeit mit seinem Studienkollegen und Fußballfreund Eilfried Huth.

Ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit: Günther Domenig, 1943 in Klagenfurt geboren und 2012 in Graz verstorben, war ab den 1960er-Jahren nach Beendigung seines Architekturstudiums in Graz einer der einflussreichsten Architekten einer neuen Planergeneration. Er war als Mitbegründer und wohl wichtigster Vertreter der sogenannten „Grazer Schule“ dafür mitverantwortlich, dass der Geist internationaler Architekturströmungen, wie etwa Brutalismus und Strukturalismus, auch die Alpenrepublik erreichte, da und dort Gestalt annahm und in Form des Dekonstruktivismus später auch prominente Junge bekam. Ab 1963 unterhielten Domenig und Eilfried Huth eine Bürogemeinschaft, die sich 1973 auflöste. Das Wohnhaus in Neunkirchen muss einer ihrer ersten Aufträge gewesen sein, doch bewohnt wurde es eigenartigerweise nie.

Die Bauherren, so die Geschichte, waren mit Domenig befreundet. Die ersten Pläne stammen von 1964, die letztgültigen Einreichpläne von 1969. Warum die Auftraggeber das extravagante Haus nie bezogen, bleibt im Dunkeln, jedenfalls verpachteten sie das Gebäude nach der Fertigstellung über die Jahre an zwei Tanzklubbetreiber, und später, als die Disco endgültig zusperrte, wurde es als Kindertagesstätte und für Büros genutzt. Dann stand es einige Zeit leer und zum Verkauf. Jetzt aber befindet es sich am Beginn einer Projektentwicklung hin zu einer Mehrgenerationen-Baugruppe. Obwohl die Nutzer über die Jahre innen die eine und andere Wand hochzogen, einen weiteren kleinen Kubus an das Gebäude setzten und die diversen Geschmäcker der Jahrzehnte ihre Spuren an Oberflächenmaterialien und anderen Details hinterließen, blieb das Haus großzügig und weitgehend unbeschädigt. Sein einziger Nachteil ist die hässliche Wohnbebauung davor, die jedoch gartenseits völlig ausgeblendet bleibt.

Der Garten ist geräumig, und dieser begünstigende Umstand eröffnet die Chance für eine mögliche Neunutzung der fast schon als historisch zu bezeichnenden Immobilie. Eine behutsame Nachverdichtung könnte dem Bestand das Überleben sichern. Die Lage ist optimal, das Haus steht in unmittelbarer Nähe des großen Neunkirchner Stadtparks auf der einen und dem historischen Stadtzentrum auf der anderen Seite. Gleich ums Eck befinden sich ein Einkaufszentrum sowie das Hallen- und Freibad. Alle wichtigen Institutionen sind zu Fuß erreichbar. Derzeit wird die Idee ausgelotet, das Gebäude weitgehend in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuführen und gewissermaßen wieder in seinem brutalistischen Betonglanz erstrahlen zu lassen, allerdings ergänzt um behutsam in den Park gesetzte zusammenhängende Tiny Houses, die je nach Bedürfnis zu unterschiedlich großen Appartements geschaltet werden können. Das Hauptgebäude bildet das gemeinschaftliche Zentrum, etwa wenn die Anlage als Senioren-Wohngruppe einen neuen Frühling erfährt. Kleine, preiswerte Einheiten, ein großzügiges Klubhaus, individueller Raum für den Einzelnen und ein Gartenparadies für die Gemeinschaft.

Eine Weiterverwertung und Verdichtung wie diese wären wohl ganz im Sinne der ursprünglichen Autoren, die bereits sehr früh den „Landschaftsfraß“ durch Einfamilienhäuser geißelten und sich gegen die alles zersiedelnde „Häuslpest“ stark machten. Insbesondere Co-Autor Eilfried Huth steht für partizipative, kollektive Wohnformen und den behutsamen Umgang mit der Landschaft. Das Unterfangen könnte zudem ein Case-Study-Projekt für die Nachnutzung von Einfamilienhäusern werden, wie sie landauf, landab von in die Jahre gekommenen Einzelpersonen bewohnt werden, die an den Erhaltungskosten ihrer viel zu groß gewordenen Wohneinheiten zu knabbern haben. Das Motto lautet: Gemeinsam sind wir weniger allein. So können die Kosten der Betreuung geteilt, kann die Alterseinsamkeit vermieden werden.

Die New Design University in St. Pölten zeigte sich ebenfalls interessiert und wird das Domenig-Huth-Haus in Neunkirchen und die ihm innewohnenden Möglichkeiten einer Transformation im Rahmen einer Semester-Entwurfsarbeit analysieren. Auch haben bereits einige Investoren sowie Privatleute an dem Projekt Interesse bekundet, nicht zuletzt, weil neue Wohnformen, leistbare und nicht rein spekulative Wohnprojekte für die Immobilienindustrie im Trend liegen. Investitionen in kleine, dafür raffinierte und neu gedachte Projekte werfen immer noch bessere Rendite ab als Einlagen, die in Zeiten der Negativzinsen auf der Bank verschimmeln.

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