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Gotik statt Gehry? Wenn Politiker Architekt spielen
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Mit seinem Dekret „Making Federal Buildings Beautiful Again“ ist Donald Trump nur einer von vielen politischen Architekturberserkern, die sich berufen fühlten, Baustilvorgaben zu formulieren.

26. Februar 2020 - Ute Woltron
Donald Trump ist angetreten, um Amerika wieder großartig zu machen. Jetzt greift er in politisch bewegten Zeiten zu einem beliebten Werkzeug der Macht und dreht an den Knöpfen der Architektur. Die öffentlichen Gebäude der Nation, so ist in einer jüngst an die Öffentlichkeit gelangten „Executive Order“ nachzulesen, sollen, wenn schon nicht großartig, so zumindest wieder „schön“ werden. Das sieben Seiten umfassende Dokument enthält Direktiven, in welche Richtung es künftig zu gehen hat, wenn neue Postämter, Gerichtsgebäude und dergleichen mehr gebaut werden, wenn Bestehendes vor Sanierung oder Erweiterung steht. Trump fordert für die etwa 300.000 öffentlichen Gebäude einen „traditionellen Architekturstil“ ein. Dazu zählen: „Klassischer Architekturstil und historisch humanistische Stile wie Gotik, Romanik und der Spanische Kolonialstil sowie andere mediterrane Stile, wie man sie in Florida und im amerikanischen Südwesten findet.“

Die gesamte Architektur- und Kulturwelt rund um den Globus reagierte, wie zu erwarten war: Sie spie Gift und Galle. Das Amerikanische Institut für Architektur zeigte sich „geschockt“, The Architecture Lobby erinnerte daran, dass die Verordnung bestimmter Architekturstile ein „Markenzeichen autoritärer Regime“ sei. Selbst die Denkmalpfleger des National Trust gaben sich bedenklich, die Vorgaben seien mit der tatsächlichen Bewahrung historischer Werte nicht in Einklang zu bringen. Kommentatoren landauf, landab warnten vor einem „rassistischen“ Architekturkodex, der eine weiße, männliche Elite symbolisiere und aus Zeiten stamme, in denen Frauen kein Wahlrecht hatten und Afroamerikanern keine Bürgerrechte zugestanden waren.

Dass die Architektur seit Menschengedenken ein Spielball der Macht ist, wird niemand anzweifeln, auch nicht, dass sich die Bauwut in totalitären Regimen naturgemäß am deutlichsten äußert. Doch kommt es stets auf die Perspektive an. Hillary Clinton bemühte in ihrer Abschiedsrede als scheidende US-Außenministerin 2013 ebenfalls die Metapher der Architektur, doch sie tat es, um ein künftiges politisches Weltgebilde zu besingen: „Wir brauchen eine neue Architektur für diese neue Welt; mehr Gehry als antikes Griechenland. Während in früheren Zeiten einige starke Säulen das Gewicht der Welt zu tragen imstande waren, so brauchen wir heute einen dynamischen Mix aus Materialien und Strukturen.“

Gegen „hässliche“ Architekturen

Trump hat aus seiner Ablehnung dekonstruktivistischer und brutalistischer Gebäude nie ein Hehl gemacht; die, wie er meint, „hässlichen“ Architekturen Frank Gehrys scheinen ihm besonders zu missfallen. Doch bei aller Aufregung und berechtigter Geißelung der Verschönerungspläne als absurd und reaktionär reiht sich der US-Präsident mit seinem Dekret in eine lange Reihe politischer Architekturberserker ein, wie sie auch im guten alten und jüngeren Europa zu finden waren. Schon Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister unter Ludwig XIV., sprach Regenten aus der Seele, als er vor rund 300 Jahren meinte, nichts beweise, „in Ermangelung glänzender Kriegstaten, Größe und Geist in höherem Maße als die Errichtung von Baudenkmälern“. Als Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, den Architekten Ricardo Bofill aus dem Projekt Les Halles expedierte, nicht zuletzt, weil der Spanier als Günstling seines politischen Rivalen Valéry Giscard d'Estaing galt, verkündete er vor der Presse: „Der Architekt? Das bin ich!“ Giscard d'Estaings Nachfolger Francois Mitterrand erwies sich ebenfalls als Bauherr gigantomanischen Formats, was ihm den Spitznamen Mitterramses eintrug, obwohl er beteuerte, „nicht aus persönlichem Ehrgeiz“ zu bauen, sondern „aus Ambition für Frankreich“, und weil es eine „direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur, ihren ästhetischen Qualitäten und der Größe eines Volkes“ gäbe.

