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„Leben in Florenz, Arbeiten im Cyberspace“
Der Standard

Die Informationstechnologie eröffnet der gesellschaftlichen Elite die Chance, den Wohnort frei auszuwählen und sich in Naturoasen oder den kulturell interessantesten Zentren anzusiedeln. Werden die Städte zu Zufluchtsburgen der Armen, während die Wirtschaft die dezentralen Möglichkeiten der Telekommunikation nutzt und in den virtuellen Raum abwandert?

11. Dezember 1998 - Johanna Zugmann
Nach der vor Jahrzehnten eingeläuteten Stadtflucht großer Unternehmen, die ihre Headquarter auf die weitaus billigere grüne Wiese bauten, ist die nächste „corporate migration-Welle“ bereits voll im Gange: Vor allem die global operierende internationale Finanz- und Dienstleistungswirtschaft verlagert ihre Aktivitäten zunehmend in den Cyberspace.

„An den Plätzen, an denen sich die internationale Finanzwirtschaft konzentriert, entstehen die neuen global cities. Sie bilden einen transnationalen Wirtschaftsraum, der zwar noch im geographischen Raum der Städte verankert ist, dessen Organisation und Steuerung sich aber mehr und mehr in den Cyberspace verlagert. Viele Städte des Industriezeitalters, die mit wachsender Armut kämpfen, werden vom Raum der Datenströme abgekoppelt.“, konstatiert der auf philosophisch-künstlerisch-ästhetische Fragestellungen des Informationszeitalters spezialisierte Autor Florian Rötzer. Gemeinsam mit Christa Maar, Präsidentin der „Burda Akademie zum dritten Jahrtausend“, ging er in dem Buch Virtual Cities* der Zukunft des urbanen Raums auf den Grund.

Laut Rötzer verläuft der Urbanisierungstrend in zwei Richtungen: einerseits zu riesigen, nationale Grenzen übergreifenden urbanen Regionen mit lokalen Verdichtungen, die die Kerne des Wohlstands und der Macht in der globalen Informationsgesellschaft darstellen. Die alten städtischen Zentren - sofern sie nicht zu historischen Freizeitparks umgewandelt worden sind, würden hingegen die große Masse der schlecht ausgebildeten, arbeitslosen oder schlecht bezahlten, in der Dienstleistung jobbenden Verlierer des Informationszeitalters aufnehmen.

Auch William Mitchell, Autor von City of Bits, prognostiziert die Stadtflucht der Spezialisten der Informationsgesellschaft: „Ein schnelles Modem und eine ISDN-Leitung macht Wohnen in der grauen Vorstadt unnötig. Warum nicht Leben in Florenz und Arbeiten im Cyberspace?“

Der virtuelle Raum eröffnet der gesellschaftlichen Elite die Chance, den Wohnort frei auszuwählen und sich in Naturoasen oder kulturell interessanten Zentren anzusiedeln.

Mit der Kehrseite der Medaille beschäftigte sich das Wiener Architekturbüro archipel. Gemeinsam mit der Unternehmensberatung congena wurde office cloud als Beitrag zum vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation ausgelobten office 21 award entwickelt.

Mit dem 30 bis 50 Büro-Arbeitsplätze bergenden, mobilen Service-Center sollen bisher monofunktionale Gebiete, wie Shopping Cities, Verkehrsknotenpunkte, Wohn- und Schlafstädte komplexer werden oder vor der Verslumung bewahrt werden.

Im 15. und letzten Teil der Serie, der kommenden Freitag erscheint, geben Unternehmensberater „Fitnesstips“ für den beruflichen Rutsch ins nahende 3. Jahrtausend.

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