Es geht jedoch auch demokratischer. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden – nicht nur in Europa – in vielen Nationen staatliche Leitfäden zur Hebung der Baukultur und Architektur, von denen der 1998 vom finnischen Parlament verabschiedete Sieben-Punkte-Beschluss „zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes“ hervorzuheben ist. Er ist an Klarheit bisher unübertroffen. Jeder Bürger habe ein Grundrecht auf eine intakte Umwelt. Der Staat trägt als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen Verantwortung, und Architektur wurde als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur honoriert.

Im Vergleich dazu nimmt sich der europäische „Leitfaden zur Architekturpolitik der Kommission“ aus dem Jahr 2009 eher kraftlos aus, greift dafür in seiner Aussage zur ästhetischen Gestaltung EU-eigener Gebäude nach Höherem. Die Kommission achte darauf, „dass das Bild, das die Fassaden und der Umfang ihrer Gebäude abgeben, unter anderem durch die Integration gekrümmter und gerader in die Höhe gerichteter Linien, die Kühnheit, Transparenz und Dynamik des europäischen Einigungswerks zum Ausdruck bringt“.

Eher Handbuch für Anfänger

Weniger kühn, eher wie ein Handbuch für Anfänger liest sich der Passus, der sich mit der Umsetzung der Projekte befasst: „Die angestrebte architektonische Qualität lässt sich leichter erreichen, wenn man auf solide, im Vorfeld ausgearbeitete Programme, auf eine präzise Verfolgung der Projektabläufe und eine systematische Nutzung der verschiedenen Instrumente zur Konfrontation der Ideen zurückgreifen kann.“ Ja wie denn sonst?

Auch wenn die vom US-Präsidenten angeordneten Architekturverrenkungen umgesetzt werden, auch wenn in öffentlichen Wettbewerben über Jurys, in denen explizit weder Künstler, Architekten, Ingenieure noch Kunst- oder Architekturkritiker und auch keine Mitglieder der Bauindustrie vertreten sein dürfen, die Bürgernähe gesucht wird: Amerikas reiche Architekturgeschichte wird damit kein Ende nehmen.

Die tatsächlichen Hindernisse auf dem Weg zu gut Gebautem sind da wie dort vielmehr alltägliche Barrieren wie überzogene Normen, steigende Baukosten- und Baupreisindizes und schwache, nicht paktfähige Bauherrschaften. Frank Lloyd Wright, Säulenheiliger der amerikanischen Architektur des 20. Jahrhunderts, bekannt für sein aus der strammen Reihe historischer Bauten tanzendes Guggenheim Museum in New York und ein Vorläufer für Gehry und Co., war nur einer der vielen Vertreter amerikanischer Baukultur, die nicht auf dem sicheren Boden des Vergangenen wandelten, sondern sich immer wieder in Richtung einer neuen Architektur für eine neue Welt aufmachten. Der Architekt, meinte er, müsse nichts weniger als ein Prophet sein, vorurteilsfrei bleiben und den Blick in die Zukunft richten. Wer nicht zehn Jahre vorausschauen könne, den solle man keinen Architekten nennen. Möglicherweise gilt das Gleiche für die Vertreter politischer Macht.

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